„schwerwiegender Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in kirchlichen Disziplinarsachen“, Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD, Beschluss v. 17.05.2023, Az. 0134/3-2023

Auch gegen Kirchenbeamt:innen und gegen Pfarrer:innen können bei Verstößen gegen die Dienstpflichten Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Für den Bereich der Ev. Kirche bestimmt sich das Verfahren nach dem Disziplinargesetz der EKD (DG.EKD). Daraus ergibt sich auch der hier schon in der Vergangenheit vorgestellte Grundsatz für die Ermittlungsbehörden: „Du sollst nicht trödeln!“

Soweit die Rechtsprechung der Disziplinarkammern dokumentiert ist, hat nun zum zweiten Mal ein Kirchengericht über einen Antrag auf Fristsetzung zu entscheiden gehabt. Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der Ev. Kirche in Deutschland hat dem Antrag, der durch uns vertreten wurde, stattgegeben. (Auch den ersten Beschluss haben wir vertreten, er ist hier ebenfalls dokumentiert.)

Wörtlich führt die Disziplinarkammer aus:

  1. 1. Der Antragsgegnerin wird eine Frist von zwei Monaten gesetzt, innerhalb derer das gegen den Antragsteller mit Beschluss des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 19. April 2021 gegen den Antragsteller eingeleitete Dis­ziplinarverfahren abzuschließen ist.
  2. 2. Die Kosten des Antragsverfahrens, einschließlich der dem Antragsteller entstande­nen notwendigen Auslagen, trägt die Antragsgegnerin.

G r ü n de:

1.   Der Antragsteller ist als Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen seit vielen Jahren […] beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit hatte er auch regelmäßig Kontakt zu Lehramtsanwärterrinnen, die der Schule, an der er beschäftigt war, zur Ausbildung zugewiesen waren. Die Anwärterin C. beschwerte sich mit Schreiben vom 3.3.2020 darüber, dass der Antragsteller sie im Rahmen ihrer Ausbildungszeit wiederholt sexuell belästigt haben soll, unter anderem durch sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze, aufdringliche Kommentare über ihr Aussehen und das Privatleben, sexuell zwei­deutige Kommentare, Fragen mit sexuellen Inhalt zu ihrem Privatleben, aufdringliches Starren/Zuzwinkern, unerwünschte Berührungen an Arm und Rücken, wiederholte körperliche An­näherung und wiederholtes Herandrängeln ohne die übliche körperliche Distanz zu wahren. Bezüglich der genauen Einzelheiten wird auf den Inhalt dieses Schreibens Bezug genommen. Aufgrund eines Beschlusses des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche von Westfa­len vom 19.4.2021 wurde deshalb gegen den Antragsteller ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Mit Schreiben vom 23.4.2021 erhielt der Antragsteller Gelegenheit, zu diesen Vorwürfen Stel­lung zu nehmen. Daraufhin meldete sich mit Schreiben vom 11.5.2021 sein Verfahrensbevoll­mächtigter, Rechtsanwalt Hotstegs unter Überreichung einer Vollmacht und eines Nachweises der Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche des Rheinlands. Er stellte zugleich den Antrag auf Akteneinsicht, um sodann für den Antragsteller eine Einlassung abzugeben.

In der Sitzung des Landeskirchenamtes vom 29.06.2021 wurde beschlossen, den Antragstel­ler vorläufig des Dienstes zu entheben und das Disziplinarverfahren auszusetzen, um bei der Staatsanwaltschaft in Arnsberg eine Strafanzeige gegen ihn zu erstatten. Diese Entscheidun­gen wurden dem Antragsteller mit Schreiben des Landeskirchenamtes vom 13.7.2021 bekannt gegeben. Parallel dazu wurde Rechtsanwältin und Notarin B. aus P. von der An­tragsgegnerin mit der weiteren Sachbearbeitung beauftragt. Diese war erst mit Erteilung der Vollmacht durch die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen am 19.8.2021 förmlich zuständig. Das bei der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen den Antragsteller unter dem Az. … eingeleitete Ermittlungsverfahren ist von der zuständigen Dezernentin zügig bearbeitet und nach Vernehmung der für das Verfahren in Betracht kommenden Zeugen bereits im Dezember 2021 für einstellungsreif erachtet worden. Mit Verfügung vom 22.12.2021 leitete sie deshalb gemäß Nr. 90 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren dem Landeskirchenamt von Westfalen ihren Vermerk vom selben Tage zu, in welchem sie die Ein­stellungsgründe näher erläuterte und der Anzeigeerstatterin Gelegenheit gab, dazu binnen sechs Wochen Stellung zu nehmen. Nachdem diese Frist verstrichen war, ohne dass eine Stellungnahme des Landeskirchenamtes erfolgt war, wurde die Ermittlungsakte der Staatsan­waltschaft wiederholt zurückgefordert, ohne dass eine Reaktion des Landeskirchenamtes er­folgte. Aus den von der Kammer angeforderten Disziplinarvorgängen des Landeskirchenamtes lässt sich nicht entnehmen, warum es zu einer verzögerten Rücksendung der Ermittlungs­akte gekommen ist. Weitere Ermittlungen des Vorsitzenden haben ergeben, dass die Ermitt­lungsakte im Bereich des Landeskirchenamtes längere Zeit außer Kontrolle geraten und un­bearbeitet auf einer Fensterbank abgelegt war. Erst mit Schreiben vom 14.4.2022 erfolgte diesbezüglich eine Entschuldigung und Rücksendung der Akte. Infolge dieser vom Landeskirchenamt verschuldeten Verzögerung des Disziplinarverfahrens, konnte die Staatsanwaltschaft Arnsberg das Ermittlungsverfahren erst mit Verfügung vom 12.5.2022 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung einstellen und sowohl den Antragsteller als auch die Antragsgegnerin darüber in Kenntnis setzen. Nachdem sich im Rahmen der Prüfung, ob gegen diese Entschei­dung Beschwerde eingelegt werden sollte, weitere Verfahrensverzögerungen durch die Ab­stimmung zwischen dem Ermittlungsführer und der Verfahrensbevollmächtigten ergeben hat­ten, wurde dem Antragsteller erst mit Schreiben vom 27.6.2022 mitgeteilt, dass das Ermitt­lungsverfahren nach § 29 Abs. 2 des DG.EKD fortgesetzt und weiter von Rechtsanwältin B. bearbeitet werden solle. Trotz wiederholter Anträge des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers auf Akteneinsicht erfolgte von Seiten des Landeskirchenamtes und seiner Bevollmächtigten darauf keinerlei Reaktion. Schließlich sah sich der Verfahrensbevollmäch­tigte des Antragstellers veranlasst mit Schreiben vom 24.11.2022 – Eingang beim Kirchenge­richt der EKD am 28.11.2022 – einen Antrag auf Fristsetzung gemäß § 66 DG.EKD zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt war zwar mit Blick auf die zwischenzeitliche Aussetzung des Disziplinar­verfahrens die Jahresfrist als Zulässigkeitsvoraussetzung noch nicht verstrichen, worauf die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme vom 19.12.2022 hin­wies. Aus dem Schreiben ergab sich aber zugleich auch, dass seit der Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens am 27.6.2022 bis Mitte Dezember 2022 keinerlei verfahrensfördernde Verfügungen getroffen worden sind. Es wurde lediglich in Aussicht gestellt, im Laufe des Ja­nuar 2023 die Zeuginnen C. und D., die bereits im Ermittlungsverfahren eingehend vernommen worden waren, nochmals vorzuladen zu vernehmen. Das ist in der Folgezeit allerdings auch nicht geschehen. Anlässlich einer mündlichen Verhandlung in ande­rer Sache hat der Vorsitzende der Verfahrensbevollmächtigten unter Hinweis auf den vorlie­genden Antrag empfohlen, mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers Kontakt aufzunehmen und über Möglichkeiten der Beendigung des Verfahrens zu sprechen. Anlässlich eines weiteren Termins in anderer Sache am 24.3.2023 teilte die Verfahrensbevollmächtigte dem Vorsitzenden mit, dass man sich voraussichtlich auf einen baldigen Verfahrensabschluss geeinigt habe. Mit Schreiben vom 15.5.2023 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antrag­stellers nunmehr mit, dass der von der Landeskirche angekündigte Vergleichsvorschlag bis dahin nicht unterbreitet worden ist und beantragt, nunmehr zeitnah über den Antrag vom 24.11.2022 zu entscheiden.

