„schwerwiegender Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot in kirchlichen Disziplinarsachen“, Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD, Beschluss v. 17.05.2023, Az. 0134/3-2023

Auch gegen Kirchenbeamt:innen und gegen Pfarrer:innen können bei Verstößen gegen die Dienstpflichten Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Für den Bereich der Ev. Kirche bestimmt sich das Verfahren nach dem Disziplinargesetz der EKD (DG.EKD). Daraus ergibt sich auch der hier schon in der Vergangenheit vorgestellte Grundsatz für die Ermittlungsbehörden: „Du sollst nicht trödeln!“

Soweit die Rechtsprechung der Disziplinarkammern dokumentiert ist, hat nun zum zweiten Mal ein Kirchengericht über einen Antrag auf Fristsetzung zu entscheiden gehabt. Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der Ev. Kirche in Deutschland hat dem Antrag, der durch uns vertreten wurde, stattgegeben. (Auch den ersten Beschluss haben wir vertreten, er ist hier ebenfalls dokumentiert.)

Wörtlich führt die Disziplinarkammer aus:

  1. 1. Der Antragsgegnerin wird eine Frist von zwei Monaten gesetzt, innerhalb derer das gegen den Antragsteller mit Beschluss des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche von Westfalen vom 19. April 2021 gegen den Antragsteller eingeleitete Dis­ziplinarverfahren abzuschließen ist.
  2. 2. Die Kosten des Antragsverfahrens, einschließlich der dem Antragsteller entstande­nen notwendigen Auslagen, trägt die Antragsgegnerin.

G r ü n de:

1.   Der Antragsteller ist als Pfarrer der Evangelischen Kirche von Westfalen seit vielen Jahren […] beschäftigt. Im Rahmen dieser Tätigkeit hatte er auch regelmäßig Kontakt zu Lehramtsanwärterrinnen, die der Schule, an der er beschäftigt war, zur Ausbildung zugewiesen waren. Die Anwärterin C. beschwerte sich mit Schreiben vom 3.3.2020 darüber, dass der Antragsteller sie im Rahmen ihrer Ausbildungszeit wiederholt sexuell belästigt haben soll, unter anderem durch sexuell anzügliche Bemerkungen und Witze, aufdringliche Kommentare über ihr Aussehen und das Privatleben, sexuell zwei­deutige Kommentare, Fragen mit sexuellen Inhalt zu ihrem Privatleben, aufdringliches Starren/Zuzwinkern, unerwünschte Berührungen an Arm und Rücken, wiederholte körperliche An­näherung und wiederholtes Herandrängeln ohne die übliche körperliche Distanz zu wahren. Bezüglich der genauen Einzelheiten wird auf den Inhalt dieses Schreibens Bezug genommen. Aufgrund eines Beschlusses des Landeskirchenamtes der Evangelischen Kirche von Westfa­len vom 19.4.2021 wurde deshalb gegen den Antragsteller ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Mit Schreiben vom 23.4.2021 erhielt der Antragsteller Gelegenheit, zu diesen Vorwürfen Stel­lung zu nehmen. Daraufhin meldete sich mit Schreiben vom 11.5.2021 sein Verfahrensbevoll­mächtigter, Rechtsanwalt Hotstegs unter Überreichung einer Vollmacht und eines Nachweises der Zugehörigkeit zur Evangelischen Kirche des Rheinlands. Er stellte zugleich den Antrag auf Akteneinsicht, um sodann für den Antragsteller eine Einlassung abzugeben.

In der Sitzung des Landeskirchenamtes vom 29.06.2021 wurde beschlossen, den Antragstel­ler vorläufig des Dienstes zu entheben und das Disziplinarverfahren auszusetzen, um bei der Staatsanwaltschaft in Arnsberg eine Strafanzeige gegen ihn zu erstatten. Diese Entscheidun­gen wurden dem Antragsteller mit Schreiben des Landeskirchenamtes vom 13.7.2021 bekannt gegeben. Parallel dazu wurde Rechtsanwältin und Notarin B. aus P. von der An­tragsgegnerin mit der weiteren Sachbearbeitung beauftragt. Diese war erst mit Erteilung der Vollmacht durch die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen am 19.8.2021 förmlich zuständig. Das bei der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen den Antragsteller unter dem Az. … eingeleitete Ermittlungsverfahren ist von der zuständigen Dezernentin zügig bearbeitet und nach Vernehmung der für das Verfahren in Betracht kommenden Zeugen bereits im Dezember 2021 für einstellungsreif erachtet worden. Mit Verfügung vom 22.12.2021 leitete sie deshalb gemäß Nr. 90 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren dem Landeskirchenamt von Westfalen ihren Vermerk vom selben Tage zu, in welchem sie die Ein­stellungsgründe näher erläuterte und der Anzeigeerstatterin Gelegenheit gab, dazu binnen sechs Wochen Stellung zu nehmen. Nachdem diese Frist verstrichen war, ohne dass eine Stellungnahme des Landeskirchenamtes erfolgt war, wurde die Ermittlungsakte der Staatsan­waltschaft wiederholt zurückgefordert, ohne dass eine Reaktion des Landeskirchenamtes er­folgte. Aus den von der Kammer angeforderten Disziplinarvorgängen des Landeskirchenamtes lässt sich nicht entnehmen, warum es zu einer verzögerten Rücksendung der Ermittlungs­akte gekommen ist. Weitere Ermittlungen des Vorsitzenden haben ergeben, dass die Ermitt­lungsakte im Bereich des Landeskirchenamtes längere Zeit außer Kontrolle geraten und un­bearbeitet auf einer Fensterbank abgelegt war. Erst mit Schreiben vom 14.4.2022 erfolgte diesbezüglich eine Entschuldigung und Rücksendung der Akte. Infolge dieser vom Landeskirchenamt verschuldeten Verzögerung des Disziplinarverfahrens, konnte die Staatsanwaltschaft Arnsberg das Ermittlungsverfahren erst mit Verfügung vom 12.5.2022 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung einstellen und sowohl den Antragsteller als auch die Antragsgegnerin darüber in Kenntnis setzen. Nachdem sich im Rahmen der Prüfung, ob gegen diese Entschei­dung Beschwerde eingelegt werden sollte, weitere Verfahrensverzögerungen durch die Ab­stimmung zwischen dem Ermittlungsführer und der Verfahrensbevollmächtigten ergeben hat­ten, wurde dem Antragsteller erst mit Schreiben vom 27.6.2022 mitgeteilt, dass das Ermitt­lungsverfahren nach § 29 Abs. 2 des DG.EKD fortgesetzt und weiter von Rechtsanwältin B. bearbeitet werden solle. Trotz wiederholter Anträge des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers auf Akteneinsicht erfolgte von Seiten des Landeskirchenamtes und seiner Bevollmächtigten darauf keinerlei Reaktion. Schließlich sah sich der Verfahrensbevollmäch­tigte des Antragstellers veranlasst mit Schreiben vom 24.11.2022 – Eingang beim Kirchenge­richt der EKD am 28.11.2022 – einen Antrag auf Fristsetzung gemäß § 66 DG.EKD zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt war zwar mit Blick auf die zwischenzeitliche Aussetzung des Disziplinar­verfahrens die Jahresfrist als Zulässigkeitsvoraussetzung noch nicht verstrichen, worauf die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin in ihrer Stellungnahme vom 19.12.2022 hin­wies. Aus dem Schreiben ergab sich aber zugleich auch, dass seit der Wiederaufnahme des Disziplinarverfahrens am 27.6.2022 bis Mitte Dezember 2022 keinerlei verfahrensfördernde Verfügungen getroffen worden sind. Es wurde lediglich in Aussicht gestellt, im Laufe des Ja­nuar 2023 die Zeuginnen C. und D., die bereits im Ermittlungsverfahren eingehend vernommen worden waren, nochmals vorzuladen zu vernehmen. Das ist in der Folgezeit allerdings auch nicht geschehen. Anlässlich einer mündlichen Verhandlung in ande­rer Sache hat der Vorsitzende der Verfahrensbevollmächtigten unter Hinweis auf den vorlie­genden Antrag empfohlen, mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers Kontakt aufzunehmen und über Möglichkeiten der Beendigung des Verfahrens zu sprechen. Anlässlich eines weiteren Termins in anderer Sache am 24.3.2023 teilte die Verfahrensbevollmächtigte dem Vorsitzenden mit, dass man sich voraussichtlich auf einen baldigen Verfahrensabschluss geeinigt habe. Mit Schreiben vom 15.5.2023 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antrag­stellers nunmehr mit, dass der von der Landeskirche angekündigte Vergleichsvorschlag bis dahin nicht unterbreitet worden ist und beantragt, nunmehr zeitnah über den Antrag vom 24.11.2022 zu entscheiden.

