Kein Lebensarbeitszeitkonto für Richter, Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung v. 12.01.2023, Az. 2 C 22.21

Richter haben keinen Anspruch auf Einrichtung eines Lebensarbeitszeitkontos und auf Gutschrift von Zeitguthaben. Deshalb ist nach Eintritt in den Ruhestand auch für einen finanziellen Ausgleichsanspruch gegen den Dienstherrn kein Raum. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Justizdienst des beklagten Landes Hessen, zuletzt als Richter am Landgericht. Noch während seines aktiven Richterdienstes stellte er einen Antrag auf Einrichtung eines Lebensarbeitszeitkontos sowie auf Gutschrift eines Zeitguthabens entsprechend den Regelungen für Hessische Landesbeamte. Antrag, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Ein finanzieller Ausgleichsanspruch wegen unterbliebener Einrichtung eines Lebensarbeitszeitkontos besteht nicht. Die einschlägigen Vorschriften für hessische Beamte sind auf den Kläger als Richter nicht anwendbar. Richter müssen sich ebenso wie Beamte mit ihrer ganzen Kraft dem Amt widmen. Der Umfang des geschuldeten richterlichen Einsatzes wird aber nach Arbeitspensen bemessen und richtet sich – anders als bei Beamten – nicht nach konkret vorgegebenen Arbeits- bzw. Dienstzeiten. Ein Lebensarbeitszeitkonto setzt jedoch die normative Festlegung einer Wochenarbeitszeit voraus.

Pressemitteilung Nr. 3/2023

Schadensersatz wegen verzögerter Reaktivierung eines vorzeitig pensionierten Beamten, Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung v. 15.11.2022, Az. 2 C 4.21

Wird ein wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzter Beamter wieder dienstfähig und beantragt er seine Reaktivierung (erneute Berufung in das aktive Beamtenverhältnis), hat der Dienstherr dem Antrag zu entsprechen, sofern dem nicht ausnahmsweise zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen. In diesem Rahmen hat der Dienstherr nur zu prüfen, ob es an jeglicher zumutbaren Verwendungsmöglichkeit fehlt. Dagegen darf er die Reaktivierung nicht solange hinausschieben, bis er tatsächlich einen dem Statusamt des Beamten entsprechenden Dienstposten gefunden hat. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger, ein Studiendirektor, wurde wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Im darauffolgenden Jahr stellte der Dienstherr im Anschluss an eine amtsärztliche Untersuchung die volle Wiederherstellung der Dienstfähigkeit fest. Knapp sieben Monate später – nachdem für ihn eine Einsatzschule gefunden war – wurde der Kläger reaktiviert.

Der Kläger begehrt Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen den Ruhestandsbezügen und der Besoldung für den Zeitraum zwischen der Feststellung der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit und der Reaktivierung. Sein Begehren ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zwar verletzt das Berufungsurteil revisibles Recht, die Ablehnung des Anspruchs auf Schadensersatz erweist sich aber aus anderen als den vom Berufungsgericht angenommenen Gründen als im Ergebnis richtig. Die Reaktivierung eines Ruhestandsbeamten nach § 29 Abs. 1 BeamtStG setzt einen – nicht notwendig schriftlichen – Antrag des Beamten sowie die auf einem ärztlichen Gutachten basierende Feststellung voraus, dass die Dienstfähigkeit des Beamten wiederhergestellt ist. In diesem Verfahren ist ferner nur noch zu prüfen, ob es den Dienstherrn vor nicht mehr hinnehmbare Schwierigkeiten stellen wird, für den zu reaktivierenden Beamten durch organisatorische Änderungen einen geeigneten Dienstposten zu schaffen. Dagegen hängt die Reaktivierung nicht davon ab, dass für den Beamten auch ein seinem Statusamt entsprechender Dienstposten gefunden wird.

Dass im vorliegenden Fall das beklagte Land hiervon nicht ausgegangen ist, kann ihm im Rahmen eines beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruchs nicht als schuldhaft angelastet werden. Soweit in der Rechtsprechung und in der Literatur überhaupt Ausführungen zum Prüfprogramm in derartigen Fällen gemacht worden waren, ergaben sich hieraus keine eindeutigen und zugleich dem dargestellten Maßstab entsprechende Anforderungen.

Pressemitteilung Nr. 68/2022 vom 15.11.2022

Menschen aus Düsseldorf: Das verschwundene Gericht, Rheinische Post v. 25.10.2022

Pempelfort. Der Anwalt Robert Hotstegs ist auf der Suche nach der ehemaligen Bundesdisziplinarkammer, die bis 1967 in Düsseldorf saß. Von der gibt es kaum Spuren – wohl auch, weil die Richter mithalfen, NS-Verbrechen zu vertuschen. 

von Marc Ingel

Robert Hotstegs kennt sich aus mit Beamtenrecht, seine Kanzlei an der Mozartstraße ist darauf spezialisiert. Das Disziplinarverfahren gegen einen Feuerwehrmann, die längst verdiente, aber nicht gewährte Beförderung im öffentlichen Dienst, der Lehrer, dem Nähe zum Reichsbürgertum vorgeworfen wird – bei solchen Verfahren ist die Hotstegs-Rechtsanwaltsgesellschaft Ansprechpartner. „Klingt etwas spröde, muss es aber nicht sein“, sagt Hotstegs.

Alles andere als öde ist jedenfalls auch das, womit sich Hotstegs seit ein paar Monaten quasi so nebenbei in seiner Freizeit beschäftigt. Er sucht ein verloren gegangenes Gericht, das rein thematisch eng verbunden ist mit seiner tagtäglichen Arbeit: Disziplinarrecht im weitesten Sinne. Es geht dabei um die Bundesdisziplinarkammer X (für römisch zehn), die von 1953 bis 1967 ein eigenständiges Bundesgericht in Düsseldorf war und zuerst in der Oberpostdirektion (heute GAP 15) und später in der Oberfinanzdirektion (inzwischen Bau- und Heimatministerium) ihren Sitz hatte. Nur: „Keiner weiß, was daraus geworden ist, es gibt keine Zeitzeugen, kaum Akten, erst recht keine Fotos“, sagt Hotstegs. 

INFO Verteidiger und Richter, Aktenzeichen und Akten

Hinweise Robert Hotstegs ist für alle Hinweise, die ihm bei der Suche nach der verschwundenen Bundesdisziplinarkammer X helfen, dankbar: „Ich weiß, dass Zeitzeugen rar werden. Aber vielleicht gibt es noch Erinnerungen und Spuren? Mich interessieren Verteidiger und Richter, Aktenzeichen und Akten.“ Kontakt: kanzlei@hotstegs-recht.de.

Das hat in solchen Fällen meist nur einen Grund: „Hier soll etwas unter den Teppich gekehrt werden“, vermutet der Jurist, der bislang zwar überall auf freundliches Interesse stieß, nur Antworten, die konnte ihm keiner liefern – was ihn natürlich nur noch mehr angestachelt hat, nachzubohren. Denn die obskure Disziplinarkammer hatte eben nicht nur über Fälle wie den Postbeamten, der im Dienst betrunken angetroffen wurde, oder den Bundesbahnangestellten, der falsch gekoppelt hat, zu entscheiden, sondern war auch mit der Aufarbeitung der NS-Zeit beschäftigt. Und hat sich, so weit lehnt sich Hotstegs jetzt schon aus dem Fenster, dabei nicht mit Ruhm bekleckert. „Das Gericht hat offensichtlich dazu beigetragen, Nazi-Kriegsverbrechern die Weste wieder schön rein zu waschen.“ Kein Wunder also, dass die Recherche des Anwalts so schwierig ist.

