von Pia Lorenz
Fast die Hälfte des Vorstands der Anwaltskammer Düsseldorf ist heute nicht mehr im Amt. Der BGH bestätigte: Nun-Ex-Präsident Herbert Schons hat gegen das Neutralitätsgebot verstoßen. Es ist das Ende eines Kleinkriegs, und das einer Ära.
Der Anwaltssenat am Bundesgerichtshof (BGH) hat nach der mündlichen Verhandlung am Montag noch abends sein Urteil verkündet: Die Wahl von 13 der 15 im Jahr 2017 gewählten Vorstandsmitglieder der Düsseldorfer Rechtsanwaltskammer (RAK) ist ungültig, die Anwältinnen und Anwälte sind mit sofortiger Wirkung nicht mehr im Amt (AnwZ (Brfg) 19/19).
Das gilt auch für den umstrittenen – nun ehemaligen – Präsidenten der Düsseldorfer Anwaltskammer, Herbert P. Schons. Der habe, so der BGH, im Rahmen der Kammerversammlung gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, dem er als Präsident verpflichtet sei, als er seinen Rechenschaftsbericht über das Jahr 2016 als Wahlkampfrede genutzt habe. Nach Auffassung des Senats ist aufgrund der Wahlwerbung nicht nur Schons‘ Wahl nichtig, sondern die aller Vorstandsmitglieder, bei denen es Gegenkandidaten gab.
Es ist das erste Mal, dass der BGH eine Kammervorstandswahl aus nicht rein formalen Gründen* gekippt hat. Für die Anwaltskammer Düsseldorf ist das der Schlusspunkt eines langen Kleinkriegs in der Führungsriege. Wie es dort nun weiter geht, ist offenbar noch nicht klar. Fest steht nur, es ist das Ende der Ära Schons.
Der Düsseldorfer Kleinkrieg
Es geht um die Wahl von 15 Vorstandsmitgliedern am 26. April 2017 für die vierjährige Amtsperiode, darunter auch um die des langjährigen Kammerpräsidenten Herbert Schons. Nach den Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) wird alle zwei Jahre jeweils die Hälfte des Kammervorstands neu gewählt. Oft genug ist das eine reine Formalie. Diese Wahl aber war anders.
Schon Wochen vor diesem Termin hatte sich eine Gruppe von Anwälten um den heutigen EY-Partner Prof. Dr. Sven-Joachim Otto und den Hengeler-Mueller-Partner Dr. Dirk Uwer Gruppe „Aufbruch 17“ in Stellung gebracht. Sie hatte sich unter diesem Schlagwort zuvor öffentlichkeitswirksam für mehr Transparenz und eine neue Kultur in der Kammer der Landeshauptstadt eingesetzt – und traten an diesem Tag als Gegenkandidaten zu den etablierten Köpfen an.
Erklärte Zielscheibe ihrer Reformbemühungen war u.a. Herbert P. Schons, der in Düsseldorf schon so lange Präsident war, dass viele sich an eine RAK ohne ihn gar nicht erinnern können. Es ging auch um die immensen Kosten für Rechtsstreitigkeiten wegen der Kündigungen der ehemaligen Hauptgeschäftsführerin der Kammer, der bekannten Berufsrechtlerin Dr. Susanne Offermann-Burckart. Die Kammer Düsseldorf hat alle Verfahren verloren, die Kündigungen wurden zwischenzeitlich von mehreren Gerichten für unwirksam erklärt.
Wahlkampf statt Rechenschaftsbericht
Einen Aufbruch 2017 aber gab es erst einmal nicht. An der Kammerversammlung, in der so vieles anders werden sollte, nahmen 803 stimmberechtigte Teilnehmer teil, für die 15 Plätze im Vorstand gab es 27 Kandidaten. Die 12 Mitglieder der Liste „Aufbruch 17“ wurden nicht gewählt. Sie hatten in allen Landgerichtsbezirken bis auf den LG-Bezirk Kleve kandidiert. Dort gab es nur zwei Kandidaten für zwei Plätze, die Kandidaten dort waren also quasi gesetzt.
Dagegen wandten sich zwei der unterlegenen Kandidaten, vertreten vom renommierten Berufsrechtler Dr. Michael Kleine-Cosack, per Anfechtungsklage. Schon der Anwaltsgerichtshof in Hamm erklärte die Vorstandswahl daraufhin für unwirksam. Nicht etwa wegen von ihnen monierter zahlreicher formaler Fehler beim offenbar latent chaotischen Ablauf der Wahl, sondern weil Präsident Herbert P. Schons seinen Rechenschaftsbericht als Wahlkampfrede genutzt habe. Dieser Auffassung hat sich der BGH nun angeschlossen.
Der Rechenschaftsbericht des Präsidenten Schons war zum Zeitpunkt der Wahl schon in den Kammermitteilungen veröffentlicht worden. Schons, der zur Wiederwahl anstand, nutzte die sich ihm bietende Gelegenheit, um zu den unterschiedlichen Kandidaturen Stellung zu nehmen.
Er kritisierte dabei auch den „Aufbruch17“, der seine Wiederwahl verhindern wollte. Einen erheblichen Teil der Rede, die eigentlich ein Rechenschaftsbericht sein sollte, nahm das Arbeitsgerichtsverfahren gegen die ehemalige Hauptgeschäftsführerin der Kammer wegen deren fristloser Kündigung ein. Schons setzte sich kritisch mit den Verfassern eines Papiers auseinander, in dem er für die Vorgänge kritisiert wurde. Zum Schluss teilte der Rechtsanwalt und Notar mit, dass er als „Kapitän auf der Brücke“ verbleiben wolle und bat um seine Wiederwahl.