II.       Der Antrag ist zulässig und begründet.

Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD ist seit 1.7.2010 mit dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 28.10.2009 örtlich und sachlich für die im Geschäftsbereich der Evangelischen Kirche von Westfalen anfallenden ge­richtlichen Disziplinarsachen zuständig.

Im Zeitpunkt der Antragstellung war das eingeleitete Disziplinarverfahren zwar noch nicht mehr als zwölf Monate anhängig. Nach der Aussetzung des Verfahrens zur Durchführung des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und der Fortführung ist diese Frist allerdings unzweifelhaft deutlich überschritten, ohne dass es zu einem Verfahrensabschluss gekommen ist. Eine Überprüfung der Sachbehandlung in diesem Verfahren durch die Kammer hat ein­deutig ergeben, dass das Landeskirchenamt sich eines schwerwiegenden Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot in Disziplinarsachen (§ 8 DG.EKD) schuldig gemacht hat. Der An­tragsteller ist bereits seit Juli 2021 vorläufig von seinem Dienst enthoben. Spätestens im Mai 2022 stand unzweifelhaft fest, dass dem Antragsteller strafrechtlich relevante Vorwürfe nicht gemacht werden können. Die nachfolgende völlige Untätigkeit für mehr als sechs Monate lässt sich aus Sicht der Kammer nicht entschuldigen. Der Vorsitzende hat die Ermittlungsführer im Landeskirchenamt wiederholt darauf hingewiesen, dass eine eventuelle Arbeitsüberlastung oder längerfristige Erkrankung keine hinreichende Entschuldigung für eine Verfahrensverzö­gerung sind. Es ist vielmehr in solchen Fällen geboten, organisatorische Maßnahmen zu tref­fen, um dem Beschleunigungsgrundsatz zu genügen. Insbesondere kann sich das Landeskirchenamt von dieser Verantwortung nicht dadurch befreien, dass es eine Rechtsanwältin und Notarin beauftragt, die im Rahmen einer großen Kanzlei mit einer Vielzahl anderer Verfahren beschäftigt und deshalb aus Sicht der Kammer damit völlig überfordert zu sein scheint. Dazu sei lediglich nebenbei bemerkt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers parallel zu diesem Verfahren bei der Verwaltungskammer dieses Gerichtes die bereits lange in Aus­sicht gestellte Klage gegen die Antragsgegnerin erhoben hat, mit welcher das Recht auf Ak­teneinsicht durchgesetzt werden soll. Der vorliegende Verstoß gegen den Beschleunigungs­grundsatz stellt aus Sicht der Kammer einen elementaren Verstoß gegen die Fürsorgepflicht der Landeskirche gegenüber ihren Pfarrerinnen und Pfarrern dar und trägt sicherlich nicht zu deren Motivation in ohnehin schwierigen Zeiten bei. Die Kammer spricht daher die dringende Empfehlung aus, nunmehr binnen der gesetzten Frist das Verfahren abzuschließen und ins­besondere dem Antragsteller eine neue berufliche Perspektive zu bieten. Sollte auch diese Frist ergebnislos verstreichen, ohne dass ein Abschluss des Verfahrens zu verzeichnen ist und ohne dass es triftige Gründe dafür gibt, wird die Kammer von der nach dem Gesetz eröff­neten Möglichkeit einer endgültigen Einstellung des Verfahrens Gebrauch machen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Absatz 1 und 3 DG.EKD i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

unser Weihnachtswunsch 2022

Jedes Jahr versuchen wir guten Projekten etwas in den Stiefel zu stecken.

Der gutenachtbus in Düsseldorf wird in diesem Jahr vielleicht mehr gebraucht als je zuvor. Denn es braucht ja auch für jede und jeden zunächst einmal Stiefel, einen warmen Mantel, manchmal auch schlicht Socken, eine Suppe, einen Kaffee oder eine Isomatte!

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Warnung des Oberverwaltungsgerichts an Bürgerbegehren | Kommunalrecht | Pressemitteilung 2022-03

Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft
Düsseldorf, den 17.11.2022

::: Pressemitteilung 03/2022 :::

Warnung des Oberverwaltungsgerichts an Bürgerbegehren
Fachanwalt weist auf aktuelle Entscheidung hin: Gesetzgeber behindert Kompromisse


Düsseldorf/Münster. Mit einem heute den Parteien zugestellten Urteil hat das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in zweiter Instanz das Bürgerbegehren „Pro Freibad“ in Dinslaken für unzulässig befunden. Damit ist nicht nur dem Bemühen der Bürger:innen das über 100 Jahre alte Freibad weiter in der Zukunft zu nutzen ein Ende gesetzt worden, sondern die Entscheidung wirkt auch weit über Dinslaken hinaus. „Bürgerinitiativen erhalten eine deutliche Warnung, zukünftig keine Kompromisse einzugehen, weil allein der Zeitablauf dazu führt, dass die Bürger ihre Rechtsposition verlieren.“ erklärt Rechtsanwalt Robert Hotstegs (43). Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht hat das laufende Verfahren in beiden Instanzen beraten und ist seit zwanzig Jahren in der Bürgerbegehrensberatung tätig. Nun sei der Landtag gefordert. (Urteil v. 08.11.2022, Az. 15 A 2441/20)

„Die Ausgangssituation ist schnell erklärt, ohne dass man sich in die Dinslakener Politik einarbeiten muss“, fasst Hotstegs das Kernproblem zusammen: „Eine Bürgerinititive wollte einen Ratsbeschluss korrigieren und sammelte tausende Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Das Thema wurde heftig diskutiert und der Bürgermeister unterbreitete einen Kompromissvorschlag mit dem man auf eine förmliche Abstimmung im Bürgerentscheid verzichtete. Die Stadt wollte der Initiative entgegenkommen.“ Knapp zwei Jahre später änderte die Stadt ihre Meinung. Die Bürgerinitiative forderte hierauf die Abstimmung der Bürger:innen in einem Bürgerentscheid und scheiterte. Im Rat, vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf und nun vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster.

„Aus dem Urteil ergibt sich, dass allein der Zeitablauf aus Sicht des Gerichts das Begehren hat scheitern lassen. Das bedeutet, dass ich zukünftig keiner Initiative mehr zu einem Deal vor Ort raten dürfte. Die Bürger:innen geben einseitig ihre Rechtsposition auf, das Gericht lässt dazu keine Ausnahme zu.“, so Hotstegs. Das Oberverwaltungsgericht sei davon überzeugt, dass Bürgerinitiativen ihre Rechte aus der Unterschriftensammlung nach dem Willen des Gesetzgebers wieder verlieren und somit Kompromisse nicht vorgesehen seien.

Nach Ansicht des Fachanwalts führe dies vor Ort aber zu völlig unnötigen Konfrontationen: „Wenn sich Gemeinde und Bürger auf der Mitte des Weges treffen wollen, muss hierfür Raum sein. Dabei dürfen nicht die Bürger:innen allein auf ihre Rechte verzichten und am Fliegenfänger hängen bleiben. Der Landtag sollte daher die Regelungen so gestalten, dass die Rechte der Bürger gestärkt werden und bestehende Hürden abgebaut würden.“


::: Kontakt :::

Rechtsanwalt Robert Hotstegs
T: 0211 / 497657-16
E: hotstegs@hotstegs-recht.de
www.hotstegs-recht.de

::: die Kanzlei :::

Seit 1985 berät die Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft in Spezialgebieten. Der öffentliche Dienst für Beamt:innen und Angestellte, die Verteidigung in Disziplinarverfahren und daneben die Verfahren der Bürgerbeteiligung sind ihre Schwerpunkte. Die Kanzlei vertritt Mandant:innen bundesweit.