Für die Betroffenen hing viel ab von dem Urteil der Bundesdisziplinarkammer: „Nach einer Rehabilitation wurden sie wieder besoldet, blieben Rentenansprüche gültig“, so Hotstegs. Wer bei der Gestapo war, durfte nach Kriegsende nie wieder im öffentlichen Dienst arbeiten, „bei Tausenden anderen Beschäftigten sah das anders aus“. Ein Paradebeispiel für die These des Rechtsanwalts ist der Fall Gerhard Rose. Der war während des NS-Regimes Chef der Abteilung für tropische Medizin. Wegen seiner nachweislichen Beteiligung an Menschenversuchen im Konzentrationslager Buchenwald wurde er im Nürnberger Ärzteprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch siehe da: Nach der Haftentlassung 1955 wurde Rose von eben diesem Düsseldorfer Gericht plötzlich freigesprochen, auch seine Pensionsansprüche als Beamter erhielt er zurück. „Das steht in völligem Widerspruch zu dem, was über Rose bekannt war“, wundert sich Hotstegs, der in diesem Fall zumindest auf ein bisschen Literatur zurückgreifen kann. „Aber war Rose wirklich ein Einzelfall? Wohl eher nicht“, gibt sich der Hobby-Historiker selbst die Antwort.

Robert Hotstegs hat versucht, viele Quellen anzuzapfen, vom Stadtarchiv bis zur Mahn- und Gedenkstätte, vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bis zum Bundesarchiv in Koblenz. „Bis jetzt habe ich nur ganz wenig, und das ist schon erstaunlich in einer Zeit, in der die Vergangenheitsbewältigung doch so eine große Rolle spielt.“ Bis Januar wollte Hotstegs eigentlich eine Art Zwischenergebnis vorlegen, inzwischen hat er Zweifel, ob es ihm gelingt, das Mosaik bis dahin ausreichend zusammenzusetzen. „Ich stochere ein wenig im Nebel und habe ja auch noch einen richtigen Job. Aber aufgeben, das werde ich so schnell bestimmt nicht“, sagt Hotstegs.

Redebeitrag 73. Deutscher Juristentag in Bonn, Abteilung Justiz, 22.09.2022

73. Deutscher Juristentag in Bonn

Im Rahmen des 73. Deutschen Juristentages in Bonn hat die Abteilung Justiz den Themenkomplex „Empfehlen sich Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Besetzung von Richterpositionen?“ bearbeitet. Hierzu lag der Abteilung ein Beschlussvorschlag vor, der u.a. folgende Aspekte beinhaltete:

IV. Konkurrentenstreit

18. Um in Konkurrentenstreitverfahren zu bundeseinheitlichen Auslegungsmaßstäben zu gelangen, sollte das Verfahren instanziell neu geordnet werden. Der Eilrechtsschutz für Konkurrentenstreitverfahren um Richterstellen in den Ländern sollte bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. den Verwaltungsgerichtshöfen beginnen. Gegen diese Entscheidung sollte den Beteiligten die Beschwerde zum BVerwG offenstehen.

19. In Verfahren um Bundesrichterstellen sollte Rechtsschutz einschließlich des Eilrechtsschutzes nur vor dem BVerwG verortet werden.

Beschlussvorschlag der Abteilung Justiz

Hierzu hat Rechtsanwalt Robert Hotstegs folgenden Redebeitrag gehalten:

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren, mein Name ist Robert Hotstegs, ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Ich leite in Düsseldorf das Düsseldorfer Institut für Dienstrecht, ich bin ständiger Beisitzer am Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Düsseldorf.

Ich bin eben bei dem Beitrag zuvor ein wenig zusammengezuckt, als es ganz am Anfang hieß, dass wir eigentlich weniger Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Denn mein Auftakt sollte genau das Gegenteil sein: Wir brauchen mehr Konkurrentenstreitigkeiten, aber mit der Betonung darauf, dass wir mehr gute Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Am Ende, habe ich gemerkt, liegen wir gar nicht so weit auseinander, denn Sie wollen ja nicht den Streit als solchen verhindern, sondern Sie wollen diese, wenn ich das etwas verkürzt sagen darf, obsolet machen. Dadurch, dass eben die Qualität der Auswahlverfahren verbessert wird, da sind wir relativ nah beieinander.

Also ich möchte bei Ihnen werben für ein guten Konkurrentenstreit. Das bedeutet aus meiner Sicht – und deswegen möchte ich auch einen Änderungsantrag am Ende zu Protokoll reichen – auch, dass wir im Blick haben müssen, dass wir für das richterliche Dienstrecht nicht zusätzliche Insellösungen schaffen dürfen. Wir haben die Situation, dass wir bei Konkurrentenstreitigkeiten im Kern auch immer um die Auswahlentscheidung und die dienstliche Beurteilung streiten.

Wie sieht das aus, wenn Sie in unserer Kanzlei ein Konkurrentenstreit als Richterin oder Richter beauftragen? Dann streiten wir über Ihre dienstliche Beurteilung, womöglich vor dem Dienstgericht, weil ihre richterliche Unabhängigkeit tangiert ist. Wir streiten vor dem Verwaltungsgericht, weil die dienstliche Beurteilung im Übrigen angegriffen werden soll. Nach dem neuen Vorschlag in dem Beschlussvorschlag sollen wir dann vor dem Oberverwaltungsgericht oder dem Verwaltungsgerichtshof den Konkurrentenstreit im Eilverfahren einleiten, den Streit der Bundesrichterin und dem Bundesrichter dann bei dem Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich und letztinstanzlich. Damit entkoppeln wir aber das Richterdienstrecht ein Stückchen weiter vom Beamtenrecht.

Jetzt sagen die anwesenden Richterinnen und Richter: „Das ist ja auch richtig, wir sind keine Beamtinnen und Beamten.“ Das stimmt. Aber wir benutzen ähnliche Instrumente und wir führen aus meiner Sicht nicht den Weg dahin eine einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen, sondern wir haben noch mehr divergierende Entscheidungen zwischen Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten aus dem Beamtenrecht und dann womöglich einem erstinstanzlichen und letztinstanzlichen Bundesverwaltungsgericht bei den Bundesrichterstellen.

Das kann man machen, verkürzt aus meiner Sicht aber eben die Diskussion und das halte ich für falsch. Ich freue mich zwar, dass am Ende eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwältinnen und Anwälte herauskommt, weil sie den Anwaltszwang im Konkurrentenstreit einführen. Das begrüße ich aus egoistischen Gründen. Trotzdem werbe ich aber dafür: verzichten Sie bitte auf die Ziffer 19! Die Ziffer 19 ist, das Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich für Bundesrichterstellen zuständig zu machen. Davon halte ich überhaupt nichts. Ich habe an anderer Stelle schon einmal gesagt, bei allem Respekt vor anwesenden und nicht anwesenden Bundesverwaltungsrichterinnen und Bundesverwaltungsrichtern: ich halte das Bundesverwaltungsgericht nicht für eine gute erste Instanz, dafür ist es nicht in erster Linie gemacht. Es soll aus ganz anderen Rechtsgebieten noch weitere erstinstanzliche Zuständigkeiten erhalten.

Das ist Murks, wenn wir das im Richterdienstrecht auch noch einführen würden. Denn wenn wir beklagen, dass Eilverfahren die Hauptsache ersetzten – das ist gestern ja schon angeklungen – und zugleich zu lange dauern und Sie alle darunter leiden, egal, ob als Ausgewählter, als unterlegener Konkurrent oder als Behördenleitung, als Präsident oder Direktorin/Direktor. Wenn wir das beklagten, dann ist ja nicht die Verkürzung des Instanzenzuges automatisch Garant dafür, dass die Qualität besser wird. Dann gehen wir nach dem Bundesverwaltungsgericht nochmal vor das Bundesverfassungsgericht und schaffen uns da womöglich eine faktisch weitere Instanz.