II.       Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD ist seit 1.7.2010 mit dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 28.10.2009 örtlich und sachlich für die im Geschäftsbereich der Evangelischen Kirche von Westfalen anfallenden ge­richtlichen Disziplinarsachen zuständig.

Im Zeitpunkt der Antragstellung war das eingeleitete Disziplinarverfahren zwar noch nicht mehr als zwölf Monate anhängig. Nach der Aussetzung des Verfahrens zur Durchführung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und der Fortführung ist diese Frist allerdings unzweifelhaft deutlich überschritten, ohne dass es zu einem Verfahrensabschluss gekommen ist. Eine Überprüfung der Sachbehandlung in diesem Verfahren durch die Kammer hat ein­deutig ergeben, dass das Landeskirchenamt sich eines schwerwiegenden Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in Disziplinarsachen (§ 8 DG.EKD) schuldig gemacht hat. Der An­tragsteller ist bereits seit Juli 2021 vorläufig von seinem Dienst enthoben. Spätestens im Mai 2022 stand unzweifelhaft fest, dass dem Antragsteller strafrechtlich relevante Vorwürfe nicht gemacht werden können. Die nachfolgende völlige Untätigkeit für mehr als sechs Monate lässt sich aus Sicht der Kammer nicht entschuldigen. Der Vorsitzende hat die Ermittlungsführer im Landeskirchenamt wiederholt darauf hingewiesen, dass eine eventuelle Arbeitsüberlastung oder längerfristige Erkrankung keine hinreichende Entschuldigung für eine Verfahrensverzö­gerung sind. Es ist vielmehr in solchen Fällen geboten, organisatorische Maßnahmen zu tref­fen, um dem Beschleunigungsgrundsatz zu genügen. Insbesondere kann sich das Landeskirchenamt von dieser Verantwortung nicht dadurch befreien, dass es eine Rechtsanwältin und Notarin beauftragt, die im Rahmen einer großen Kanzlei mit einer Vielzahl anderer Verfahren beschäftigt und deshalb aus Sicht der Kammer damit völlig überfordert zu sein scheint. Dazu sei lediglich nebenbei bemerkt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers parallel zu diesem Verfahren bei der Verwaltungskammer dieses Gerichtes die bereits lange in Aus­sicht gestellte Klage gegen die Antragsgegnerin erhoben hat, mit welcher das Recht auf Ak­teneinsicht durchgesetzt werden soll. Der vorliegende Verstoß gegen den Beschleunigungs­grundsatz stellt aus Sicht der Kammer einen elementaren Verstoß gegen die Fürsorgepflicht der Landeskirche gegenüber ihren Pfarrerinnen und Pfarrern dar und trägt sicherlich nicht zu deren Motivation in ohnehin schwierigen Zeiten bei. Die Kammer spricht daher die dringende Empfehlung aus, nunmehr binnen der gesetzten Frist das Verfahren abzuschließen und ins­besondere dem Antragsteller eine neue berufliche Perspektive zu bieten. Sollte auch diese Frist ergebnislos verstreichen, ohne dass ein Abschluss des Verfahrens zu verzeichnen ist und ohne dass es triftige Gründe dafür gibt, wird die Kammer von der nach dem Gesetz eröff­neten Möglichkeit einer endgültigen Einstellung des Verfahrens Gebrauch machen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Absatz 1 und 3 DG.EKD i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Soziale Medien mit Kommentarfunktion können mitbestimmungspflichtige Überwachungseinrichtungen sein, Bundesverwaltungsgericht, Beschluss v. 04.05.2023, Az. 5 P 16.21