Niedrige Wahlbeteiligung bei Stichwahl zur Bürgermeisterwahl in Wesseling, Pressemitteilung v. 14.11.2022

Mehr Demokratie e.V.
Landesverband Nordrhein-Westfalen
14.11.2022

Niedrige Wahlbeteiligung bei Stichwahl zur Bürgermeisterwahl in Wesseling
+++ Mehr Demokratie: Rangfolgewahl könnte Wahlbeteiligung steigern +++


Anlässlich der niedrigen Wahlbeteiligung bei der am Sonntag (13.11.22) in Wesseling stattgefundenen Stichwahl um das Bürgermeisteramt wiederholt der nordrhein-westfälische Landesverband von Mehr Demokratie seine Forderung nach der Einführung der Rangfolgewahl bei Bürgermeisterwahlen. „Die Rangfolgewahl könnte hier Abhilfe schaffen: Mit der Rangfolgewahl wird nicht nur der Aufwand für einen zweiten Wahlgang gespart, da die Stichwahl bereits in den ersten Wahlgang integriert wird, sondern auch die Wahlbeteiligung kann erhöht werden. So nehmen beispielsweise einige Wählerinnen und Wähler, deren Kandidatinnen oder Kandidaten im ersten Wahlgang ausscheiden, nicht an der Stichwahl teil“, so Robert Hotstegs, Landesvorstand von Mehr Demokratie NRW. Nur knapp ein Drittel der Wahlberechtigten (36,7 Prozent) hat am Sonntag an der Stichwahl teilgenommen. Beim ersten Wahlgang am 30. Oktober lag die Beteiligung bei 39,8 Prozent.

Eine Chance, die Rangfolgewahl unbürokratisch auszuprobieren, sei die im Koalitionsvertrag von CDU und Grüne festgehaltene Experimentierklausel. Diese ermögliche es den Kommunen neue Wege zu erproben, um mit Herausforderungen umzugehen. Positive Erfahrungen könnten dann die Grundlage für landesweite Regelungen bilden. „Über die Experimentierklausel können Kommunen die Rangfolgewahl ausprobieren und wenn sie sich bewährt, könnte sie zur Regel in allen Kommunen NRWs werden“, so Hotstegs weiter.

Bei der Rangfolgewahl machen Wähler nicht nur ein Kreuz bei ihrem bevorzugten Kandidaten, sondern können Präferenzen für den Fall angeben, dass kein Kandidat auf Anhieb die absolute Mehrheit der Stimmen erhält. Anstelle einer Stichwahl wird zeitgleich mit dem ersten Wahlgang eine Auswertung der gewählten Präferenzen durchgeführt. Am Ende des Verfahrens kann so immer ein Bürgermeister oder Landrat mit einer absoluten Mehrheit der Stimmen ermittelt werden. Die Rangfolgewahl ermöglicht es, auf einen zweiten Wahlgang zu verzichten und dennoch einen eindeutigen Wahlgewinner mit möglichst großer demokratischer Legitimation zu ermitteln.

+++ Hintergrund
Die Bürgermeisterwahl in Wesseling fand außerplanmäßig vor Ende der Amtszeit statt. Der zuvor amtierende Bürgermeister Erwin Esser musste das Amt aus gesundheitlichen Gründen niederlegen. Die Amtszeit des neugewählten Bürgermeisters Ralph Manzke (SPD) beträgt aufgrund der außerplanmäßigen Neuwahl acht Jahre.
Die Rangfolgewahl ist besonders im angelsächsischen Raum verbreitet. Sie findet etwa Anwendung bei der Wahl des australischen Repräsentantenhauses, bei Oberhaus-Wahlen in Großbritannien und bei den irischen Parlamentswahlen.

Ina Poppelreuter
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mehr Demokratie e.V. NRW
Gürzenichstraße 21a-c, 50667 Köln
Tel. 0221-669665-12

Wahlalter 16: Koalitionsvertrag zügig umsetzen!, Pressemitteilung v. 11.11.2022

Mehr Demokratie e.V.
Landesverband Nordrhein-Westfalen
11.11.2022

Wahlalter 16: Koalitionsvertrag zügig umsetzen!

+++ Woche der Wahlalter-Absenkungen: Nach Mecklenburg-Vorpommern beschließt auch Bundestag Wahlalter 16 für EU-Wahlen +++

Anlässlich der Absenkungen des Wahlalters auf 16 Jahre bei Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und bei Wahlen zum Europäischen Parlament fordert der Landesverband Nordrhein-Westfalen des Vereins Mehr Demokratie eine Wahlalter-Absenkung auch für Landtagswahlen in NRW. „Die Landesregierung sollte jetzt auch in NRW nachziehen und zügig das Wahlalter bei Landtagswahlen absenken“, so Robert Hotstegs, Landesvorstand von Mehr Demokratie NRW. Es sei auch deswegen wichtig, die Wahlalter-Absenkung möglichst frühzeitig vor der nächsten Landtagswahl zu beschließen, um entsprechende begleitende Bildungsprogramme für Schulen und andere Bildungsträger aufzusetzen. Hotstegs: „Die Absenkung des Wahlalters ist auch eine Verantwortung. Natürlich sollen Erstwählerinnen und Erstwähler bei ihrer ersten Wahl durch die Bildungsträger gut begleitet werden. Aus jungen Menschen Erstwählerinnen und Erstwähler machen, das ist die Chance, die in einer Absenkung des Wahlalters steckt!“

Auf kommunaler Ebene dürfen 16- und 17-Jährige bereits ihre Stadt- und Gemeinderäte, Bürgermeister sowie Landtage und Landräte wählen. Eine Absenkung des Wahlalters bei Landtagswahlen wäre laut Hotstegs nur folgerichtig. „Es ist nicht schlüssig, bei kommunalen Belangen auf ihr politisches Interesse und ihre Bildung zu setzen, ihnen dies aber für die Landtagswahlen abzusprechen“, so Hotstegs weiter. Das Wahlalter 16 stehe auch im Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung.

Mecklenburg-Vorpommern ist das sechste Bundesland, in dem nun auch 16- und 17-Jährige den Landtag wählen dürfen. Im April hatte bereits das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg eine entsprechende Verfassungsänderung beschlossen. Auch in Berlin steht eine Verfassungsänderung an, die sich nun allerdings durch die Wahlwiederholung verzögert. Bisher können 16- und 17-Jähirge in Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein an Landtagswahlen teilnehmen. Anders als in Mecklenburg-Vorpommern, wo das Wahlrecht durch ein einfaches Gesetz geändert werden kann, ist in NRW allerdings eine Verfassungsänderung nötig. Hierzu bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament.

+++ Hintergrund:
Der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern beschloss am Mittwoch (09.11.) mit den Stimmen von SPD, Linke, Grüne und FDP, das Wahlalter für Landtagswahlen auf 16 Jahre zu senken. Am Donnerstag (10.11.) wurde im Bundestag eine Absenkung des Wahlalters bei Wahlen zum Europäischen Parlament verabschiedet. Die nächste Europa-Wahl findet im Frühjahr 2024 statt.

Weiterführende Informationen:
1. Pressemitteilung: Mecklenburg-Vorpommern: Verein Mehr Demokratie begrüßt Senkung des Wahlalters auf Landesebene: https://mevo.mehr-demokratie.de/presse/mecklenburg-vorpommern-verein-mehr-demokratie-begruesst-senkung-des-wahlalters-auf-landesebene

2.Pressemitteilung: Mehr Demokratie begrüßt Bundestagsbeschluss zum Wahlalter 16: https://www.mehr-demokratie.de/presse/einzelansicht-pms/mehr-demokratie-begruesst-bundestagsbeschluss-zum-wahlalter-16

3. Pressemitteilung: Zukunftsvertrag NRW: Gute Grundlage für umfassende Demokratie-Reformen, jetzt kommt es auf Umsetzung an!: https://nrw.mehr-demokratie.de/presse/presse-einzelansicht/zukunftsvertrag-nrw-gute-grundlage-fuer-umfassende-demokratie-reformen-jetzt-kommt-es-auf-umsetzung-an

Ina Poppelreuter
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mehr Demokratie e.V. NRW
Gürzenichstraße 21a-c, 50667 Köln
Tel. 0221-669665-12

Gericht: ein einmaliger Fall, NRZ v. 09.11.2022

Rechtsanwalt Hotstegs fordert Änderung der Gemeindeordnung

Dinslaken. Robert Hotstegs, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, hat die Bürgerbegehren-Initiative im Klage- und Berufungsverfahren vertreten.