Ich meine die Stellschrauben sollten andere sein, und dann schließt der Bogen zu dem Redebeitrag vorher. Wir können die Qualität verbessern, wenn wir Rechtsnormen schaffen. Ich werbe für gesetzliche Regelungen, für den Rahmen von Beurteilungsverfahren, für den Rahmen von Ausschreibungs- und Anforderungsprofilen, wir können aber auch den gesetzlichen Rahmen schaffen für die Beschleunigung von gerichtlichen Verfahren. Out of the box ist gestern schon ein paar Mal gedacht worden. Warum kann man die Konkurrentenstreitigkeiten nicht schneller führen? Zum Beispiel als Anleihe aus dem arbeitsgerichtlichen Prozess? Ich halte einen Gütetermin innerhalb von drei Wochen durchaus für denkbar. Da kann man Anleihen nehmen und das Verfahren beschleunigen und sich sogar zwei Instanzen gönnen.

Wir haben gute Richterinnen und Richter. Und ich glaube wir tun gut daran, wenn wir auch mehrere Instanzen auf Auswahlentscheidungen schauen lassen. Mein Änderungsantrag soll deswegen lauten, in der Ziffer 18 die Textstelle, dass „um Richterstellen in den Ländern vor OVG/VGH und Bundesverwaltungsgericht“ gestritten werden soll, zu ersetzen mit „um Richterstellen im Bund und in den Ländern“. Und siehe da, die Ziffer 19 kann entfallen. Wir entlasten das Bundesverwaltungsgericht von einer weiteren ersten Instanz. Danke sehr!

Die Abteilung ist dem Änderungsantrag nicht gefolgt und hat mit Mehrheit beschlossen, die Verlagerung des Instanzenzuges für Landesrichter:innen-Stellen auf Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht zu empfehlen, für Bundesrichter:innen-Stellen aber das streitige Verfahren ausschließlich erst- und letztinstanzlich auf das Bundesverwaltungsgericht zu verlagern.

Anspruch auf Generalsdienstposten nach förderlicher Auswahlentscheidung, Bundesverwaltungsgericht, Beschluss v. 06.09.2022, Az. 1 WB 29.21

Das Bundesverwaltungsgericht hat am Dienstag in einer interessanten Konstellation darüber entschieden, dass die letzte Versetzung eines Soldaten vor seiner Versetzung in den Ruhestand rechtswidrig war. Häufig besteht in derartigen Konstellationen schon kein Rechtsschutzbedürfnis, weil der frühere Soldat / die frühere Soldatin nicht (mehr) in ihren Rechten verletzt ist und ein sogenanntes Fortsetzungsfeststellungsinteresse häufig nicht zur Überzeugung der Gerichte dargelegt werden kann. Auch ist es häufig schwierig die hier festgestellte „Anwartschaft auf eine Beförderung“ darzulegen.

Im vorliegenden Fall eröffnet aber die Beweisaufnahme und die nun getroffene Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts sogar die Möglichkeit für den Betroffenen vor den ordentlichen Verwaltungsgerichten eine nachträgliche Beförderung bzw. Schadensersatz hierfür zu erstreiten.

Weil derartige Fragestellungen grundsätzliche Bedeutung haben, ist davon auszugehen, dass der Rechtsstreit womöglich durch alle Instanzen geführt wird. Dann könnte er auch am Ende erneut beim Bundesverwaltungsgericht landen, zuständig wäre dann dort aber der Beamtenrechtssenat.

Die Pressemitteilung Nr. 55/2022 vom 06.09.2022 lautet im Volltext:

Der 1. Wehrdienstsenat hat heute dem Antrag eines Generalleutnants a.D. auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner letzten dienstlichen Versetzung stattgegeben. Der Generalleutnant a.D. ist vom Mai 2019 bis März 2020 als Befehlshaber eines NATO-Kommandos in Europa auf einem Generalsdienstposten (B 10) eingesetzt worden und hat in dieser Verwendung vorübergehend den Dienstgrad General geführt (sog. „temporary rank“). Seine Hoffnung, dort vom Generalleutnant („Drei-Sterne-General“) zum General („Vier-Sterne-General“) befördert zu werden, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr ist er mit Verfügung vom 11. März 2020 vom Allied Joint Force Command in Brunssum (Niederlande) nach Berlin auf eine mit B 9 dotierte Position zurückversetzt und später als Generalleutnant in den Ruhestand verabschiedet worden.

Diese Versetzung war rechtswidrig. Der 1. Wehrdienstsenat hat durch Vernehmung mehrerer hochrangiger Zeugen – insbesondere des früheren und gegenwärtigen Generalinspekteurs der Bundeswehr und des ehemaligen Staatssekretärs – die Umstände aufgeklärt, die zur Auswahl des Antragstellers zum Befehlshaber des NATO-Hauptquartiers in Brunssum geführt haben. Danach ist er im Frühjahr 2018 in einem Auswahlverfahren unter Berücksichtigung mehrerer Generalleutnante nach Eignung, Leistung und Befähigung im Sinne des § 3 Abs. 1 SG und des Art. 33 Abs. 2 GG mit dem Ziel der Beförderung ausgewählt worden. Eine hinreichend begründete Auswahlentscheidung, die den Dokumentationsanforderungen des Prinzips der Bestenauslese entsprochen hätte, liegt zwar nicht vor. Der Dienstherr kann sich aber auf diesen von ihm selbst verschuldeten Formmangel im Verhältnis zum ausgewählten Bewerber nicht berufen. Vielmehr muss er die Auswahlentscheidung gegen sich gelten lassen und kann den ausgewählten Bewerber, der eine Anwartschaft auf eine Beförderung erworben hat, nicht ohne Weiteres wieder auf einen Dienstposten mit geringerer Dotierungshöhe versetzen.

Die Versetzung vom März 2020 war auch nicht ausnahmsweise deswegen zulässig, weil die ursprüngliche förderliche Auswahlentscheidung im April 2019 einvernehmlich in eine reine Querversetzung abgeändert worden wäre. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist damals zwar bei einem Gespräch mit der Verteidigungsministerin die Dauer der Verwendung im NATO-Hauptquartier einvernehmlich von drei Jahren auf elf Monate verkürzt worden. Hingegen ist ein Ausbleiben der Beförderung nicht besprochen worden. Eine Umwandlung der förderlichen Auswahlentscheidung in eine vorübergehende höherwertige Verwendung wurde auch nicht verfügt. Lediglich soweit der Antragsteller die Angabe der voraussichtlichen Verwendungsdauer in seiner Versetzung nach Brunssum angegriffen hat, blieb sein Antrag ohne Erfolg.

Über die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die von ihm beantragte Beförderung hatte, hatte der 1. Wehrdienstsenat nicht zu entscheiden. Diese Frage ist Gegenstand eines beim Verwaltungsgericht Berlin anhängigen Rechtsstreits. Die dem zugrundeliegende Aufteilung des Rechtswegs ergibt sich aus § 17 Abs. 1 WBO und § 82 Abs. 1 SG.

Darf man das noch sagen? Beharrliche Gehorsamsverweigerung bei Corona-Bekämpfung führt zur Dienstentfernung einer JVA-Beamtin, Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 21.06.2022, Az. 3 K 802/22.TR

Porta Nigra, Trier

Eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Trier lenkt einerseits den Blick darauf, dass die Gehorsamspflicht der Beamt:innen auch bedeutet Corona-Schutzmaßnahmen zu kommunizieren, ggf. mit umzusetzen und nicht aber zu unterlaufen. Gerade bei Behörden, die von ihrer grundsätzlichen Aufgabenstellung zur Durchsetzung von Recht und Ordnung berufen sind (etwa Polizei, Justizvollzug, Zoll, Gerichte), ist hier ein strengerer Maßstab anzulegen als etwa bei Hochschulen, die den wissenschaftlichen Diskurs über die Wirksamkeit und Unwirksamkeit von Maßnahmen führen.

Andererseits führt die Entscheidung aber auch noch einmal die Geschwindigkeit von manchen Disziplinarklageverfahren vor Augen. Während das behördliche Disziplinarverfahren sich oftmals schon von Gesetzes wegen über mindestens ein halbes Jahr erstreckt, bestehen im gerichtlichen Verfahren über die Disziplinarklage nur wenige Fristen. Die vorliegende Entscheidung ist nach knapp drei Monaten ergangen.