Betreibt eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien eigene Seiten oder Kanäle, kann wegen der für alle Nutzer bestehenden Möglichkeit, dort eingestellte Beiträge zu kommentieren, eine technische Einrichtung zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung von Beschäftigten vorliegen, deren Einrichtung oder Anwendung der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund unterhält (teilweise zusammen mit anderen Rentenversicherungsträgern) im Rahmen ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und zur Personalgewinnung bei Facebook, Instagram und Twitter eigene Seiten und Kanäle. Von ihr dort eingestellte Beiträge können Nutzer nach eigenem Belieben kommentieren und dabei auch Verhalten oder Leistung einzelner Beschäftigter thematisieren. Beiträge und Kommentare werden von den sozialen Medien gespeichert, aber dort nicht für die Dienststelle ausgewertet. Während das Verwaltungsgericht ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats bejaht hat, hat das Oberverwaltungsgericht dessen Bestehen verneint.

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass die Frage, ob die Einrichtung oder Anwendung von Seiten oder Kanälen mit Kommentarfunktion, die eine Stelle der öffentlichen Verwaltung in sozialen Medien unterhält, der Mitbestimmung durch den Personalrat unterliegen, nicht generell, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles beantwortet werden kann. Nach der einschlägigen Regelung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (BPersVG) hat der Personalrat mitzubestimmen bei der Einrichtung und Anwendung technischer Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Beschäftigten zu überwachen (§ 75 Abs. 3 Nr. 17 BPersVG in der bis zum 14. Juni 2021 und inhaltsgleich nunmehr § 80 Abs. 1 Nr. 21 BPersVG in der seither geltenden Fassung). Dieses Mitbestimmungsrecht dient dem Schutz der Persönlichkeit der Beschäftigten am Arbeitsplatz und soll gewährleisten, dass Beschäftigte nicht durch eine technische Einrichtung eine ständige Überwachung befürchten müssen und dadurch unter einen Überwachungsdruck geraten. Dieser Schutzzweck gebietet es entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts, bereits das Speichern von Nutzerkommentaren mit verhaltens- oder leistungsbezogenen Angaben als selbstständige (Überwachungs-)Leistung einer technischen Einrichtung anzusehen. Denn es birgt grundsätzlich die Gefahr in sich, dass die Dienststelle diese Daten auch auswertet, wodurch ein Überwachungsdruck bei den Beschäftigten erzeugt werden kann. Das Speichern der in Rede stehenden Kommentare kann zudem zur Überwachung der Beschäftigten „bestimmt“ sein. Für ein solches Bestimmtsein reicht es aus, dass die Datenspeicherung objektiv zur Überwachung geeignet ist.

Ob das der Fall ist, hängt beim Betreiben der in Rede stehenden sozialen Medien wegen der ungewissen, nur möglichen Eingabe entsprechender Verhaltens- oder Leistungsdaten durch Dritte in tatsächlicher Hinsicht davon ab, ob bei objektiver Betrachtung im konkreten Fall eine nach Maßgabe des Schutzzwecks des Mitbestimmungstatbestandes hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Einstellen entsprechender Nutzerkommentare gegeben ist. Hierfür ist zunächst die Konzeption des von der Dienststellenleitung verantworteten Auftritts der Dienststelle in den sozialen Medien von Bedeutung. Berichtet die Dienststellenleitung beispielsweise selbst über konkrete Beschäftigte und ihr Tätigkeitsfeld und lenkt damit den Blick des Publikums auf das dienstliche Verhalten und die Leistung von Beschäftigten, können hierauf bezogene Nutzerkommentare erwartet werden. Demgegenüber wird von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für die Anbringung entsprechender Kommentare in der Regel nicht auszugehen sein, wenn Auftritte der Dienststelle in sozialen Medien sachbezogen in allgemeiner Form lediglich über Aufgaben der Dienststelle oder etwa ohne Bezüge zu bestimmten Beschäftigten in Form von Pressemitteilungen über die Tätigkeit der Dienststelle informieren. Darüber hinaus ist das tatsächliche Verhalten der Nutzer in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Kommt es insbesondere erst im Verlaufe des Betriebs zu einer nennenswerten Zahl verhaltens- oder leistungsbezogener Nutzerkommentare, kann die Überwachungseignung eine gegenüber der ursprünglichen Prognose andere Relevanz erhalten und zu bejahen sein. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Betrachters das Entstehen eines Überwachungsdrucks deshalb nicht anzunehmen ist, weil die Dienststellenleitung derartige Kommentare ohne vorherige Auswertung schnellstmöglich löscht.

Da das Oberverwaltungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – die danach erforderlichen tatsächlichen Feststellungen bislang nicht getroffen hat, war der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuverweisen.

Pressemitteilung Nr. 34/2023 vom 04.05.2023

NRW-Polizei-Beurteilungen bleiben rechtswidrig, Bundesverwaltungsgericht, Beschluss v. 14.02.2023, Az. 2 B 3.22

Das Bundesverwaltungsgericht hat vor wenigen Tagen seinen Beschluss vom Valentinstag veröffentlicht, mit dem es die Revision des Landes Nordrhein-Westfalen in einer Polizei-Beurteilungsangelegenheit zurückgewiesen hat. Damit hält es an seiner bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich fest: im Rahmen eines Beurteilungssystems dürfen nicht verschiedene Laufbahnen miteinander in einer Vergleichsgruppe zusammengefasst werden. Das bedeutet konkret: für Polizist:innen und Verwaltungsbeamt:innen der Polizei darf das selbe Beurteilungssystem verwendet werden, aber es werden die Angehörigen der Polizeivollzugs-Laufbahn untereinander verglichen und die Verwaltungslaufbahn ebenso (nur) untereinander. Der gemischte Vergleich führt zur Rechtswidrigkeit der Beurteilungen.