Der aktuelle Fall zeige, „dass die Regelungen in NRW noch deutlich bürger:innenfreundlicher werden müssen“, findet Hotstegs. „Die hohen Anforderungen an die Begründung eines Bürgerbegehrens dürfen nicht dazu führen, dass erst nach fünf Jahren erstmalig Fehler auffallen.

Der Dinslakener Fall, das habe das Gericht bei der Eröffnung gesagt, sei „einmalig“: dass eine Initiative zunächst einen Kompromiss mit der Stadt abschließe, dieser dann scheitere und man darüber diskutiere, ob ein Bürgerbegehren wieder aufleben könne – das „hatten wir noch nie“, so die Worte des OVG-Richters Sebastian Beimesche. Es müsse, so fordert Hotstegs, auch zukünftig möglich sein, „gute Kompromisse abzuschließen, ohne dass die Bürger:innen dann am Ende den Kürzeren ziehen.“

Die Landesregierung habe angekündigt, die Beratung von Bürgerbegehren und Gemeinden zu stärken. Hotstegs hofft auf „deutliche Verbesserungen“ im Gesetz: „Die Gemeindeordnung darf sich durchaus an anderen Bundesländern orientieren, die mehr direkte Demokratie ermöglichen.“


Leserforum, NJW-aktuell 44/2022, 10

Zu Interview Oberthür, NJW-aktuell H. 42/2022. Habe ich die Gesamtaussage des Interviews richtig verstanden, dass wir für Anwaltskanzleien am liebsten eine Bereichsausnahme vom Arbeitszeitgesetz benötigen und dass wir berufsrechtlich und im Mandatsinteresse veranlasst sind die Arbeitszeiten zu überschreiten?

Unsere Kanzlei hat 2018 ihre regelmäßige Wochenarbeitszeit von vorher 40 Stunden auf 38 Stunden für alle Mitarbeitenden herabgesetzt. Schon zuvor war es üblich eine von jeder Mandatserfassung unabhängige Arbeitszeiterfassung zu nutzen und anfallende Überstunden durch Freizeitausgleich abzubauen. Ich kann weder in der Vergangenheit, noch durch die aktuelle BAG-Rechtsprechung, Mandate oder das Berufsrecht erkennen, warum so etwas nicht praktikabel sein soll. Ich vermute, dass Anwaltskanzleien zu häufig das Klischee nächtelanger Arbeit anbieten und auch verkaufen und dass sich die Anpassung an den Arbeitsschutz doch vielleicht zunächst in den Honoraren niederschlagen würde. Auch unsere Mandanten und Mandantinnen dürfen in Notfällen und Eilsachen selbstverständlich mit entsprechender Bearbeitung und notfalls auch Nachtarbeit rechnen. Das ist aber nicht der im Konzept eingeplante Regelfall, sondern die Ausnahme. Und es ist die Einladung unsere Mandate so zu planen, dass nicht einzelne Schultern Arbeitszeiten „rund um die Uhr“ abdecken müssen.

Für selbstständige Rechtsanwält:innen findet das Arbeitszeitgesetz keine Anwendung. Für diejenigen, die im Team mit Angestellten arbeiten, bietet diese Zusammenarbeit doch gerade jede Möglichkeit, dem Arbeitsschutz ausreichend Rechnung zu tragen.

Für die erwähnte Bereichsausnahme wie in § 45 S. 2 WPO besteht aus meiner Sicht keinerlei Veranlassung – es ist mir schon ein Rätsel, warum sie für den mir aber fremden Beruf der Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer existieren muss. Dies gilt umso mehr, als auch für (echte) leitende Angestellte und erst recht für fingierte die „allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer“ aus dem EU-Recht Anwendung finden müssen. Ein echter Mehrwert im Sinne von unbegrenzter Arbeitszeit im Sinne der Nacht-Mandate dürfte damit daher nicht verbunden sein.

Zu guter Letzt: wir diskutieren flexible Arbeitszeitmodelle und die Attraktivität der Mitarbeit in Anwaltskanzleien, die entsprechenden Nachfragen nach der Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und Familie sollen stetig steigen. Wenn wir diese Themen ernst nehmen, bewegen wir uns doch schon lange unterhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeitgrenzen, planen Pausen und Urlaube ein – oder habe ich etwas verpasst?

Fachanwalt für Verwaltungsrecht Robert Hotstegs, Düsseldorf

„Leserforum, NJW-aktuell 44/2022, 10“ weiterlesen

Menschen aus Düsseldorf: Das verschwundene Gericht, Rheinische Post v. 25.10.2022

Pempelfort. Der Anwalt Robert Hotstegs ist auf der Suche nach der ehemaligen Bundesdisziplinarkammer, die bis 1967 in Düsseldorf saß. Von der gibt es kaum Spuren – wohl auch, weil die Richter mithalfen, NS-Verbrechen zu vertuschen. 

von Marc Ingel

Robert Hotstegs kennt sich aus mit Beamtenrecht, seine Kanzlei an der Mozartstraße ist darauf spezialisiert. Das Disziplinarverfahren gegen einen Feuerwehrmann, die längst verdiente, aber nicht gewährte Beförderung im öffentlichen Dienst, der Lehrer, dem Nähe zum Reichsbürgertum vorgeworfen wird – bei solchen Verfahren ist die Hotstegs-Rechtsanwaltsgesellschaft Ansprechpartner. „Klingt etwas spröde, muss es aber nicht sein“, sagt Hotstegs.

Alles andere als öde ist jedenfalls auch das, womit sich Hotstegs seit ein paar Monaten quasi so nebenbei in seiner Freizeit beschäftigt. Er sucht ein verloren gegangenes Gericht, das rein thematisch eng verbunden ist mit seiner tagtäglichen Arbeit: Disziplinarrecht im weitesten Sinne. Es geht dabei um die Bundesdisziplinarkammer X (für römisch zehn), die von 1953 bis 1967 ein eigenständiges Bundesgericht in Düsseldorf war und zuerst in der Oberpostdirektion (heute GAP 15) und später in der Oberfinanzdirektion (inzwischen Bau- und Heimatministerium) ihren Sitz hatte. Nur: „Keiner weiß, was daraus geworden ist, es gibt keine Zeitzeugen, kaum Akten, erst recht keine Fotos“, sagt Hotstegs. 

INFO Verteidiger und Richter, Aktenzeichen und Akten

Hinweise Robert Hotstegs ist für alle Hinweise, die ihm bei der Suche nach der verschwundenen Bundesdisziplinarkammer X helfen, dankbar: „Ich weiß, dass Zeitzeugen rar werden. Aber vielleicht gibt es noch Erinnerungen und Spuren? Mich interessieren Verteidiger und Richter, Aktenzeichen und Akten.“ Kontakt: kanzlei@hotstegs-recht.de.

Das hat in solchen Fällen meist nur einen Grund: „Hier soll etwas unter den Teppich gekehrt werden“, vermutet der Jurist, der bislang zwar überall auf freundliches Interesse stieß, nur Antworten, die konnte ihm keiner liefern – was ihn natürlich nur noch mehr angestachelt hat, nachzubohren. Denn die obskure Disziplinarkammer hatte eben nicht nur über Fälle wie den Postbeamten, der im Dienst betrunken angetroffen wurde, oder den Bundesbahnangestellten, der falsch gekoppelt hat, zu entscheiden, sondern war auch mit der Aufarbeitung der NS-Zeit beschäftigt. Und hat sich, so weit lehnt sich Hotstegs jetzt schon aus dem Fenster, dabei nicht mit Ruhm bekleckert. „Das Gericht hat offensichtlich dazu beigetragen, Nazi-Kriegsverbrechern die Weste wieder schön rein zu waschen.“ Kein Wunder also, dass die Recherche des Anwalts so schwierig ist.