Über die Berufung entscheidet das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz. Eine Revision und auch eine Nichtzulassungsbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht ist vom Gesetzgeber in § 53 S. 4 LDG RLP ausdrücklich ausgeschlossen worden.

Da die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis weitreichende wirtschaftliche (Verlust der Besoldung und Behilfe), rentenrechtliche (Nachversicherung in der Deutschen Rentenversicherung) und sozialrechtliche (kein Arbeitslosengeld, Anspruch auf Arbeitslosengeld II) Folgen hat, beraten wir parallel zu der Disziplinarverteidigung in derartigen Verfahren auch immer zugleich über Alternativen und Auswege. Unter anderem informieren wir mit unserer „roten Karte„.

Die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts lautet im Volltext:

Die landesweit für das Disziplinarrecht zuständige 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Trier hat eine Justizvollzugsbeamtin, die sich u.a. geweigert hat, dienstliche Anordnungen in Bezug auf die Corona-Pandemie umzusetzen, aus dem Dienst entfernt.

Der Beamtin wurde im Rahmen des gegen sie eingeleiteten Disziplinarverfahrens zur Last gelegt, beharrlich kundgetan zu haben, sich nicht an eine Hausverfügung zur Umsetzung der 26. Corona-Bekämpfungsverordnung RLP in Bezug auf die Corona-Testpflicht nach längerer Abwesenheit vom Arbeitsplatz halten zu wollen. Sie werde sich auch vor dem anstehenden Einsatztraining und Dienstsport nicht testen lassen. Ihre Verweigerungshaltung äußerte sie in einer an den Leiter der JVA adressierten E-Mail, unmittelbar gegenüber ihrem Vorgesetzten sowie in einem anlassbezogenen Personalgespräch. Außerdem äußerte sie sich gegenüber Kollegen, dem unmittelbaren Vorgesetzten und dem Leiter der JVA wiederholt in hohem Maße kritisch gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, indem sie die Corona-Pandemie u.a. als „Propagandazirkus, gezielte Angst- und Panikmache sowie gezielte Täuschung des Staates“ bezeichnete. Ferner riet sie Gefangenen mit der Begründung, dass der Impfstoff noch in einer experimentellen Phase stecke und ein Versuch am Menschen sei, von einer Impfung ab. Im März 2022 hat das Land beim erkennenden Gericht Klage mit dem Ziel der Entfernung der Beamtin aus dem Dienst erhoben.

Die Richter der 3. Kammer des Gerichts werteten die beharrliche Verweigerungshaltung der Beamtin sowie ihre wiederholten innerdienstlichen Äußerungen in Bezug auf die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung sowie zur Impfung als einheitliches schweres Dienstvergehen, mit dem die Beamtin das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren habe. Ein Beamter müsse auch und gerade durch sein Verhalten innerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordere. Dabei könne eine ernsthaft gemeinte Ankündigung eines Beamten, einer Weisung zukünftig nicht Folge leisten zu wollen – ebenso wie ein Gehorsamsverstoß selbst – bereits eine erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses zur Folge haben. Die Gehorsamspflicht gehöre zum Kernbereich der einem Beamten obliegenden Dienstpflichten. Eine ernst gemeinte Verweigerungshaltung berühre im hochsicherheitsrelevanten Bereich einer JVA grundsätzlich den Kernbereich des beamtenrechtlichen Dienst– und Treueverhältnisses. Die Beamtin habe die Coronatests erkennbar nicht wegen eines damit verbundenen Eingriffs in ihre psychische oder physische Integrität oder aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt, sondern alleine, weil sie deren Sinnhaftigkeit in Zweifel gezogen habe. Es stehe ihr jedoch nicht zu, mit Überlegungen, dass das Testen oder Impfen nicht zielführend sei, da es mutmaßlich keine Corona-Pandemie gebe, die wissenschaftliche Rechtfertigung von Schutzmaßnahmen in Frage zu stellen, zu deren Umsetzung eine JVA nach der geltenden Rechtsordnung verpflichtet sei. Mit ihren Äußerungen habe die Beamtin auch eindeutig die Grenze der grundgesetzlich gewährleisteten Meinungsfreiheit überschritten, da sie den Rahmen sachlicher Kritik an Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung weit verlassen habe. Ein Beamter sei an Recht und Gesetz gebunden; ihm stehe es gerade nicht frei, diesen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zählenden Grundsatz nur bei Vereinbarkeit mit seiner eigenen Überzeugung zu berücksichtigen und anderenfalls durch sein Verhalten zu unterwandern. Außerdem habe die Beamtin ihr Vertrauensverhältnis zu den von ihr zu betreuenden Gefangenen dazu ausgenutzt, diese im Rahmen einer Abfrage der Impfbereitschaft durch gezielte einseitige, manipulative Informationen von einer Impfung abzuhalten, womit sie gegen ihre Pflicht zur gewissenhaften Pflichterfüllung im Strafvollzug verstoßen habe. Mit ihrem Verhalten habe die Beamtin klar zu erkennen gegeben, dass sie sich aus allein eigennützigen Motiven an die aus Fürsorgegesichtspunkten erlassenen Schutzmaßnahmen für Leib und Leben nicht gebunden fühle und sich dieser Gemeinwohlverpflichtung nicht unterwerfen wolle. Hierdurch habe sie sich im hohen Maße treuwidrig verhalten. Angesichts des im Laufe des Verfahrens zutage getretenen unbelehrbaren Persönlichkeitsbildes der Beamtin stehe auch zukünftig ein pflichtgemäßes Verhalten nicht zu erwarten, sodass eine Entfernung aus dem Dienst geboten sei. 

Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten innerhalb eines Monats die Berufung an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zu.

Pressemitteilung 18/2022
Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 21.06.2022, Az. 3 K 802/22.TR

Keine Beteiligung des Integrationsamtes bei der Versetzung schwerbehinderter Lebenszeitbeamter in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 07.07.2022, Az. 2 A 4.21

Die Zurruhesetzung eines schwerbehinderten Beamten auf Lebenszeit wegen Dienstunfähigkeit bedarf nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 168 SGB IX. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger ist Regierungsobersekretär (Besoldungsgruppe A7 BBesO) im Bundesdienst und wird beim Bundesnachrichtendienst verwendet. Aufgrund eines Autounfalls mit anschließender durchgehender „Arbeitsunfähigkeit“ veranlasste der Bundesnachrichtendienst die amts- sowie fachärztliche Untersuchung des Klägers. Bereits zum Zeitpunkt der Einleitung des Zurruhesetzungsverfahrens war er als Schwerbehinderter im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt. Die Zurruhesetzung des Klägers wegen Dienstunfähigkeit erfolgte ohne vorangehende Beteiligung des Integrationsamtes.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat bezogen auf die Notwendigkeit der Beteiligung des Integrationsamtes zur Begründung insbesondere ausgeführt: Das innerstaatliche Recht schreibt die Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes vor der Versetzung eines Lebenszeitbeamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit nicht vor. Nach den Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 9. März 2017, C- 406/15, Milkova) zwingt aber auch das Unionsrecht nicht dazu, Arbeitnehmer und Lebenszeitbeamte im Hinblick auf das Erfordernis der Zustimmung des Integrationsamtes bei der Beendigung der aktiven Berufstätigkeit gleich zu behandeln. Das durch das Verfahren der Zurruhesetzung für Lebenszeitbeamte begründete Schutzniveau bleibt jedenfalls nicht hinter dem durch §§ 168 ff. SGB IX für Arbeitnehmer begründeten zurück. Bei Arbeitnehmern dient das Erfordernis der Zustimmung des Integrationsamtes dazu, die Ausübung des Kündigungsrechts durch den privaten Arbeitgeber einer vorherigen staatlichen Überprüfung zu unterziehen. Ziel ist der Ausgleich der regelmäßig geringeren Wettbewerbsfähigkeit schwerbehinderter Menschen auf dem privaten Arbeitsmarkt. Dieser Aspekt ist für die Zurruhesetzung eines Lebenszeitbeamten wegen Dienstunfähigkeit nicht von Bedeutung. Denn besteht ein Restleistungsvermögen, verbleibt der Beamte typischerweise im aktiven Beamtenverhältnis und wird nicht zur Ruhe gesetzt. Zudem wird durch die Zurruhesetzung ein Ruhestandsbeamtenverhältnis begründet, aufgrund dessen der Dienstherr dem Beamten in vielfältiger Hinsicht verpflichtet ist, insbesondere durch die Möglichkeit der Reaktivierung im Falle der Wiederherstellung seiner Dienstfähigkeit.