Damit hat das Bundesverwaltungsgericht auch die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen im Ergebnis bestätigt. Abweichungen ergeben sich aber in der Begründung, warum die Beurteilung rechtswidrig ist.

Der Kernsatz, der auch amtlicher Leitsatz des Beschlusses geworden ist lautet:

Maßstab für die Beurteilung der einem Beamten übertragenen Aufgaben ist das ihm verliehene Statusamt. Beamte aus unterschiedlichen Laufbahnen dürfen grundsätzlich nicht in einer Vergleichsgruppe für die dienstliche Beurteilung zusammengefasst werden (wie BVerwG, Urteil vom 2. März 2017 – 2 C 21.16 – BVerwGE 157, 366 Rn. 41 ff.).

amtlicher Leitsatz

Das Bundesverwaltungsgericht konnte dies in einem Beschluss feststellen, denn es

„ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass Beamte aus unterschiedlichen Laufbahnen grundsätzlich nicht in einer Vergleichsgruppe zusammengefasst und damit unterschiedslos in eine Rangfolge gebracht werden dürfen (BVerwG, Urteil vom 2. März 2017 – 2 C 21.16 – BVerwGE 157, 366 Rn. 41 ff.). Da die Einordnung in vorgegebene Quoten und Richtwerte der Klärung einer Wettbewerbssituation dient und künftige Auswahlentscheidungen determiniert, müssen die in einer Vergleichsgruppe zusammengefassten Beamten im Hinblick auf die maßgeblichen Gesichtspunkte der Bestenauswahl nach Art. 33 Abs. 2 GG vergleichbar sein. Maßstab für die Beurteilung der dem Beamten übertragenen Aufgaben ist daher das ihm verliehene Statusamt; aus ihm ergeben sich die an den Beamten zu stellenden Anforderungen und damit der Maßstab für die Beurteilung der von ihm erbrachten Leistungen (BVerwG, Urteile vom 17. September 2015 – 2 C 27.14 – BVerwGE 153, 48 Rn. 28 und vom 9. Mai 2019 – 2 C 1.18 – BVerwGE 165, 305 Rn. 52). Unabhängig von den jeweiligen Unterschieden des übertragenen Aufgabenbereichs ist diese Vergleichsgruppe hinreichend homogen, weil ein Beamter grundsätzlich befähigt ist, jeden Dienstposten wahrzunehmen, der seinem Statusamt zugeordnet ist (BVerwG, Urteil vom 26. September 2012 – 2 C 74.10 – BVerwGE 144, 186 Rn. 24).“

Die Entscheidung betraf eine dienstliche Beurteilung für den Zeitraum 2014 bis 2017. Derartige Beurteilungen werden auch aktuell noch als (Hilfs-)Kriterien für Beförderungsentscheidungen herangezogen. Daher ist gerade bei Beförderungen darauf zu achten, ob derartige rechtswidrige Beurteilungen ggf. im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens mitangegriffen werden müssen.

Kein Lebensarbeitszeitkonto für Richter, Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung v. 12.01.2023, Az. 2 C 22.21

Richter haben keinen Anspruch auf Einrichtung eines Lebensarbeitszeitkontos und auf Gutschrift von Zeitguthaben. Deshalb ist nach Eintritt in den Ruhestand auch für einen finanziellen Ausgleichsanspruch gegen den Dienstherrn kein Raum. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Justizdienst des beklagten Landes Hessen, zuletzt als Richter am Landgericht. Noch während seines aktiven Richterdienstes stellte er einen Antrag auf Einrichtung eines Lebensarbeitszeitkontos sowie auf Gutschrift eines Zeitguthabens entsprechend den Regelungen für Hessische Landesbeamte. Antrag, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Ein finanzieller Ausgleichsanspruch wegen unterbliebener Einrichtung eines Lebensarbeitszeitkontos besteht nicht. Die einschlägigen Vorschriften für hessische Beamte sind auf den Kläger als Richter nicht anwendbar. Richter müssen sich ebenso wie Beamte mit ihrer ganzen Kraft dem Amt widmen. Der Umfang des geschuldeten richterlichen Einsatzes wird aber nach Arbeitspensen bemessen und richtet sich – anders als bei Beamten – nicht nach konkret vorgegebenen Arbeits- bzw. Dienstzeiten. Ein Lebensarbeitszeitkonto setzt jedoch die normative Festlegung einer Wochenarbeitszeit voraus.

Pressemitteilung Nr. 3/2023

Schadensersatz wegen verzögerter Reaktivierung eines vorzeitig pensionierten Beamten, Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung v. 15.11.2022, Az. 2 C 4.21

Wird ein wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzter Beamter wieder dienstfähig und beantragt er seine Reaktivierung (erneute Berufung in das aktive Beamtenverhältnis), hat der Dienstherr dem Antrag zu entsprechen, sofern dem nicht ausnahmsweise zwingende dienstliche Gründe entgegenstehen. In diesem Rahmen hat der Dienstherr nur zu prüfen, ob es an jeglicher zumutbaren Verwendungsmöglichkeit fehlt. Dagegen darf er die Reaktivierung nicht solange hinausschieben, bis er tatsächlich einen dem Statusamt des Beamten entsprechenden Dienstposten gefunden hat. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger, ein Studiendirektor, wurde wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. Im darauffolgenden Jahr stellte der Dienstherr im Anschluss an eine amtsärztliche Untersuchung die volle Wiederherstellung der Dienstfähigkeit fest. Knapp sieben Monate später – nachdem für ihn eine Einsatzschule gefunden war – wurde der Kläger reaktiviert.