Für die Betroffenen hing viel ab von dem Urteil der Bundesdisziplinarkammer: „Nach einer Rehabilitation wurden sie wieder besoldet, blieben Rentenansprüche gültig“, so Hotstegs. Wer bei der Gestapo war, durfte nach Kriegsende nie wieder im öffentlichen Dienst arbeiten, „bei Tausenden anderen Beschäftigten sah das anders aus“. Ein Paradebeispiel für die These des Rechtsanwalts ist der Fall Gerhard Rose. Der war während des NS-Regimes Chef der Abteilung für tropische Medizin. Wegen seiner nachweislichen Beteiligung an Menschenversuchen im Konzentrationslager Buchenwald wurde er im Nürnberger Ärzteprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch siehe da: Nach der Haftentlassung 1955 wurde Rose von eben diesem Düsseldorfer Gericht plötzlich freigesprochen, auch seine Pensionsansprüche als Beamter erhielt er zurück. „Das steht in völligem Widerspruch zu dem, was über Rose bekannt war“, wundert sich Hotstegs, der in diesem Fall zumindest auf ein bisschen Literatur zurückgreifen kann. „Aber war Rose wirklich ein Einzelfall? Wohl eher nicht“, gibt sich der Hobby-Historiker selbst die Antwort.

Robert Hotstegs hat versucht, viele Quellen anzuzapfen, vom Stadtarchiv bis zur Mahn- und Gedenkstätte, vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bis zum Bundesarchiv in Koblenz. „Bis jetzt habe ich nur ganz wenig, und das ist schon erstaunlich in einer Zeit, in der die Vergangenheitsbewältigung doch so eine große Rolle spielt.“ Bis Januar wollte Hotstegs eigentlich eine Art Zwischenergebnis vorlegen, inzwischen hat er Zweifel, ob es ihm gelingt, das Mosaik bis dahin ausreichend zusammenzusetzen. „Ich stochere ein wenig im Nebel und habe ja auch noch einen richtigen Job. Aber aufgeben, das werde ich so schnell bestimmt nicht“, sagt Hotstegs.

Redebeitrag 73. Deutscher Juristentag in Bonn, Abteilung Justiz, 22.09.2022

73. Deutscher Juristentag in Bonn

Im Rahmen des 73. Deutschen Juristentages in Bonn hat die Abteilung Justiz den Themenkomplex „Empfehlen sich Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Besetzung von Richterpositionen?“ bearbeitet. Hierzu lag der Abteilung ein Beschlussvorschlag vor, der u.a. folgende Aspekte beinhaltete:

IV. Konkurrentenstreit

18. Um in Konkurrentenstreitverfahren zu bundeseinheitlichen Auslegungsmaßstäben zu gelangen, sollte das Verfahren instanziell neu geordnet werden. Der Eilrechtsschutz für Konkurrentenstreitverfahren um Richterstellen in den Ländern sollte bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. den Verwaltungsgerichtshöfen beginnen. Gegen diese Entscheidung sollte den Beteiligten die Beschwerde zum BVerwG offenstehen.

19. In Verfahren um Bundesrichterstellen sollte Rechtsschutz einschließlich des Eilrechtsschutzes nur vor dem BVerwG verortet werden.

Beschlussvorschlag der Abteilung Justiz

Hierzu hat Rechtsanwalt Robert Hotstegs folgenden Redebeitrag gehalten:

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren, mein Name ist Robert Hotstegs, ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Ich leite in Düsseldorf das Düsseldorfer Institut für Dienstrecht, ich bin ständiger Beisitzer am Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Düsseldorf.

Ich bin eben bei dem Beitrag zuvor ein wenig zusammengezuckt, als es ganz am Anfang hieß, dass wir eigentlich weniger Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Denn mein Auftakt sollte genau das Gegenteil sein: Wir brauchen mehr Konkurrentenstreitigkeiten, aber mit der Betonung darauf, dass wir mehr gute Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Am Ende, habe ich gemerkt, liegen wir gar nicht so weit auseinander, denn Sie wollen ja nicht den Streit als solchen verhindern, sondern Sie wollen diese, wenn ich das etwas verkürzt sagen darf, obsolet machen. Dadurch, dass eben die Qualität der Auswahlverfahren verbessert wird, da sind wir relativ nah beieinander.

Also ich möchte bei Ihnen werben für ein guten Konkurrentenstreit. Das bedeutet aus meiner Sicht – und deswegen möchte ich auch einen Änderungsantrag am Ende zu Protokoll reichen – auch, dass wir im Blick haben müssen, dass wir für das richterliche Dienstrecht nicht zusätzliche Insellösungen schaffen dürfen. Wir haben die Situation, dass wir bei Konkurrentenstreitigkeiten im Kern auch immer um die Auswahlentscheidung und die dienstliche Beurteilung streiten.

Wie sieht das aus, wenn Sie in unserer Kanzlei ein Konkurrentenstreit als Richterin oder Richter beauftragen? Dann streiten wir über Ihre dienstliche Beurteilung, womöglich vor dem Dienstgericht, weil ihre richterliche Unabhängigkeit tangiert ist. Wir streiten vor dem Verwaltungsgericht, weil die dienstliche Beurteilung im Übrigen angegriffen werden soll. Nach dem neuen Vorschlag in dem Beschlussvorschlag sollen wir dann vor dem Oberverwaltungsgericht oder dem Verwaltungsgerichtshof den Konkurrentenstreit im Eilverfahren einleiten, den Streit der Bundesrichterin und dem Bundesrichter dann bei dem Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich und letztinstanzlich. Damit entkoppeln wir aber das Richterdienstrecht ein Stückchen weiter vom Beamtenrecht.

Jetzt sagen die anwesenden Richterinnen und Richter: „Das ist ja auch richtig, wir sind keine Beamtinnen und Beamten.“ Das stimmt. Aber wir benutzen ähnliche Instrumente und wir führen aus meiner Sicht nicht den Weg dahin eine einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen, sondern wir haben noch mehr divergierende Entscheidungen zwischen Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten aus dem Beamtenrecht und dann womöglich einem erstinstanzlichen und letztinstanzlichen Bundesverwaltungsgericht bei den Bundesrichterstellen.

Das kann man machen, verkürzt aus meiner Sicht aber eben die Diskussion und das halte ich für falsch. Ich freue mich zwar, dass am Ende eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwältinnen und Anwälte herauskommt, weil sie den Anwaltszwang im Konkurrentenstreit einführen. Das begrüße ich aus egoistischen Gründen. Trotzdem werbe ich aber dafür: verzichten Sie bitte auf die Ziffer 19! Die Ziffer 19 ist, das Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich für Bundesrichterstellen zuständig zu machen. Davon halte ich überhaupt nichts. Ich habe an anderer Stelle schon einmal gesagt, bei allem Respekt vor anwesenden und nicht anwesenden Bundesverwaltungsrichterinnen und Bundesverwaltungsrichtern: ich halte das Bundesverwaltungsgericht nicht für eine gute erste Instanz, dafür ist es nicht in erster Linie gemacht. Es soll aus ganz anderen Rechtsgebieten noch weitere erstinstanzliche Zuständigkeiten erhalten.

Das ist Murks, wenn wir das im Richterdienstrecht auch noch einführen würden. Denn wenn wir beklagen, dass Eilverfahren die Hauptsache ersetzten – das ist gestern ja schon angeklungen – und zugleich zu lange dauern und Sie alle darunter leiden, egal, ob als Ausgewählter, als unterlegener Konkurrent oder als Behördenleitung, als Präsident oder Direktorin/Direktor. Wenn wir das beklagten, dann ist ja nicht die Verkürzung des Instanzenzuges automatisch Garant dafür, dass die Qualität besser wird. Dann gehen wir nach dem Bundesverwaltungsgericht nochmal vor das Bundesverfassungsgericht und schaffen uns da womöglich eine faktisch weitere Instanz.

Ich meine die Stellschrauben sollten andere sein, und dann schließt der Bogen zu dem Redebeitrag vorher. Wir können die Qualität verbessern, wenn wir Rechtsnormen schaffen. Ich werbe für gesetzliche Regelungen, für den Rahmen von Beurteilungsverfahren, für den Rahmen von Ausschreibungs- und Anforderungsprofilen, wir können aber auch den gesetzlichen Rahmen schaffen für die Beschleunigung von gerichtlichen Verfahren. Out of the box ist gestern schon ein paar Mal gedacht worden. Warum kann man die Konkurrentenstreitigkeiten nicht schneller führen? Zum Beispiel als Anleihe aus dem arbeitsgerichtlichen Prozess? Ich halte einen Gütetermin innerhalb von drei Wochen durchaus für denkbar. Da kann man Anleihen nehmen und das Verfahren beschleunigen und sich sogar zwei Instanzen gönnen.