(Pressemitteilung v. 07.07.2022)

Verwaltungsgericht: „Lehrer haben in den Ferien immer Urlaub“ | Dienstrecht | Pressemitteilung 2022-01

Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft
Düsseldorf, den 07.07.2022

::: Pressemitteilung 01/2022 :::

Verwaltungsgericht: „Lehrer haben in den Ferien immer Urlaub“
aktuelle Entscheidung aus Gelsenkirchen zeigt für Experten eklatante Mängel im Urlaubsrecht


Düsseldorf. Jede:r Arbeitnehmer:in hat einen Anspruch auf Erholungsurlaub, auch bei Lehrer:innen, unabhängig davon ob sie beim Land NRW angestellt sind oder in einem Beamtenverhältnis stehen. Wenn der Volksmund formuliert, Lehrer:innen hätten im Sommer sechs Wochen Urlaub und damit die unterrichtsfreie Zeit dem Urlaub gleichstellt, dann tut er nichts anderes als ein aktuelles Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen (Az. 1 K 4290/20). „Das ist ein Skandal. Denn das Gericht macht deutlich, dass Lehrer:innen nie vorab wissen, wann sie Urlaub und wann unterrichtsfrei haben.“, erläutert Fachanwalt Robert Hotstegs. Das Gegenteil sei aber erforderlich.

Im konkreten Fall war eine Lehrerin seit März 2017 dienstunfähig erkrankt. Im August 2019 musste sie daher auch in den vorzeitigen Ruhestand versetzt werden. Vor Gericht machte sie nun geltend, dass sie den Urlaub der Jahre 2017 bis 2019 nicht in Anspruch nehmen konnte. „Tatsächlich spricht der Wortlaut der Rechtsgrundlagen dafür, dass die Urlaubstage aus der Krankheitszeit ausbezahlt werden müssen“, erklärt Hotstegs. Etwas anderes gelte nach einer Verordnung des Landes NRW nur, wenn die betroffene Lehrerin von der Bezirksregierung vorab konkret auf den Verfall alter Urlaubsansprüche hingewiesen worden wäre. Dies geschehe bei Lehrer:innen nie.

„Europarecht bricht Landesrecht“

„Das Gericht hat in seinem Urteil ausgeführt, dass Lehrer:innen-Urlaub automatisch in den Ferien stattfinde. Sozusagen unsichtbar.“ Was auf den ersten Blick selbstverständlich und logisch erscheine, unterlaufe aber den Gesundheits- und Arbeitsschutz. „Da Lehrer:innen in NRW keinen Urlaubsantrag stellen können, weiß etwa die Schulleitung oder das Kollegium nicht, wann jemand sich berechtigt erholt und wann jemand arbeitet. Die EU hält den Schutz der Einzelnen aber hoch. Sie sollen im Urlaub grundsätzlich Ruhe haben und sich erholen können. Nichts spricht dagegen, dies auch durch Urlaubsanträge für Ferienzeiten konkret zu organisieren.“ Dies würde, so Fachanwalt Robert Hotstegs, vielfach auch den Druck nehmen als Lehrer:in stets „allzeit bereit“ zu sein.

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat die Berufung zum Oberverwaltungsgericht NRW zugelassen. Hotstegs, der nicht an dem Verfahren beteiligt war, würde sich freuen, wenn das Verfahren weiterbetrieben würde. Es würde helfen wichtige Rechtsfragen zu klären.


::: Kontakt :::

Rechtsanwalt Robert Hotstegs
T: 0211 / 497657-16
E: hotstegs@hotstegs-recht.de
www.hotstegs-recht.de

::: die Kanzlei :::

Seit 1985 berät die Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft in Spezialgebieten. Der öffentliche Dienst für Beamt:innen und Angestellte, die Verteidigung in Disziplinarverfahren und daneben die Verfahren der Bürgerbeteiligung sind ihre Schwerpunkte. Die Kanzlei vertritt Mandant:innen bundesweit.

NRW-Besoldung der Richter:innen und Beamt:innen in den Jahren 2013 und 2014 verfassungswidrig, Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse v. 29.04.2022, Az. 26 K 2275/14, 26 K 6317/14, 26 K 258/15

Mit heute in öffentlicher Sitzung verkündeten Beschlüssen hat die 26. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Regelungen über die Besoldung der Richter und Beamten des Landes Nordrhein-Westfalen (konkret: Grundgehälter der Besoldungsgruppen R 1, R 2 und B 3) in den Jahren 2013 und 2014 mit dem sog. Alimentationsprinzip nach Art. 33 Abs. 5 des Grundgesetzes vereinbar sind.

Die Kläger in drei Parallelverfahren sind zwei Richter (Besoldungsgruppen R 1 und R 2) sowie ein – inzwischen im Ruhestand befindlicher – Beamter (Besoldungsgruppe B 3) im Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie machen mit ihren Klagen geltend, sie seien in den Jahren 2013 und 2014 nicht amtsangemessen besoldet worden.

Mit dem Gesetz zur Anpassung der Dienst- und Versorgungsbezüge 2013/2014 erhöhte der Gesetzgeber die Grundgehälter der Beamten und Richter gestaffelt nach Besoldungsgruppen. Die Grundgehälter für die Besoldungsgruppen A 2 bis A 10 wurden entsprechend dem Ergebnis der Tarifverhandlungen für die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst erhöht. Die Erhöhung für die Besoldungsgruppen A 11 und A 12 blieb hinter dem Tarifabschluss zurück. Für alle anderen Beamten sowie für die Richter und Staatsanwälte war keine Erhöhung vorgesehen. Mit Urteil vom 1. Juli 2014 – VerfGH 21/13 – entschied der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, dass diese Regelung verfassungswidrig war. Daraufhin erließ der Landtag ein Änderungsgesetz, das auch für die Besoldungsgruppen ab A 13 eine – allerdings gegenüber dem Tarifabschluss geringere – Erhöhung der Grundgehälter vorsieht. Nach der Überzeugung der Kammer ist diese Regelung, soweit sie die Besoldungsgruppen der Kläger betrifft, verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Reihe von Entscheidungen materielle Anforderungen an die Besoldungsgesetzgebung herausgearbeitet. Außerdem ist eine besoldungsrechtliche Regelung bereits dann verfassungswidrig, wenn der Besoldungsgesetzgeber eine Besoldungsanpassung nur unzureichend begründet hat. Das ist hier der Fall. Die Gesetzgebungsmaterialien lassen nicht nachvollziehbar erkennen, anhand welcher Methode der Gesetzgeber die Besoldung fortgeschrieben hat und welche Tatsachen der Entscheidung zugrunde liegen. Ob das Gesetz auch gemessen an den materiellen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zu beanstanden ist, hat die Kammer offen gelassen.

Da die Entscheidung über die Gültigkeit eines Gesetzes den Verfassungsgerichten vorbehalten ist, musste das Verwaltungsgericht die Verfahren aussetzen. Es hat das Bundesverfassungsgericht zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit der besoldungsrechtlichen Regelung angerufen.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur für die Kläger der vorliegenden Verfahren, sondern auch für zahlreiche Beamte, Richter und Staatsanwälte relevant, die gegen die Besoldung der Jahre 2013 und 2014 Widersprüche eingelegt haben, über die das zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen – mit Rücksicht auf anhängige Gerichtsverfahren – noch nicht entschieden hat. Beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen sind weitere Parallelverfahren anhängig.