Der Kläger begehrt Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen den Ruhestandsbezügen und der Besoldung für den Zeitraum zwischen der Feststellung der Wiederherstellung der Dienstfähigkeit und der Reaktivierung. Sein Begehren ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Zwar verletzt das Berufungsurteil revisibles Recht, die Ablehnung des Anspruchs auf Schadensersatz erweist sich aber aus anderen als den vom Berufungsgericht angenommenen Gründen als im Ergebnis richtig. Die Reaktivierung eines Ruhestandsbeamten nach § 29 Abs. 1 BeamtStG setzt einen – nicht notwendig schriftlichen – Antrag des Beamten sowie die auf einem ärztlichen Gutachten basierende Feststellung voraus, dass die Dienstfähigkeit des Beamten wiederhergestellt ist. In diesem Verfahren ist ferner nur noch zu prüfen, ob es den Dienstherrn vor nicht mehr hinnehmbare Schwierigkeiten stellen wird, für den zu reaktivierenden Beamten durch organisatorische Änderungen einen geeigneten Dienstposten zu schaffen. Dagegen hängt die Reaktivierung nicht davon ab, dass für den Beamten auch ein seinem Statusamt entsprechender Dienstposten gefunden wird.

Dass im vorliegenden Fall das beklagte Land hiervon nicht ausgegangen ist, kann ihm im Rahmen eines beamtenrechtlichen Schadensersatzanspruchs nicht als schuldhaft angelastet werden. Soweit in der Rechtsprechung und in der Literatur überhaupt Ausführungen zum Prüfprogramm in derartigen Fällen gemacht worden waren, ergaben sich hieraus keine eindeutigen und zugleich dem dargestellten Maßstab entsprechende Anforderungen.

Pressemitteilung Nr. 68/2022 vom 15.11.2022

Rheinpegel – der Düsseldorf-Podcast v. 28.10.2022

Düsseldorf. Drei Themen, zwei Düsseldorfer, ein Podcast: Jede Woche sprechen unsere Reporter über das, was die Landeshauptstadt bewegt. Informativ, hintergründig, unterhaltsam.

Am Mikrofon: Arne Lieb, Kommunalpolitikchef der Düsseldorfer Lokalredaktion, und Helene Pawlitzki, Projektleiterin Audio&Podcasts der Rheinische Post.

zu Gast am 28.10.2022 (ab 41:16 Min.): Rechtsanwalt Robert Hotstegs im Gespräch über das Projekt „eine Spur in silber“, das er für das Düsseldorfer Institut für Dienstrecht durchführt

Leserforum, NJW-aktuell 44/2022, 10

Zu Interview Oberthür, NJW-aktuell H. 42/2022. Habe ich die Gesamtaussage des Interviews richtig verstanden, dass wir für Anwaltskanzleien am liebsten eine Bereichsausnahme vom Arbeitszeitgesetz benötigen und dass wir berufsrechtlich und im Mandatsinteresse veranlasst sind die Arbeitszeiten zu überschreiten?

Unsere Kanzlei hat 2018 ihre regelmäßige Wochenarbeitszeit von vorher 40 Stunden auf 38 Stunden für alle Mitarbeitenden herabgesetzt. Schon zuvor war es üblich eine von jeder Mandatserfassung unabhängige Arbeitszeiterfassung zu nutzen und anfallende Überstunden durch Freizeitausgleich abzubauen. Ich kann weder in der Vergangenheit, noch durch die aktuelle BAG-Rechtsprechung, Mandate oder das Berufsrecht erkennen, warum so etwas nicht praktikabel sein soll. Ich vermute, dass Anwaltskanzleien zu häufig das Klischee nächtelanger Arbeit anbieten und auch verkaufen und dass sich die Anpassung an den Arbeitsschutz doch vielleicht zunächst in den Honoraren niederschlagen würde. Auch unsere Mandanten und Mandantinnen dürfen in Notfällen und Eilsachen selbstverständlich mit entsprechender Bearbeitung und notfalls auch Nachtarbeit rechnen. Das ist aber nicht der im Konzept eingeplante Regelfall, sondern die Ausnahme. Und es ist die Einladung unsere Mandate so zu planen, dass nicht einzelne Schultern Arbeitszeiten „rund um die Uhr“ abdecken müssen.

Für selbstständige Rechtsanwält:innen findet das Arbeitszeitgesetz keine Anwendung. Für diejenigen, die im Team mit Angestellten arbeiten, bietet diese Zusammenarbeit doch gerade jede Möglichkeit, dem Arbeitsschutz ausreichend Rechnung zu tragen.

Für die erwähnte Bereichsausnahme wie in § 45 S. 2 WPO besteht aus meiner Sicht keinerlei Veranlassung – es ist mir schon ein Rätsel, warum sie für den mir aber fremden Beruf der Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer existieren muss. Dies gilt umso mehr, als auch für (echte) leitende Angestellte und erst recht für fingierte die „allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer“ aus dem EU-Recht Anwendung finden müssen. Ein echter Mehrwert im Sinne von unbegrenzter Arbeitszeit im Sinne der Nacht-Mandate dürfte damit daher nicht verbunden sein.

Zu guter Letzt: wir diskutieren flexible Arbeitszeitmodelle und die Attraktivität der Mitarbeit in Anwaltskanzleien, die entsprechenden Nachfragen nach der Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und Familie sollen stetig steigen. Wenn wir diese Themen ernst nehmen, bewegen wir uns doch schon lange unterhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeitgrenzen, planen Pausen und Urlaube ein – oder habe ich etwas verpasst?

Fachanwalt für Verwaltungsrecht Robert Hotstegs, Düsseldorf

„Leserforum, NJW-aktuell 44/2022, 10“ weiterlesen

Menschen aus Düsseldorf: Das verschwundene Gericht, Rheinische Post v. 25.10.2022

Pempelfort. Der Anwalt Robert Hotstegs ist auf der Suche nach der ehemaligen Bundesdisziplinarkammer, die bis 1967 in Düsseldorf saß. Von der gibt es kaum Spuren – wohl auch, weil die Richter mithalfen, NS-Verbrechen zu vertuschen. 

von Marc Ingel

Robert Hotstegs kennt sich aus mit Beamtenrecht, seine Kanzlei an der Mozartstraße ist darauf spezialisiert. Das Disziplinarverfahren gegen einen Feuerwehrmann, die längst verdiente, aber nicht gewährte Beförderung im öffentlichen Dienst, der Lehrer, dem Nähe zum Reichsbürgertum vorgeworfen wird – bei solchen Verfahren ist die Hotstegs-Rechtsanwaltsgesellschaft Ansprechpartner. „Klingt etwas spröde, muss es aber nicht sein“, sagt Hotstegs.