Wir haben gute Richterinnen und Richter. Und ich glaube wir tun gut daran, wenn wir auch mehrere Instanzen auf Auswahlentscheidungen schauen lassen. Mein Änderungsantrag soll deswegen lauten, in der Ziffer 18 die Textstelle, dass „um Richterstellen in den Ländern vor OVG/VGH und Bundesverwaltungsgericht“ gestritten werden soll, zu ersetzen mit „um Richterstellen im Bund und in den Ländern“. Und siehe da, die Ziffer 19 kann entfallen. Wir entlasten das Bundesverwaltungsgericht von einer weiteren ersten Instanz. Danke sehr!

Die Abteilung ist dem Änderungsantrag nicht gefolgt und hat mit Mehrheit beschlossen, die Verlagerung des Instanzenzuges für Landesrichter:innen-Stellen auf Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht zu empfehlen, für Bundesrichter:innen-Stellen aber das streitige Verfahren ausschließlich erst- und letztinstanzlich auf das Bundesverwaltungsgericht zu verlagern.

Wann ist eine Lehrerin eine Lehrkraft?, Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 16.08.2022, Az. 7 K 1500/22.TR

Porta Nigra, Trier

Sind alle Lehrerinnen und Lehrer Lehrkräfte? Die Frage ließe sich bei einer Umfrage in der Öffentlichkeit wohl schnell und eindeutig mit „Ja“ beantworten. Tatsächlich kommt das Verwaltungsgericht Trier in einer aktuellen Entscheidung zum gegensätzlichen Ergebnis. Denn Lehrkräfte seien nur diejenigen, die auch in Schulen im Unterricht eingebunden seien, sozusagen „Dienst an der Tafel“ tun (auch wenn der Unterricht heute typischerweise anders aussieht). Für diese halte das Landesbeamtengesetz Rheinland-Pfalz eine vorgezogene Altersgrenze für den Ruhestand bereit. Nicht begünstigt würden aber diejenigen, die nicht mehr im Schulbetrieb tätig sind.

Die Rückfrage stellt sich daher: welche Lehrer:innen gäbe es denn sonst und kann das Ergebnis richtig sein?

Im konkreten Fall war eine Lehrerin dienstunfähig erkrankt. Die Erkrankung war von langer Dauer und es ist auch davon auszugehen, dass sie nicht heilbar ist. Aus diesem Grund hatte das Land schon in den Vorjahren zu prüfen, ob die betroffene Lehrerin in den Ruhestand versetzt werden müsse. An dieser Stelle sieht das Beamtenrecht vor, dass eine anderweitige Verwendung zu prüfen ist („Verwendung vor Versorgung“). Die Lehrerin war dienstfähig etwa für Verwaltungsaufgaben. Daher wurde sie an eine Verwaltungsbehörde des Landes versetzt und versieht dort seit über zehn Jahren ihren Dienst.

Das Land hatte entschieden, sie in der Laufbahn der Lehrerin zu belassen, sie wurde nicht etwa in die allgemeine Verwaltungslaufbahn versetzt. Somit sitzt nun in der Landesbehörde eine Lehrerin, die aber gerade keinen „Dienst an der Tafel“ erbringt.

Weil aber der Gesetzgeber eine vorgezogene Altersgrenze für „Lehrkräfte“ vorgesehen hat und die Behörde die Anwendung der vorgezogenen Altersgrenze ablehnte, kam es zum Streit.

Das Verwaltungsgericht Trier hat in seiner Entscheidung nun ebenfalls die Anwendung abgelehnt.

Vor allem aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber den Ruhestand von „Lehrkräften“ an Schuljahreszeiten orientiert habe, lasse sich ableiten, dass noch ein aktiver Schuldienst erforderlich sei.

Diese Auslegung ist sicherlich möglich, auch wenn sie von uns nicht geteilt wird. Aber das Ergebnis überrascht dann doch:

Im Fall der Klägerin soll diese nun, obwohl sie im Schuldienst erkrankte und schuldienstunfähig wurde, nicht von der besonderen Altersgrenze profitieren, sondern über die Lehrkraft-Altersgrenze hinaus beschäftigt werden.

Ein ebenfalls schuldienstunfähig erkrankter Lehrer unmittelbar vor Erreichen der Lehrkraft-Altersgrenze wird aber gerade nicht in den Verwaltungsdienst versetzt, sodass seine Arbeitskraft dem Land noch erhalten bliebe, er wird in den Ruhestand versetzt.

Dass also gerade eine Person aus dem Anwendungsbereich herausfallen soll, bei der sich das gesundheitliche Risiko des Lehrer:innenberufs nachweislich realisiert hat, erscheint widersprüchlich.

Hätte der Gesetzgeber die Anwendung der besonderen Lehrkraft-Altersgrenze nur für gesunde Lehrer:innen regeln wollen, wäre die entsprechende Norm wohl nicht im Landesbeamtengesetz, sondern im Rahmen der „Verwendung vor Versorgung“-Prüfung im Landesbeamtenversorgungsgesetz zu verorten gewesen. Dann wären nämlich alle erkrankten Lehrer:innen in die Verwaltung zu versetzen und die besondere Lehrkraft-Altersgrenze wäre zwingend zu umgehen.

Der Begriff der „Lehrkraft“ im Sinne des rheinland-pfälzischen Landesbeamtengesetzes ist nun erstmalig gerichtlich ausgelegt worden. Dennoch hat das Verwaltungsgericht Trier die Berufung zum Oberverwaltungsgericht nicht zugelassen.

Wir haben daher wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit empfohlen, den Antrag auf Zulassung der Berufung zu stellen. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Die wesentlichen Ausführungen des Urteils lauten im Volltext:

Die … Klägerin begehrt die Feststellung, dass für sie die besondere Altersgrenze einer Lehrkraft gilt und sie mit Ablauf des 31. Juli 2025 in den Ruhestand tritt.

Sie wurde nach erfolgreich abgeschlossenem Hochschulstudium und anschließendem Vorbereitungsdienst … 1986 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Realschullehrerin zur Anstellung ernannt und in der [A-Realschule] eingesetzt. Mit Wirkung vom 1. Februar 1989 erfolgte die Ernennung zur Realschullehrerin unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. In der Zeit vom … und … war die Klägerin zum Zwecke der Kinderbetreuung/Elternzeit vom Schuldienst beurlaubt. Ab dem 2. September 2009 war sie arbeitsunfähig erkrankt und wurde nach einem kurzzeitigen zwischenzeitlichen Dienstantritt für schuldienstunfähig befunden, weshalb sie zunächst im Zeitraum vom 29. August 2011 bis zum 28. Februar 2013 mit je 20 Wochenstunden an die [Landesbehörde 1] mit Dienstsitz in Bad Kreuznach und [Landesbehörde 2] mit Dienstsitz in Mainz abgeordnet wurde. In der Zeit vom 28. Februar 2013 bis zum 30. April 2015 wurde sie sodann in Vollzeit an die [Landesbehörde 1] abgeordnet. Mit Wirkung vom 1. Mai 2015 erfolgte die Versetzung unter Beibehaltung der Amtsbezeichnung an die [Landesbehörde 3]. Nach Auflösung der Stabsstelle … wurde die Klägerin in das Referat … umgesetzt. Mit Schreiben vom 5. September 2016 wurde ihr der Status einer Referentin übertragen.