Pressemitteilung v. 27.04.2022

Kürzung der Dienstbezüge im ausgesetzten Disziplinarverfahren, Dienstgericht für Richter bei dem LG Düsseldorf, Beschluss v. 15.03.2022, Az. DG-2/2021

(C) Landgericht Düsseldorf

Die Entscheidung lautet im Volltext:

1. Von den monatlichen Dienstbezügen der Antragsgegnerin werden 30 Prozent einbehalten.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die am … geborene Antragsgegnerin trat am … als Richterin auf Probe in den richterlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen ein. Am … wurde sie zur Richterin am Amtsgericht am Amtsgericht Lüdenscheid ernannt. Mit Wirkung vom … wurden ihr durch die Geschäftsverteilung im Wesentlichen Familien- und Strafsachen zur Bearbeitung zugewiesen.

Mit Verfügung vom … leitete der Präsident des Landgerichts R. ein Disziplinarverfahren gegen die Antragsgegnerin ein, das mit Verfügungen vom … und … ausgedehnt wurde. Im Wesentlichen wird der Antragsgegnerin vorgeworfen

in insgesamt acht Strafverfahren entgegen der gesetzlichen Fristen Urteilsgründe über Zeiträume bis zu 16 Monate nicht schriftlich abgefasst zu haben und die Vollstreckung bzw. den Fortgang der Verfahren erheblich verzögert zu haben,

in mindestens zwei weiteren Strafverfahren die mit vollständigen Gründen versehenen Urteile nicht oder bis zu 202 Tage nach Ablauf der Absetzungsfrist zu den Akten gebracht zu haben,

weitere 41 Verfahren inhaltlich nicht oder nur verzögert gefördert zu haben,

in vier Straf- und drei Familiensachen für den Verlust der Verfahrensakten verantwortlich zu sein und

in einem weiteren Strafverfahren das Protokoll der Hauptverhandlung eigenhändig abgeändert zu haben, um zu verschleiern, dass in dem Termin ein Urteil verkündet wurde.

Darüber hinaus wurde der Vorwurf erhoben, die nachträgliche Abfassung der Urteile sei durch Rückdatierungen verschleiert und die Fristüberschreitung verheimlicht worden. In einem Fall sollen auch gegenüber Verfahrensbeteiligten bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht und ein Beschluss zurückdatiert worden sein.

Der Antragsteller hat bei dem hiesigen Dienstgericht mit Antrag vom 16.11.2020 (Az. DG-12/2020) die vorläufige Dienstenthebung der Antragsgegnerin beantragt. Auf den Antrag hin hat das Dienstgericht mit Beschluss vom 21.07.2021 die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen. Die Beschwerde zum Dienstgerichtshof hat dieser mit Beschluss vom 05.01.2022 (Az. 1 DGH 1/2021) zurückgewiesen. Die Entscheidung ist somit rechtskräftig.

Wegen des dem Disziplinarverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts ist ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen die Antragsgegnerin eingeleitet und Anklage durch die Staatsanwaltschaft G. erhoben worden. Das Landgericht Hagen hat die Antragsgegnerin mit Urteil vom 18.11.2021 (Az. 46 KLs – 31 Js 264/20 – 8/21) wegen Rechtsbeugung in zehn Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in sechs Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Antragsgegnerin hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

Die Antragsgegnerin ist zuletzt im April 2017 mit dem Gesamtergebnis „überdurchschnittlich“ dienstlich beurteilt worden.

Sie ist seit dem … durchgängig dienstunfähig erkrankt.

Am 28.06.2021 hat der Antragsteller den Antrag auf Einbehaltung der Dienstbezüge gestellt. Zur Begründung trägt der Antragsteller im Wesentlichen vor, es sei voraussichtlich mit der Entfernung der Antragsgegnerin aus dem Dienst zu rechnen und eine Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge sei ihr auch wirtschaftlich zumutbar.

Der Antragsteller beantragt,

50 Prozent der monatlichen Dienstbezüge der Antragsgegnerin gemäß §§ 77 Abs. 1, 81 Abs. 1 LRiStaG NRW i.V.m. § 38 Abs. 2 LDG NRW einzubehalten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin im Wesentlichen vor, die angeschuldigten Dienstpflichtverletzungen seien ihr im Hinblick auf ihre Erkrankung nicht vorwerfbar bzw. nicht verschuldet. Die Entscheidung im Strafverfahren sei noch nicht rechtskräftig, für sie gelte daher die Unschuldsvermutung. Überdies sei die Kürzung der Dienstbezüge dem Umfang nach nicht gerechtfertigt, da der Antragsteller in unzulässiger Weise notwendige Ausgaben unberücksichtigt gelassen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie der Personalakten und Disziplinarvorgänge Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet.

1. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 Landesrichter- und Staatsanwältegesetz (LRiStaG), § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 2 Landesdisziplinargesetz Nordrhein-Westfalen (LDG NRW) kann das Dienstgericht auf Antrag des Justizministeriums gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

Der Einbehalt der Dienstbezüge setzt zunächst voraus, dass die vorläufige Dienstenthebung angeordnet worden ist.

vgl. Fischer, Disziplinarrecht und Richteramt, S. 162.

Die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung ist im Zeitpunkt der dienstgerichtlichen Entscheidung gegeben. Sie wurde mit Beschluss des Dienstgerichtshofs vom 05.01.2022 (Az. 1 DGH 1/2021) rechtskräftig.

Darüber hinaus muss die Richterin eines Dienstvergehens dringend verdächtig sein, das ihre Entfernung aus dem Amt rechtfertigen würde. Die Voraussetzungen liegen auch vor, wenn eine noch nicht rechtskräftige Entscheidung im Strafverfahren oder gerichtlichen Disziplinarverfahren mit ihrer Rechtskraft den Verlust des Richteramtes nach sich zieht.

vgl. Fischer, Disziplinarrecht und Richteramt, S. 162 m.w.N.

Das Disziplinarverfahren ist in der Hauptsache gegen die Antragsgegnerin noch nicht abgeschlossen. Das Dienstgericht hat in seinem Beschluss vom 21.07.2021 (Az. DG-12/2020) ausgeführt:

„Es kann offenbleiben, ob im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf eine Entfernung aus dem Richterdienstverhältnis erkannt werden wird, weil dies maßgeblich auch von den medizinischen und therapeutischen Feststellungen und deren Bewertung im Rahmen der Schuldzumessung und des Verschuldens abhängig sein dürfte.

Vgl. insbesondere auch Dienstgerichtshof für Richter bei dem Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 26. Juli 2012, Az. 1 DGH 2/11, juris.

Der Antrag auf vorläufige Dienstenthebung des Antragsgegners kann aber dessen ungeachtet mit Erfolg auf § 81 Abs. 1 S. 1 LRiStaG, § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 S. 2 LDG NRW gestützt werden.

Gemäß § 77 Abs. 1 LRiStaG, § 38 Abs. 1 Satz 2 LDG NRW kann ein Richter vorläufig des Dienstes enthoben werden, wenn durch das Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Eine vorläufige Diensthebung setzt hiernach zunächst voraus, dass durch das Verbleiben des Richters im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden.

Dies ist vorliegend der Fall. Zwar gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden, d.h. bei ihrem Verbleib im Dienst die nahe liegende Gefahr bestehen würde, dass das disziplinarrechtliche Verfahren nicht durch umfassende Sachverhaltsermittlung zu einem ordnungsgemäßen Abschluss gebracht werden könnte.

Vgl. allgemein Urban, in: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 38 Rn. 23.

Aber durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst würde der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt.

Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes kann angenommen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass durch die Anwesenheit der Antragsgegnerin und die von ihr hervorgerufenen disziplinarrechtlich erheblichen Umstände eine sachgerechte Erfüllung der dienstlichen Aufgaben in ihrer Dienststelle wahrscheinlich gefährdet würde.