Alles andere als öde ist jedenfalls auch das, womit sich Hotstegs seit ein paar Monaten quasi so nebenbei in seiner Freizeit beschäftigt. Er sucht ein verloren gegangenes Gericht, das rein thematisch eng verbunden ist mit seiner tagtäglichen Arbeit: Disziplinarrecht im weitesten Sinne. Es geht dabei um die Bundesdisziplinarkammer X (für römisch zehn), die von 1953 bis 1967 ein eigenständiges Bundesgericht in Düsseldorf war und zuerst in der Oberpostdirektion (heute GAP 15) und später in der Oberfinanzdirektion (inzwischen Bau- und Heimatministerium) ihren Sitz hatte. Nur: „Keiner weiß, was daraus geworden ist, es gibt keine Zeitzeugen, kaum Akten, erst recht keine Fotos“, sagt Hotstegs. 

INFO Verteidiger und Richter, Aktenzeichen und Akten

Hinweise Robert Hotstegs ist für alle Hinweise, die ihm bei der Suche nach der verschwundenen Bundesdisziplinarkammer X helfen, dankbar: „Ich weiß, dass Zeitzeugen rar werden. Aber vielleicht gibt es noch Erinnerungen und Spuren? Mich interessieren Verteidiger und Richter, Aktenzeichen und Akten.“ Kontakt: kanzlei@hotstegs-recht.de.

Das hat in solchen Fällen meist nur einen Grund: „Hier soll etwas unter den Teppich gekehrt werden“, vermutet der Jurist, der bislang zwar überall auf freundliches Interesse stieß, nur Antworten, die konnte ihm keiner liefern – was ihn natürlich nur noch mehr angestachelt hat, nachzubohren. Denn die obskure Disziplinarkammer hatte eben nicht nur über Fälle wie den Postbeamten, der im Dienst betrunken angetroffen wurde, oder den Bundesbahnangestellten, der falsch gekoppelt hat, zu entscheiden, sondern war auch mit der Aufarbeitung der NS-Zeit beschäftigt. Und hat sich, so weit lehnt sich Hotstegs jetzt schon aus dem Fenster, dabei nicht mit Ruhm bekleckert. „Das Gericht hat offensichtlich dazu beigetragen, Nazi-Kriegsverbrechern die Weste wieder schön rein zu waschen.“ Kein Wunder also, dass die Recherche des Anwalts so schwierig ist.

Für die Betroffenen hing viel ab von dem Urteil der Bundesdisziplinarkammer: „Nach einer Rehabilitation wurden sie wieder besoldet, blieben Rentenansprüche gültig“, so Hotstegs. Wer bei der Gestapo war, durfte nach Kriegsende nie wieder im öffentlichen Dienst arbeiten, „bei Tausenden anderen Beschäftigten sah das anders aus“. Ein Paradebeispiel für die These des Rechtsanwalts ist der Fall Gerhard Rose. Der war während des NS-Regimes Chef der Abteilung für tropische Medizin. Wegen seiner nachweislichen Beteiligung an Menschenversuchen im Konzentrationslager Buchenwald wurde er im Nürnberger Ärzteprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch siehe da: Nach der Haftentlassung 1955 wurde Rose von eben diesem Düsseldorfer Gericht plötzlich freigesprochen, auch seine Pensionsansprüche als Beamter erhielt er zurück. „Das steht in völligem Widerspruch zu dem, was über Rose bekannt war“, wundert sich Hotstegs, der in diesem Fall zumindest auf ein bisschen Literatur zurückgreifen kann. „Aber war Rose wirklich ein Einzelfall? Wohl eher nicht“, gibt sich der Hobby-Historiker selbst die Antwort.

Robert Hotstegs hat versucht, viele Quellen anzuzapfen, vom Stadtarchiv bis zur Mahn- und Gedenkstätte, vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bis zum Bundesarchiv in Koblenz. „Bis jetzt habe ich nur ganz wenig, und das ist schon erstaunlich in einer Zeit, in der die Vergangenheitsbewältigung doch so eine große Rolle spielt.“ Bis Januar wollte Hotstegs eigentlich eine Art Zwischenergebnis vorlegen, inzwischen hat er Zweifel, ob es ihm gelingt, das Mosaik bis dahin ausreichend zusammenzusetzen. „Ich stochere ein wenig im Nebel und habe ja auch noch einen richtigen Job. Aber aufgeben, das werde ich so schnell bestimmt nicht“, sagt Hotstegs.

Redebeitrag 73. Deutscher Juristentag in Bonn, Abteilung Justiz, 22.09.2022

73. Deutscher Juristentag in Bonn

Im Rahmen des 73. Deutschen Juristentages in Bonn hat die Abteilung Justiz den Themenkomplex „Empfehlen sich Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Besetzung von Richterpositionen?“ bearbeitet. Hierzu lag der Abteilung ein Beschlussvorschlag vor, der u.a. folgende Aspekte beinhaltete:

IV. Konkurrentenstreit

18. Um in Konkurrentenstreitverfahren zu bundeseinheitlichen Auslegungsmaßstäben zu gelangen, sollte das Verfahren instanziell neu geordnet werden. Der Eilrechtsschutz für Konkurrentenstreitverfahren um Richterstellen in den Ländern sollte bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. den Verwaltungsgerichtshöfen beginnen. Gegen diese Entscheidung sollte den Beteiligten die Beschwerde zum BVerwG offenstehen.

19. In Verfahren um Bundesrichterstellen sollte Rechtsschutz einschließlich des Eilrechtsschutzes nur vor dem BVerwG verortet werden.