Mit E-Mail-Schreiben vom 16. August 2019 ersuchte die Klägerin den Beklagten um Auskunft über das korrekte Datum ihres Ruhestandseintritts, welches sie unter Anwendung der besonderen Altersgrenze für Lehrkräfte auf den Ablauf des 31. Juli 2025 datierte. Mit E-Mail-Schreiben vom 19. August 2019 und vom 27. Januar 2022 wies der Beklagte darauf hin, dass für die Klägerin angesichts ihrer Tätigkeit als Verwaltungsbeamtin auf die für den Verwaltungsdienst geltenden Altersgrenzen abzustellen sei, weshalb sie erst mit Ablauf des Monats Oktober 2026 in den Ruhestand treten werde. Daraufhin bat die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 28. Januar 2022 um Erlass eines rechtsmittelfähigen Bescheides unter Angabe der Rechtsgrundlage.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2022 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin durch ihre Versetzung in den Verwaltungsdienst zur Vermeidung einer Versetzung in den Ruhestand wegen Schuldienstunfähigkeit aus dem Schulbereich dauerhaft aus- und in die Verwaltung eingegliedert worden sei. Die besondere Altersgrenze für Lehrkräfte stehe als Ausgleich zu den besonderen Belastungen der ausgeübten Tätigkeit. Bei einer ehemaligen Lehrkraft, die zur Vermeidung einer Frühpensionierung dauerhaft nicht mehr im Schuldienst tätig sei, seien die lehramtsspezifischen Belastungen nicht mehr gegeben und die Voraussetzungen für die besondere Altersgrenze nicht mehr erfüllt. Dass sich diese auf Lehrkräfte im originären Schuldienst beziehe, ergebe sich allein schon daraus, dass mit dem gesetzlichen Ruhestandseintritt zum Schuljahresende ein klarer Bezug zum unterrichtlichen Einsatz hergestellt werde. Unter Zugrundelegung der für Mitarbeiter im allgemeinen Verwaltungsdienst geltenden Altersgrenze werde diese im Fall der Klägerin mit Ablauf des Monats Oktober 2026 erreicht.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 14. März 2022 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass sie trotz ihrer Versetzung nach wie vor das Statusamt einer Realschullehrerin innehabe und ein Laufbahnwechsel nicht erfolgt sei, weshalb für sie die besondere Altersgrenze für Lehrkräfte Anwendung finden müsse. Auch wenn sie seit ihrer Versetzung mit laufbahnfremden Aufgaben betraut sei, gelte sie weiterhin als Lehrkraft im Sinne der beamtenrechtlichen Vorschriften. Eine tatsächliche oder gar aktive Beschäftigung sei hierfür keine Voraussetzung.

Mit am 26. April 2022 zugestellten Widerspruchsbescheid vom 14. April 2022, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, wonach innerhalb eines Monats nach Zustellung Klage beim Verwaltungsgericht Mainz erhoben werden könne, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er in Ergänzung der im Bescheid vom 8. Februar 2022 genannten Gründe im Wesentlichen aus, dass zwischen dem Statusamt und der konkreten Beschäftigung zu unterscheiden sei. Die Klägerin führe weiterhin die Amtsbezeichnung „Realschullehrerin“ und sei weiter der Laufbahn der Fachrichtung Bildung und Wissenschaft zugeordnet, allerdings aus dem Schulbereich ausgegliedert und im Verwaltungsdienst eingesetzt. Da sie nicht mehr als aktive Lehrerin arbeite, könne die besondere Altersgrenze für Lehrkräfte auf sie keine Anwendung finden, was bereits aus dem Wortlaut folge und sich auch aus Sinn und Zweck der Regelung ergebe. Die Regelung knüpfe nicht an die Amtsbezeichnung an, sondern an die konkrete Tätigkeit im Schuldienst.

Am 9. Mai 2022 hat die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht Mainz erhoben, welches sich durch Beschluss vom 23. Mai 2022 – 4 K 280/22.MZ – für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das erkennende Gericht verwiesen hat, bei dem die Akten am 27. Mai 2022 eingegangen sind.
Zur Begründung ihrer Klage verweist die Klägerin auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren und trägt darüber hinaus im Wesentlichen vor, dass der Gesetzeswortlaut entgegen der Auffassung des Beklagten eine aktive Tätigkeit als Lehrerin für die Anwendbarkeit der besonderen Altersgrenze nicht zur Voraussetzung mache. Folgte man der Rechtsauffassung des Beklagten, könnten sich auch erkrankte oder beurlaubte Lehrer nicht auf die Altersgrenze für Lehrkräfte berufen, da sie sich nicht im aktiven Dienst befänden. Aufgrund der wiederholt geäußerten Rechtsauffassung des Beklagten, die ihr derzeit die Möglichkeit einer persönlichen und wirtschaftlichen Ruhestandsplanung nehme, bestehe auch ein Feststellungsbedürfnis. Demgegenüber sei es ihr nicht zumutbar, erst bei Erreichen der aus ihrer Sicht für sie geltenden Altersgrenze einen Antrag auf Versetzung in den Ruhestand zu stellen, dessen Ablehnung abzuwarten und sodann um Rechtsschutz nachzusuchen.


Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 8. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2022 festzustellen, dass für sie die besondere Altersgrenze einer Lehrkraft gilt.


Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.


Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid und trägt darüber hinaus vor, dass – anders als die Klägerin – erkrankte oder beurlaubte Lehrer nicht dauerhaft aus dem Schuldienst ausgegliedert seien. Erst im Falle der Dienstunfähigkeit als Lehrkraft würden dauerhaft erkrankte Lehrer – wie es bei der Klägerin der Fall gewesen sei – auf Dauer aus dem Schuldienst ausgegliedert. Unbeschadet dessen sei die erhobene Feststellungsklage bereits nicht statthaft und scheitere am Grundsatz der Subsidiarität. Schließlich könne die Klägerin – bezogen auf die Regelungen für den allgemeinen Verwaltungsdienst – ihre wirtschaftlichen Verhältnisse durchaus planen und auch Prognoseberechnungen anfordern.


Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze und die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten verwiesen. Ferner wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig (hierzu I.), aber unbegründet (hierzu II.).


I. Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (Gesetz in der vom 1. August 2022 bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung (BGBl. I S. 4650) – VwGO –) statthaft. Bei der Frage, ob für die Klägerin die besondere Altersgrenze einer Lehrkraft i.S.v. § 37 Abs. 1 S. 4 des rheinland-pfälzischen Landesbeamtengesetzes (Gesetz vom 20. Oktober 2010 (GVBl. S. 319), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2021 (GVBl. S. 637) – LBG –) gilt und sie infolgedessen bereits zum 31. Juli 2025 das nach dem Gesetz maßgebliche Alter zum Eintritt in den Ruhestand erreicht, handelt es sich um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis (vgl. VG Bremen, Urteil vom 11. April 2017 – 6 K 1692/15 –, juris Rn. 18).

Die Feststellungsklage ist auch nicht gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO subsidiär, da sich der Eintritt in den Ruhestand wegen Erreichens der Altersgrenze unmittelbar kraft Gesetzes vollzieht, ohne dass es eines Antrags des Beamten oder eines auf die Zurruhesetzung gerichteten Verwaltungsakts bedarf (vgl. OVG RP, Beschluss vom 31. August 2020 – 2 B 10821/20.OVG –, juris Rn. 6; vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 9. Juni 2022 – 6 A 1132/20 –, juris Rn. 37; vgl. allgemein für die Feststellung der gesetzlichen Altersgrenze: BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007 – 2 C 28.05 –, juris Rn. 9).

Daneben kann die Klägerin im Wege der Anfechtungsklage die Aufhebung des Bescheides vom 8. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2022 geltend machen, mit denen der Beklagte rechtsverbindlich festgestellt hat, dass in ihrem Fall die Regelaltersgrenze und nicht die besondere Altersgrenze einer Lehrkraft Anwendung finde.

Die Klage ist auch ansonsten zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes (sowohl rechtliches als auch wirtschaftliches) Interesse an der gerichtlichen Feststellung des Zeitpunkts des Eintritts in den Ruhestand und kann den Streit über die in ihrem Fall geltende Altersgrenze auch bereits zum jetzigen Zeitpunkt einer gerichtlichen Klärung zuführen, da der Beklagte eine andere Auffassung als die Klägerin vertritt und diese ihr künftiges Verhalten an der begehrten Feststellung orientieren will (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007, a.a.O.; BayVGH, Urteil vom 11. November 2014 – 3 BV 12.1195 –, juris Rn. 46).

Schließlich hat die Klägerin die bei allen Klagen von Beamten aus dem Beamtenverhältnis einzuhaltende Klagefrist des § 74 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO (vgl. hierzu VG Trier, Urteil vom 22. September 2009 – 1 K 365/09.TR –, juris Rn. 22) gewahrt, indem die Klage am 9. Mai 2022 beim Verwaltungsgericht Mainz eingegangen ist, an das sie auch adressiert war (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 2001 – 2 C 37.00 –, juris Rn. 13). Dass die Akten nach Verweisung des Verwaltungsgerichts Mainz erst am 27. Mai 2022 beim gemäß § 52 Nr. 4 VwGO örtlich zuständigen erkennenden Gericht eingegangen sind, ist demgegenüber unerheblich, da gemäß § 83 S. 1 VwGO i.V.m. § 17b Abs. 1 S. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (Gesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Juli 2021 (BGBl. I S. 2363) – GVG –) die Wirkungen der beim unzuständigen Gericht eingetretenen Rechtshängigkeit nach der Verweisung bestehen bleiben (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 24. Juli 1963 – VI C 190.60 –, juris). Hinzukommt im vorliegenden Fall, dass die dem Widerspruchsbescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich des Sitzes des anzurufenden Gerichts unrichtig war, weshalb ohnehin die Jahresfrist gemäß § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO galt.