Vgl. allgemein Urban, in: Urban/Wittkowski, Bundesdisziplinargesetz, 2. Auflage 2017, § 38 Rn. 22.

Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebs (§ 38 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 LDG NRW) ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und hierunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist.

Vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 25. März 2013 – 19 ZD 4/13 -, juris, Rn. 8; Bayerischer VGH, Beschluss vom 11. Dezember 2013 – 16a DS 13.706 -, juris, Rn. 87.

Ist es wie vorliegend offen, ob eine Dienstentfernung im Disziplinarverfahren in Betracht kommen kann, so bedarf es zudem eines besonderen rechtfertigenden Grundes dafür, dass eine Richterin in der Zeit von der Einleitung des Disziplinarverfahrens an bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss ihren sich aus dem bestehenden Dienstverhältnis ergebenden Anspruch auf Ausübung ihres Amtes vorübergehend verliert. Eine pauschale Begründung reicht dabei nicht aus. Erforderlich ist die Darlegung, in welchen besonderen Umständen im Falle der Weiterbeschäftigung der Richterin die Gefährdung oder Störung der dienstlichen Belange liegen könnte. Zur Feststellung einer wesentlichen Beeinträchtigung bedarf es einer Abwägung zwischen dem Ausmaß der unmittelbaren Gefährdung oder Störung des Dienstbetriebes und den nachteiligen Auswirkungen und Belastungen für den Betroffenen.

Vgl. zum Beamtenrecht: BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 1977 – 2 BvR 80/77 -, juris, Rn. 40; BVerwG, Beschluss vom 1. September 2000 – 1 DB 16/00 -, juris, Rn. 11; Beschluss vom 16. Mai 1994 – 1 DB 7/94 -, juris, Rn. 13 (zu § 91 BDO); OVG NRW, Beschluss vom 17. November 2016 – 3d B 547/16.O -, juris, Rn. 56.

Eine diesen Anforderungen genügende Darlegung einer wesentlichen Beeinträchtigung des Dienstbetriebes bei einer Amtsausübung der Antragsgegnerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens ist dem Antrag und der Disziplinarakte hinreichend deutlich zu entnehmen.

Danach ist es in der Vergangenheit – ohne dass es auf die Frage der Vorwerfbarkeit und des Verschuldens der Antragsgegnerin ankommt – in über 50 Straf- und Familiensachen zu irregulären Verfahrensabläufen gekommen.

Die Antragsgegnerin hat derzeit einen Teil der erhobenen Vorwürfe als unstreitig eingeräumt. Danach habe sie elf konkret benannte Verfahren nicht nach Durchführung der Hauptverhandlung ordnungsgemäß zu Ende bearbeitet, sodass ein schriftlich abgefasstes Urteil abgesetzt und zur Akte gebracht worden wäre (Bl. 33 GA). In 13 Verfahren habe sie die unter dem Urteil befindliche Verfügung zurückdatiert (Bl. 34 GA). In weiteren 41 Verfahren hat die Antragsgegnerin eingeräumt, die Verfahren nicht betrieben zu haben (Bl. 34 GA).

Die Antragsgegnerin trägt vor, sie leide unter einer diagnostizierten Störung der Impulskontrolle und einem Verlust der Steuerungsfähigkeit. Sie bedürfe daher eines Mentorings und einer Begleitung (Bl. 44 GA).

Der Antrag verweist im Ergebnis unstreitig und zur derzeitigen Überzeugung des Gerichts zum einen auf die zahlreichen der Antraggegnerin zur Last gelegten Dienstvergehen und zum anderen auf die besondere Vertrauensstellung als Richterin am Amtsgericht, die strukturell in keinen Spruchkörper von anderen Berufsrichter:innen eingebunden ist und die ihr Richteramt auch weisungsungebunden ausüben muss. Damit ist etwa jedes Mentoring, das die Art und Weise richterlicher Dienstausübung gestaltet problematisch.

Darüber hinaus ist aber aktuell – unabhängig von der Frage eines Verschuldens oder einer Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens der Antragsgegnerin – aus therapeutischer Sicht wie auch aus Sicht der Antragsgegnerin selbst damit zu rechnen, dass es zu weiteren Verstößen insbesondere gegen gesetzliche Absetzungsfristen kommen wird.

Der Dienstbetrieb des Amtsgerichts, der auf zeitnahe gerichtliche Entscheidungen ausgerichtet ist und der der Realisierung des Justizgewährleistungsanspruchs aus Art. 19 Abs. 4 GG dient, wäre hierdurch erheblich gestört. Nicht durch die Antragsgegnerin abgeschlossene Verfahren müssten entweder von anderen Richter:innen im Wege der Geschäftsverteilung übernommen und ggf. unter Wiederholung von Beweiserhebungen, mündlichen Verhandlungen und Hauptverhandlungen erneut behandelt und sodann entschieden werden oder derartige Verfahren würden ohne Schlussentscheidung Gegenstand von Verzögerungsrügen, Beschleunigungsrügen oder Rechtsmitteln. Der Dienstbetrieb des Amtsgerichts wäre erheblich eingeschränkt seine gesetzlich zugewiesene Aufgabe wahrzunehmen.

Die vorläufige Dienstenthebung dient damit auch der Sicherstellung der Rechtspflege. Würde dem Antrag nicht entsprochen, könnte die Antragsgegnerin jederzeit aus der Dienstunfähigkeit in den Dienst zurückkehren. Ihr stünde sodann unmittelbar eine amtsangemessene und inhaltlich unabhängig auszuübende, rechtsprechende Beschäftigung zu.

Da die Antragsgegnerin selbst dargelegt hat, dass sie die Nichtförderung von Verfahren oder Nichtabsetzung von Entscheidungen nicht steuern oder vorhersehen konnte, erscheint es nach derzeitigem Kenntnisstand ausgeschlossen, dass die Antragsgegnerin einen – wie auch immer gestalteten – Anteil an der Geschäftsverteilung des Amtsgerichts eigenständig wahrnimmt. Sie bedürfte derzeit einer organisatorischen Kontrolle, die weder durch eine Serviceeinheit, noch durch Richterkolleginnen und -kollegen oder gar die Gerichtsleitung wahrgenommen werden könnte. Denn jede kontinuierliche inhaltliche Kontrolle nach der Reihenfolge der Bearbeitung der Verfahren oder nach der Absetzung von Entscheidungen, würde eine unzulässige Ausübung von Dienstaufsicht darstellen. Weder kann die Antragsgegnerin auf ihre richterliche Unabhängigkeit verzichten, noch darf den Rechtsuchenden entgegen Art. 97 Abs. 1 GG die Rechtsprechung durch eine derart kontrollierte Richterin „angeboten“ werden.

Würde die Antragsgegnerin nicht vorläufig des Dienstes enthoben und würde sie sich wieder zum Dienst zurückmelden, bestünde die greifbare Gefahr, dass sie erneut Verfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß betreiben und abschließen würde. Dies führt zu einer Mehrbelastung der Rechtsmittelinstanzen, in Fällen der Rückverweisung auch zu einer Mehrbelastung von Richter:innen des Amtsgerichts, vor allem aber wird der Anspruch der Parteien der Verfahren auf ein zügiges Verfahren vereitelt. Die Vielzahl der bislang dokumentierten und unstreitig eingeräumten Fälle hat auch die Schwelle einer hinnehmbaren Schlechtleistung im Einzelfall überschritten.

Weder dem Dienstherrn, noch den rechtsuchenden Parteien oder der Strafverfolgung ist dies zumutbar.