Beschlussvorschlag der Abteilung Justiz

Hierzu hat Rechtsanwalt Robert Hotstegs folgenden Redebeitrag gehalten:

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren, mein Name ist Robert Hotstegs, ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Ich leite in Düsseldorf das Düsseldorfer Institut für Dienstrecht, ich bin ständiger Beisitzer am Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Düsseldorf.

Ich bin eben bei dem Beitrag zuvor ein wenig zusammengezuckt, als es ganz am Anfang hieß, dass wir eigentlich weniger Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Denn mein Auftakt sollte genau das Gegenteil sein: Wir brauchen mehr Konkurrentenstreitigkeiten, aber mit der Betonung darauf, dass wir mehr gute Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Am Ende, habe ich gemerkt, liegen wir gar nicht so weit auseinander, denn Sie wollen ja nicht den Streit als solchen verhindern, sondern Sie wollen diese, wenn ich das etwas verkürzt sagen darf, obsolet machen. Dadurch, dass eben die Qualität der Auswahlverfahren verbessert wird, da sind wir relativ nah beieinander.

Also ich möchte bei Ihnen werben für ein guten Konkurrentenstreit. Das bedeutet aus meiner Sicht – und deswegen möchte ich auch einen Änderungsantrag am Ende zu Protokoll reichen – auch, dass wir im Blick haben müssen, dass wir für das richterliche Dienstrecht nicht zusätzliche Insellösungen schaffen dürfen. Wir haben die Situation, dass wir bei Konkurrentenstreitigkeiten im Kern auch immer um die Auswahlentscheidung und die dienstliche Beurteilung streiten.

Wie sieht das aus, wenn Sie in unserer Kanzlei ein Konkurrentenstreit als Richterin oder Richter beauftragen? Dann streiten wir über Ihre dienstliche Beurteilung, womöglich vor dem Dienstgericht, weil ihre richterliche Unabhängigkeit tangiert ist. Wir streiten vor dem Verwaltungsgericht, weil die dienstliche Beurteilung im Übrigen angegriffen werden soll. Nach dem neuen Vorschlag in dem Beschlussvorschlag sollen wir dann vor dem Oberverwaltungsgericht oder dem Verwaltungsgerichtshof den Konkurrentenstreit im Eilverfahren einleiten, den Streit der Bundesrichterin und dem Bundesrichter dann bei dem Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich und letztinstanzlich. Damit entkoppeln wir aber das Richterdienstrecht ein Stückchen weiter vom Beamtenrecht.

Jetzt sagen die anwesenden Richterinnen und Richter: „Das ist ja auch richtig, wir sind keine Beamtinnen und Beamten.“ Das stimmt. Aber wir benutzen ähnliche Instrumente und wir führen aus meiner Sicht nicht den Weg dahin eine einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen, sondern wir haben noch mehr divergierende Entscheidungen zwischen Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten aus dem Beamtenrecht und dann womöglich einem erstinstanzlichen und letztinstanzlichen Bundesverwaltungsgericht bei den Bundesrichterstellen.

Das kann man machen, verkürzt aus meiner Sicht aber eben die Diskussion und das halte ich für falsch. Ich freue mich zwar, dass am Ende eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwältinnen und Anwälte herauskommt, weil sie den Anwaltszwang im Konkurrentenstreit einführen. Das begrüße ich aus egoistischen Gründen. Trotzdem werbe ich aber dafür: verzichten Sie bitte auf die Ziffer 19! Die Ziffer 19 ist, das Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich für Bundesrichterstellen zuständig zu machen. Davon halte ich überhaupt nichts. Ich habe an anderer Stelle schon einmal gesagt, bei allem Respekt vor anwesenden und nicht anwesenden Bundesverwaltungsrichterinnen und Bundesverwaltungsrichtern: ich halte das Bundesverwaltungsgericht nicht für eine gute erste Instanz, dafür ist es nicht in erster Linie gemacht. Es soll aus ganz anderen Rechtsgebieten noch weitere erstinstanzliche Zuständigkeiten erhalten.

Das ist Murks, wenn wir das im Richterdienstrecht auch noch einführen würden. Denn wenn wir beklagen, dass Eilverfahren die Hauptsache ersetzten – das ist gestern ja schon angeklungen – und zugleich zu lange dauern und Sie alle darunter leiden, egal, ob als Ausgewählter, als unterlegener Konkurrent oder als Behördenleitung, als Präsident oder Direktorin/Direktor. Wenn wir das beklagten, dann ist ja nicht die Verkürzung des Instanzenzuges automatisch Garant dafür, dass die Qualität besser wird. Dann gehen wir nach dem Bundesverwaltungsgericht nochmal vor das Bundesverfassungsgericht und schaffen uns da womöglich eine faktisch weitere Instanz.

Ich meine die Stellschrauben sollten andere sein, und dann schließt der Bogen zu dem Redebeitrag vorher. Wir können die Qualität verbessern, wenn wir Rechtsnormen schaffen. Ich werbe für gesetzliche Regelungen, für den Rahmen von Beurteilungsverfahren, für den Rahmen von Ausschreibungs- und Anforderungsprofilen, wir können aber auch den gesetzlichen Rahmen schaffen für die Beschleunigung von gerichtlichen Verfahren. Out of the box ist gestern schon ein paar Mal gedacht worden. Warum kann man die Konkurrentenstreitigkeiten nicht schneller führen? Zum Beispiel als Anleihe aus dem arbeitsgerichtlichen Prozess? Ich halte einen Gütetermin innerhalb von drei Wochen durchaus für denkbar. Da kann man Anleihen nehmen und das Verfahren beschleunigen und sich sogar zwei Instanzen gönnen.