BGH: RAK-Präsident muss Neutralitätsgebot wahren
Die Klage dagegen sah der Anwaltssenat des BGH als zulässig an. Die Auffassung der vom bekannten Düsseldorfer Verwaltungsrechtler Robert Hotstegs vertretenen RAK, dass die Mängel während der Kammerversammlung hätten gerügt werden müssen, teilte er nicht: Nach § 112f Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) könne jedes Mitglied einer Kammer Beschlüsse der Kammerversammlung binnen eines Monats anfechten.
Für die Wahlen zum Kammervorstand gelten, so der Senat, die gleichen demokratischen Grundsätze wie für Parlamentswahlen, besonders weil die Kammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts auch hoheitliche Aufnahmen wahrnehme. Daher müssten Vorstandsmitglieder und insbesondere auch der Präsident das Neutralitätsgebot einhalten, wenn er für die Kammer spricht, etwa im Rahmen eines Rechenschaftsberichts. Sie träten dann in amtlicher Funktion auf, in der keine Wahlwerbung gemacht werden dürfe.
In der Rede von Schons sehen die Bundesrichter eine „unzulässige Wahlwerbung“ für sich, andere Vorstandsmitglieder und gegen andere Kandidaten. Seine Rede lasse die gebotene Sachlichkeit vermissen, gerade zu Beginn und am Schluss, aber auch im Mittelteil, in dem Schon sich u.a. mit der Kritik an seiner Person auseinandersetzte. Eine konkrete Wahlbeeinflussung müsse nicht nachgewiesen werden, eine „naheliegende Beeinflussung“ reiche aus, meinen die Bundesrichter.
Das Ende einer Ära
Nach Auffassung des Senats ist aufgrund der Wahlwerbung von Schons nicht nur seine Wahl nichtig, sondern die aller 13 Vorstandsmitglieder, bei denen es Gegenkandidaten gab. Die Wahl der beiden Vorstandsmitglieder in Kleve aber, die keinen Gegenkandidaten hatten und für die theoretisch ihre eigene Stimme zur Wahl gereicht hätte, sei nicht beeinflusst worden. Insoweit korrigierte der BGH die Entscheidung des AGH und erlegte den beiden klagenden Anwälten 2/15 der Kosten des Verfahrens auf.
Prof. Dr. Joachim Sven-Joachim Otto, einer der Mitinitiatoren von „Aufbruch 17“, erklärte nach dem Urteil gegenüber LTO, nun habe auch der BGH klargestellt, dass es einen erheblichen Unterschied gebe zwischen einem Rechenschaftsbericht und einer Wahlkampfrede. Mit-Reformer und selbst RAK-Vorstandsmitglied Prof. Dr. Dirk Uwer erklärte, „die Wahlanfechtungskläger, die sich von Vertretern des Lagers um den aus dem Vorstand entfernten ehemaligen Präsidenten Schons bisweilen als ‚Verräter‘ haben denunzieren lassen müssen, und die sie unterstützende Minderheit im Vorstand haben heute endgültig Recht bekommen.“
Die beiden klagenden nicht gewählten Kandidaten Dr. Karl-Heinz Göpfert und Dr. Jochen Heide hätten sich, so Uwer, um die Wiederherstellung des Ansehens der Düsseldorfer Anwaltschaft verdient gemacht. Nach dem „für niemanden überraschenden Ausgang des Wahlanfechtungsverfahrens“ habe der Vorstand nun „die Gelegenheit und die Pflicht zur energischen Korrektur.“
Was kommt jetzt?
Wie das aussehen soll, ist derzeit offenbar noch nicht klar. Hauptgeschäftsführer Thiemo Jeck teilte auf LTO-Anfrage mit, das Präsidium der Kammer werde noch in dieser Woche die Folgen des Urteils beraten, der Vorstand sich ebenfalls zeitnah damit befassen und „die notwendigen Entscheidungen treffen“. Insbesondere werde der Vorstand auch darüber befinden, ob Ersatzwahlen durchgeführt werden. Turnusmäßig stehen die nächsten Wahlen in Düsseldorf im kommenden Frühjahr an.
Nun-Ex-Präsident Herbert P. Schons sagte noch am Montag in der mündlichen Verhandlung, ihm sei die Ansicht des BGH „absolut schleierhaft“. Es könnten ja Teilnehmer der Versammlung befragt werden, ob sie sich beeinflusst gefühlt hätten. Er habe keine Wahlrede gehalten. Zudem seien alle Teilnehmer Volljuristen, die eine Rede richtig bewerten könnten. Das Urteil wollte Schons auf Anfrage von LTO am Dienstag nicht mehr kommentieren: „Karlsruhe locuta, causa finita“ (Anm.: Wenn Karlsruhe gesprochen hat, ist der Fall beendet). Nicht nachvollziehbar sei für ihn aber, warum die anderen Gewählten darunter zu leiden hätten. Diese hätten von seiner Rede nichts gewusst und seien von ihm nicht mit einem Wort erwähnt worden, sondern hätten sich selbst vorgestellt.
Für Schons ist der Schaden am Ende hauptsächlich einer für seine Reputation. Im März will der Notar mit der altersbedingten Aufgabe des Notariats auch seine Tätigkeit in der Kammer ohnehin beenden. Er betonte gegenüber LTO; dass er bereits bei seiner Wiederwahl im Jahr 2019 erklärt habe, noch ein letztes Mal für zwei Jahre für das Amt zu kandidieren und dann auch nicht mehr dem Vorstand angehören zu wollen. Für die Anwaltskammer Düsseldorf bricht damit eine neue Ära an, so oder so.
*Anm. d. Red.: Nachtrag am Tag der Veröffentlichung, 14:29 Uhr: Es wurden bereits mind. zwei Kammerwahlen vom BGH annuliert, jeweils aber aus formalen Gründen. (pl)