II. Die Klage ist allerdings unbegründet, da die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung hat. Die für Lehrkräfte geltende Altersgrenze gemäß § 37 Abs. 1 S. 4 LBG findet in ihrem Fall keine Anwendung. Nach dieser Vorschrift gilt für Lehrkräfte als Altersgrenze das Ende des Schuljahres, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden.


Vorliegend ist die Klägerin seit ihren Abordnungen und der letztendlichen Versetzung an die [Landesbehörde 3] nicht (mehr) als Lehrkraft im Sinne der Vorschrift anzusehen. Die Anwendbarkeit der besonderen Altersgrenze richtet sich, anders als die Klägerin meint, nicht nach dem Statusamt, sondern nach dem übertragenen Amt im konkret-funktionellen Sinn, das dem Schuldienst zuzuordnen sein muss (ebenso für die vergleichbaren Vorschriften in den entsprechenden Landesgesetzen: VG München, Beschluss vom 2. September 2015 – M 5 E 15.3218 –, juris Rn. 24; VG Stuttgart, Urteil vom 23. April 2020 – 1 K 11536/18 –, juris Rn. 21). Dies folgt bereits aus der Verwendung des Begriffs der Lehrkraft, der in Verbindung mit der Anknüpfung der Altersgrenze an das Ende des Schuljahres nahelegt, dass hiermit nur Personen erfasst sein sollen, die zum Zeitpunkt, zu dem sie die Altersgrenze erreichen, neben der Laufbahnzugehörigkeit auch eine schuljahresbezogene Tätigkeit ausüben und in erster Linie Unterricht erteilen (vgl. auch VG München, a.a.O.). Hierfür spricht auch die Aufgabenbestimmung einer Lehrkraft in § 25 Abs. 1 S. 1 des rheinland-pfälzischen Schulgesetzes (Gesetz vom 30. März 2004 (GVBl. S. 239), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2020 (GVBl. S. 719) – SchulG –), wonach die Lehrkräfte Erziehung und Unterricht der Schülerinnen und Schüler frei und in eigener pädagogischer Verantwortung gestalten.

Diesem Begriffsverständnis stehen die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zitierten Normen nicht entgegen, denn sie besagen nichts darüber, wie der Begriff der Lehrkraft in § 37 Abs. 1 S. 4 LBG zu verstehen ist. Soweit die Klägerin aus Ziffer 1.1 der Dienstordnung für Lehrkräfte, Schulleiterinnen und Schulleiter an öffentlichen Schulen (Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Bildung vom 22. Juni 2019 – 9212/51246/30 –, GAmtsbl. 2019, S. 151 – DO-Schulen –) sowie aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 der rheinland-pfälzischen Lehrkräfte-Arbeitszeitverordnung vom 30. Juni 1999 (GVBl. S. 148), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Juni 2020 (GVBl. S. 212) – LehrArbZVO –, die Schlussfolgerung zieht, dass es auch Lehrkräfte außerhalb der von den Vorschriften erfassten Regelungsbereiche geben müsse, da andernfalls eine Differenzierung nicht erforderlich gewesen sei, folgt das Gericht dem nicht. Die Differenzierung in § 1 Abs. 1 Nr. 1 LehrArbZVO, wonach die angeführten Vorschriften der LehrArbZVO für die an öffentlichen Schulen oder an anerkannten Ersatzschulen in freier Trägerschaft oder im Krankenhaus- und Hausunterricht tätigen Lehrkräfte gilt, ist offenkundig im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Nr. 2 LehrArbZVO zu sehen, wonach die Verordnung – neben den in Nr. 1 genannten Lehrkräften – auch für die an staatlichen Studienseminaren für die Lehrämter an Schulen tätigen Seminarleiter, stellvertretenden Seminarleiter und Fachleiter im unmittelbaren und mittelbaren Beamtenverhältnis des Landes Rheinland-Pfalz auf Probe oder auf Lebenszeit gilt. Die Begriffsdefinition in Ziffer 1.1 der DO-Schulen, wonach Lehrkräfte im Sinne der Dienstordnung alle Personen sind, die an der Schule Unterricht erteilen, bestätigt sogar das obige Begriffsverständnis.

Die Richtigkeit dieses Begriffsverständnisses wird darüber hinaus durch Sinn und Zweck der Vorschrift des § 37 Abs. 1 S. 4 LBG bestätigt. Anders als bei der Regelaltersgrenze liegt besonderen gesetzlichen Altersgrenzen für bestimmte Beamtengruppen ausschließlich die generalisierende, auf Erfahrungswerten beruhende Einschätzung des Gesetzgebers zugrunde, das für die Dienstausübung erforderliche Leistungsvermögen und damit die Dienstfähigkeit dieser Beamtinnen und Beamten sei typischerweise bereits vor Erreichen der allgemeinen Altersgrenze nicht mehr gegeben (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. Mai 2008 – 2 BvR 1081/07 –, juris; BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 2 C 26.07 –, juris Rn. 14). Besondere Altersgrenzen tragen dem Umstand Rechnung, dass die Mitglieder der jeweiligen Beamtengruppen typischerweise besonders hohen Belastungen ausgesetzt sind, deren nachteilige Auswirkungen auf das Leistungsvermögen sich mit zunehmendem Alter verstärken (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2008, a.a.O.).

Im Fall der Beamtengruppe der Lehrkräfte tritt hinzu, dass mit der Anknüpfung an das Ende des Schuljahres den organisatorischen und pädagogischen Bedürfnissen der Arbeit an der Schule und den besonderen Umständen des Schulbetriebs Rechnung getragen werden soll. Die Vorschrift bezweckt erkennbar die Sicherstellung eines kontinuierlichen Schul- und Unterrichtsbetriebs, indem ein Lehrerwechsel während des laufenden Schuljahres vermieden werden soll (vgl. VG München, a.a.O.; VG Stuttgart, a.a.O.; vgl. auch BayVGH, Urteil vom 11. November 2014, a.a.O., Rn. 59; OVG NRW, Beschluss vom 10. Mai 2017 – 6 A 469/16 –, juris Rn. 5).

Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist die Vorschrift des § 37 Abs. 1 S. 4 LBG nicht auf die Klägerin anwendbar, nachdem diese seit dem Jahr 2011 keine schuljahresbezogene Tätigkeit mehr ausübt und den besonderen Belastungen des Schulbetriebs nicht länger ausgesetzt ist. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass das Abstellen auf eine aktive Beschäftigung im Schuldienst zur Folge habe, dass sich auch beurlaubte oder erkrankte Lehrkräfte nicht mehr auf die besondere Altersgrenze berufen könnten, trifft dies nicht zu, da diese – anders als die Klägerin – organisationsrechtlich noch dem Schuldienst zugeordnet sind.

Dass im Zuge ihrer Versetzung kein Laufbahnwechsel erfolgt ist und sie nach wie vor das Statusamt einer Lehrerin innehat, ändert an dieser Beurteilung ebenfalls nichts. Die Anwendbarkeit der besonderen Altersgrenze setzt nach den vorstehenden Ausführungen nicht nur die Laufbahnzugehörigkeit, sondern auch eine laufbahnentsprechende Verwendung voraus (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 8. Juni 2000 – 2 C 16.99 –, juris). Eine andere Sichtweise hätte – worauf der Beklagte zu Recht hingewiesen hat – das unbillige Ergebnis zur Folge, dass auf im Verwaltungsdienst eingesetzte Beamte abhängig von der Laufbahnzugehörigkeit trotz Ausübens derselben Tätigkeit unterschiedliche Altersgrenzen Anwendung fänden.

Hat die Klägerin nach alledem keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, kann sie auch nicht die Aufhebung des ihr Begehren ablehnenden Bescheides vom 8. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 2022 verlangen, da dieser nach den vorstehenden Ausführungen rechtmäßig ist und sie nicht in ihren Rechten verletzt.