Wir haben gute Richterinnen und Richter. Und ich glaube wir tun gut daran, wenn wir auch mehrere Instanzen auf Auswahlentscheidungen schauen lassen. Mein Änderungsantrag soll deswegen lauten, in der Ziffer 18 die Textstelle, dass „um Richterstellen in den Ländern vor OVG/VGH und Bundesverwaltungsgericht“ gestritten werden soll, zu ersetzen mit „um Richterstellen im Bund und in den Ländern“. Und siehe da, die Ziffer 19 kann entfallen. Wir entlasten das Bundesverwaltungsgericht von einer weiteren ersten Instanz. Danke sehr!

Die Abteilung ist dem Änderungsantrag nicht gefolgt und hat mit Mehrheit beschlossen, die Verlagerung des Instanzenzuges für Landesrichter:innen-Stellen auf Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht zu empfehlen, für Bundesrichter:innen-Stellen aber das streitige Verfahren ausschließlich erst- und letztinstanzlich auf das Bundesverwaltungsgericht zu verlagern.

Anspruch auf Generalsdienstposten nach förderlicher Auswahlentscheidung, Bundesverwaltungsgericht, Beschluss v. 06.09.2022, Az. 1 WB 29.21

Das Bundesverwaltungsgericht hat am Dienstag in einer interessanten Konstellation darüber entschieden, dass die letzte Versetzung eines Soldaten vor seiner Versetzung in den Ruhestand rechtswidrig war. Häufig besteht in derartigen Konstellationen schon kein Rechtsschutzbedürfnis, weil der frühere Soldat / die frühere Soldatin nicht (mehr) in ihren Rechten verletzt ist und ein sogenanntes Fortsetzungsfeststellungsinteresse häufig nicht zur Überzeugung der Gerichte dargelegt werden kann. Auch ist es häufig schwierig die hier festgestellte „Anwartschaft auf eine Beförderung“ darzulegen.

Im vorliegenden Fall eröffnet aber die Beweisaufnahme und die nun getroffene Feststellung des Bundesverwaltungsgerichts sogar die Möglichkeit für den Betroffenen vor den ordentlichen Verwaltungsgerichten eine nachträgliche Beförderung bzw. Schadensersatz hierfür zu erstreiten.

Weil derartige Fragestellungen grundsätzliche Bedeutung haben, ist davon auszugehen, dass der Rechtsstreit womöglich durch alle Instanzen geführt wird. Dann könnte er auch am Ende erneut beim Bundesverwaltungsgericht landen, zuständig wäre dann dort aber der Beamtenrechtssenat.

Die Pressemitteilung Nr. 55/2022 vom 06.09.2022 lautet im Volltext:

Der 1. Wehrdienstsenat hat heute dem Antrag eines Generalleutnants a.D. auf Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner letzten dienstlichen Versetzung stattgegeben. Der Generalleutnant a.D. ist vom Mai 2019 bis März 2020 als Befehlshaber eines NATO-Kommandos in Europa auf einem Generalsdienstposten (B 10) eingesetzt worden und hat in dieser Verwendung vorübergehend den Dienstgrad General geführt (sog. „temporary rank“). Seine Hoffnung, dort vom Generalleutnant („Drei-Sterne-General“) zum General („Vier-Sterne-General“) befördert zu werden, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr ist er mit Verfügung vom 11. März 2020 vom Allied Joint Force Command in Brunssum (Niederlande) nach Berlin auf eine mit B 9 dotierte Position zurückversetzt und später als Generalleutnant in den Ruhestand verabschiedet worden.

Diese Versetzung war rechtswidrig. Der 1. Wehrdienstsenat hat durch Vernehmung mehrerer hochrangiger Zeugen – insbesondere des früheren und gegenwärtigen Generalinspekteurs der Bundeswehr und des ehemaligen Staatssekretärs – die Umstände aufgeklärt, die zur Auswahl des Antragstellers zum Befehlshaber des NATO-Hauptquartiers in Brunssum geführt haben. Danach ist er im Frühjahr 2018 in einem Auswahlverfahren unter Berücksichtigung mehrerer Generalleutnante nach Eignung, Leistung und Befähigung im Sinne des § 3 Abs. 1 SG und des Art. 33 Abs. 2 GG mit dem Ziel der Beförderung ausgewählt worden. Eine hinreichend begründete Auswahlentscheidung, die den Dokumentationsanforderungen des Prinzips der Bestenauslese entsprochen hätte, liegt zwar nicht vor. Der Dienstherr kann sich aber auf diesen von ihm selbst verschuldeten Formmangel im Verhältnis zum ausgewählten Bewerber nicht berufen. Vielmehr muss er die Auswahlentscheidung gegen sich gelten lassen und kann den ausgewählten Bewerber, der eine Anwartschaft auf eine Beförderung erworben hat, nicht ohne Weiteres wieder auf einen Dienstposten mit geringerer Dotierungshöhe versetzen.

Die Versetzung vom März 2020 war auch nicht ausnahmsweise deswegen zulässig, weil die ursprüngliche förderliche Auswahlentscheidung im April 2019 einvernehmlich in eine reine Querversetzung abgeändert worden wäre. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist damals zwar bei einem Gespräch mit der Verteidigungsministerin die Dauer der Verwendung im NATO-Hauptquartier einvernehmlich von drei Jahren auf elf Monate verkürzt worden. Hingegen ist ein Ausbleiben der Beförderung nicht besprochen worden. Eine Umwandlung der förderlichen Auswahlentscheidung in eine vorübergehende höherwertige Verwendung wurde auch nicht verfügt. Lediglich soweit der Antragsteller die Angabe der voraussichtlichen Verwendungsdauer in seiner Versetzung nach Brunssum angegriffen hat, blieb sein Antrag ohne Erfolg.

Über die Frage, ob der Antragsteller einen Anspruch auf die von ihm beantragte Beförderung hatte, hatte der 1. Wehrdienstsenat nicht zu entscheiden. Diese Frage ist Gegenstand eines beim Verwaltungsgericht Berlin anhängigen Rechtsstreits. Die dem zugrundeliegende Aufteilung des Rechtswegs ergibt sich aus § 17 Abs. 1 WBO und § 82 Abs. 1 SG.