Es gehört im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren zum notwendigen Inhalt eines Bescheides über eine vorläufige Dienstenthebung, dass die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, dargestellt werden und der dem Beamten zur Last gelegte Sachverhalt möglichst nach Datum, Zeit, Ort und Geschehensablauf konkret bezeichnet wird. Es muss klar erkennbar sein, aus welchen Tatsachen dem Beamten Vorwürfe gemacht werden. Hierzu gehört eine so hinreichende Substantiierung, dass dem Beamten eine sachgerechte Verteidigung möglich ist und das Disziplinargericht in die Lage versetzt wird, den in bestimmter Hinsicht erhobenen und dem Umfang nach klar abgegrenzten Vorwürfen nachzugehen.

Vgl. hierzu VG Magdeburg, Beschluss vom 24. September 2018 – 15 B 23/18 -, juris, Rn. 10; VG Düsseldorf, Beschluss vom 03. April 2019 – 35 L 148/19.O –, Rn. 16 – 17, juris.

Diese Anforderungen sind auch im dienstgerichtlichen Verfahren an die Antragsschrift und ihre Begründung zu stellen.

Die Antragsschrift und die Disziplinarakte werden diesen Anforderungen gerecht, ohne dass es einer Beiziehung aller streitgegenständlichen Verfahrensakten der Familien- und Strafsachen bedurfte. Die Antragsgegnerin hat die verzögerten und manipulierten Verfahren auch unter Angabe der Aktenzeichen unstreitig gestellt.

2. Die derzeit noch andauernde Dienstunfähigkeit der Antragsgegnerin steht der vorläufigen Dienstenthebung nicht entgegen. Anders als im Verfahren DG-3/2019 ist nämlich derzeit eine Versetzung in den Ruhestand (noch) nicht zu erwarten.“

Der Dienstgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 05.01.2022 (Az. 1 DGH 1/2021) über die Beschwerde der Antragsgegnerin ergänzend ausgeführt:

„Schließlich war zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin aufgrund der auch hier verfahrensgegenständlichen Vorwürfe zwischenzeitlich durch das Urteil des Landgerichts Hagen vom 18.11.2021, 46 KLs 32 Js 264/20 – 8/21, wegen Rechtsbeugung in 10 Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung und in 6 Fällen in Tateinheit mit Verwahrungsbruch und Urkundenunterdrückung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt worden ist. Zwar hat die Antragsgegnerin gegen dieses Urteil Revision eingelegt und streitet – was der Senat nicht verkennt – zu ihren Gunsten bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung. Jedoch trägt allein die Tatsache, dass gegen die Antragsgegnerin ein Straverfahren anhängig ist, welches zu einer erstinstanzlichen Verurteilung mit einer derart empfindlichen Gesamtfreiheitsstrafe geführt hat, maßgeblich dazu bei, dass durch den Verbleib der Antragsgegnerin im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt würde. Die Verurteilung der Antragsgegnerin ist in einem rechtsstaatlichen Regelungen unterworfenen Strafverfahren erfolgt, wobei die Antragsgegnerin jedenfalls einzelne – durchaus schwerwiegende – Tatvorwürfe dem Grunde nach eingeräumt hat.

[…] Die vorläufige Dienstenthebung steht auch nicht etwa außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme. Gerade angesichts des überaus schwerwiegenden Tatvorwurfs der Rechtsbeugung in einer Vielzahl von Fällen, tateinheitlich begangen mit Verwahrungsbruch und verschiedenen Urkundsdelikten, ist die Verhältnismäßigkeit gewahrt, zumal die von der Antragsgegnerin eingeräumten Taten das Vertrauen der Rechtssuchenden in eine integre und funktionierende innerstaatliche Rechtspflege in ganz erheblichem Maße gefährden.“

Danach ist auch im hiesigen Verfahren die Entfernung aus dem Dienst nach der im Antragsverfahren gebotenen summarischen Prüfung wahrscheinlicher als eine geringere Maßnahme.

Würde die erstinstanzliche Verurteilung im Strafverfahren rechtskräftig, ergäbe sich ein sogenannter „Verlust der Beamtenrechte“ gem. § 71 DRiG i.V.m. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BeamtStG, § 29 LBG NRW von Gesetzes wegen. Begrifflich stellt dieser Verlust der Beamtenrechte keine „Entfernung aus dem Beamtenverhältnis“ im Sinne des § 38 Abs. 2 LDG NRW dar. Der Landesgesetzgeber hat aber etwa in den Vorschriften des § 30 Abs. 3 und § 33 Abs. 2 Nr. 2 LDG NRW zunächst zu erkennen gegeben, dass der Verlust der Beamtenrechte qualitativ einer Entfernung gleichzustellen sei. Darüber hinaus – und damit auch diese Entscheidung isoliert tragend – sind gem. § 23 Abs. 1 LDG NRW „die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf- oder Bußgeldverfahren, auf denen das Urteil beruht, […] im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, bindend.“ Von den tatsächlichen Feststellungen wären sowohl die von der Antragsgegnerin eingeräumten Tatvorwürfe, die als erwiesen betrachteten weiteren Vorwürfe wie auch die Feststellungen zu Vorsatz und Vorwerfbarkeit erfasst.

Schließlich hätte das strafrechtliche Strafmaß und sein Verhältnis zum vom Gesetzgeber vorgegebenen Strafrahmen auch indizielle Wirkung für die Gewichtung der Taten, die auch im Disziplinarverfahren nicht unberücksichtigt bleiben könnten.

Danach ist prognostisch mit der Entfernung aus dem Dienst zu rechnen. Dies begründet den gestellten Antrag dem Grunde nach.

3. Soweit die Antragsgegnerin vorgetragen hat, der Antrag sei der Höhe nach unbegründet, sind nach Auffassung des Dienstgerichts die im gerichtlichen Verfahren vorgetragenen Verteidigungskosten in Höhe von insgesamt 450,- € monatlich für das Straf- und Disziplinarverfahren, sowie die Tilgungsraten des Pkw in Höhe von 425,- € monatlich zu berücksichtigen gewesen.

Die Kreditverpflichtung für den privaten Pkw ist die Antragsgegnerin vor dem hier anhängigen Verfahren eingegangen. Eine Pflicht zur Veräußerung des Pkw besteht nicht. Zu Recht hat der Antragsteller aber angenommen, dass etwaige Fahrtkosten zur Dienststelle für die Dauer der vorläufigen Dienstenthebung nicht entstehen (können) und insofern auch nicht zu berücksichtigen waren.

Das Gebot der sogenannten „Waffengleichheit“ gebietet es, der Antragsgegnerin die freie Wahl der Verteidigung im Straf- wie auch im Disziplinarverfahren zu belassen. Hier überrascht zwar, dass die Kosten für das in der Hauptsache ruhende Disziplinarverfahren höher angesetzt wurden als die Kosten des laufenden Strafverfahrens, gleichwohl entspricht eine monatliche Belastung von 450,- € nach Auffassung des Dienstgerichts einer noch üblichen und angemessenen Belastung.

Weitere Ausgaben und Verpflichtungen waren nicht zu berücksichtigen.

Nach Kürzung der Bezüge um 30% verbleibt der Antragsgegnerin ein amts- und statusangemessenes Einkommen.

Dass die in dieser Höhe begründete und vom Gesetzgeber grundsätzlich eröffnete Möglichkeit der Kürzung der Dienstbezüge allein weiteren sanktionsähnlichen Charakter habe, wie von der Antragsgegnerin ebenfalls vorgetragen, ist nicht ersichtlich.

4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 77 Abs. 1 LRiStaG NRW, § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Für eine Kostenentscheidung in besonderen Fällen (§ 95 LRiStaG NRW, § 155 VwGO) sind die Voraussetzungen nicht gegeben.

Der Festsetzung eines Gegenstandswerts bedarf es weder im Hinblick auf Gerichtskosten, noch im Hinblick auf die Rechtsanwaltsvergütung.

Bei veränderten Umständen kann die Antragsgegnerin gem. § 81 Abs. 4 LRiStaG NRW die Aufhebung der Kürzung der Bezüge beantragen.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, da Beschwerde zum Dienstgerichtshof erhoben wurde. (Stand: 13.04.2022)