Flughafen-Chaos: Tegel-Entscheid der Berliner bedroht Inbetriebnahme des BER, welt.de v. 04.04.2017

Das Berliner Volksbegehren zum Weiterbetrieb des Flughafens Tegel war erfolgreich. Mit dem Volksentscheid drohen juristisches Chaos und hohe fiskalische Risiken. Alle wichtigen Fragen und Antworten.

Das Volksbegehren für eine Offenhaltung des Flughafens Tegel in Berlin war erfolgreich. Insgesamt sammelte die Initiative „Berlin braucht Tegel“ 204.263 gültige Unterschriften ein, teilte Landesabstimmungsleiterin Petra Michaelis-Merzbach am Dienstag mit – das sind 30.012 Unterschriften mehr als notwendig. Damit fängt der politische und rechtliche Streit über Berlin und seine Flughäfen allerdings erst richtig an.

Die Initiative will erreichen, dass der Flughafen im Norden der Stadt geöffnet bleibt, auch wenn eines Tages der neue Flughafen BER im Südosten den Betrieb aufnehmen sollte. Das Hauptargument: Der neue Flughafen habe, gemessen am Passagieraufkommen, in Berlin eine zu geringe Kapazität. Die Hauptstadt benötige deshalb zwei Flughäfen.

Dem entgegen stehen die Interessen mehrerer Hunderttausend Anwohner in den nördlichen Stadtbezirken, die von Fluglärm geplagt sind – aber auch die Interessen der Planer in den Landesregierungen in Berlin, Brandenburg sowie der Bundesregierung.

Das Ergebnis des Volksbegehrens fiel nun unerwartet deutlich aus, und ein Volksentscheid als nächster Schritt gilt als wahrscheinlich. Politisch und rechtlich sind jedoch viele Fragen offen. Mehr noch: Berlin drohen im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids ein juristisches Chaos und hohe fiskalische Risiken. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wer sind die Tegel-Befürworter?

Die meisten Stimmen wurden im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf (39.785) abgegeben, gefolgt von Tempelhof-Schöneberg (34.657). Beide Regionen liegen relativ nah an dem Stadtflughafen, sind gleichzeitig aber auch nicht vom Fluglärm betroffen. Erwartungsgemäß schwach dagegen war das Interesse in den östlichen Bezirken. In Lichtenberg etwa stimmten 4176 Bürger für Tegel, in Marzahn-Hellersdorf 3511 – das sind gerade mal 1,8 Prozent der dortigen Wahlberechtigten.

Politisch unterstützt wurde das Volksbegehren insbesondere von der FDP in Berlin. Sebastian Czaja, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist für einen vollen Weiterbetrieb. Auch die AfD hat die Offenhaltung Tegels im Programm. Die CDU war die meiste Zeit dagegen, räumte Ende vergangenen Jahres jedoch ihre klare Positionierung und zeigte sich einem Teilbetrieb als Regierungs- und Businessflughafen gegenüber offen.

Die Regierungsparteien SPD, Linke und Grüne hingegen sind strikt dagegen. Insbesondere die Linke will ihr Wahlversprechen einer Schließung einlösen. Die Grünen haben die städtische Weiterentwicklung des Flughafengeländes mit einem Technologiezentrum, Büros und Wohnungen im Blick. Einer Forsa-Umfrage zufolge sind drei Viertel der Berliner für die Offenhaltung Tegels.

Was geschieht als Nächstes?

Das Abgeordnetenhaus könnte sich dem Volksbegehren jetzt einfach anschließen, womit aber niemand rechnet. Deshalb wird es wohl zu einem Volksentscheid kommen. Normalerweise muss dieser innerhalb von vier Monaten stattfinden, die Frist kann jedoch verlängert werden. Denn nach dem Landeswahlgesetz sollte die Abstimmung möglichst mit einer anderen Wahl zusammengelegt werden.

Das soll gewährleisten, dass möglichst viele Wahlberechtigte auch tatsächlich mitmachen. Im Jahr 2004 war ein Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tempelhof an einer zu geringen Beteiligung gescheitert. Der nächste Termin für die Tegel-Abstimmung wäre nun die Bundestagswahl am 24. September.

Der Volksentscheid wäre erfolgreich, wenn ein Viertel der Wahlberechtigten mit Ja stimmt, aktuell sind das rund 613.000 Bürger. Dass diese Zahl erreicht wird, gilt als wahrscheinlich.

Worüber genau wird überhaupt abgestimmt?

Die Formulierung aus dem Volksbegehren wird in den Volksentscheid übernommen. Eine nachträgliche Änderung ist nicht zulässig.

Das heißt, die Bürger stimmen über folgende Forderung ab: „ … Der Berliner Senat wird aufgefordert, sofort die Schließungsabsichten aufzugeben und alle Maßnahmen einzuleiten, die erforderlich sind, um den unbefristeten Fortbetrieb des Flughafens Tegel als Verkehrsflughafen zu sichern!“

Wäre der Berliner Senat an den Volksentscheid gebunden?

„In dem Moment, in dem der Volksentscheid wegen Erreichens des notwendigen Quorums zustande kommt, ersetzt dies praktisch einen Beschluss des Abgeordnetenhauses“, sagt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Robert Hotstegs vom Deutschen Anwaltverein (DAV). „Der Senat ist daran gebunden, auch wenn es sich nicht um ein ausformuliertes Gesetz handelt – wie beim Volksentscheid Fahrrad das Radverkehrsgesetz –, sondern um einen allgemeinen Beschluss. Das gebietet schon der Respekt vor der Verfassung.“

„Grundsätzlich ist ein Volksentscheid bindend“, sagt auch Elmar Giemulla, Honorarprofessor für Luftverkehrsrecht an der TU Berlin und Experte für Verwaltungsrecht. „Allerdings hängt es natürlich von der inhaltlichen Ausgestaltung ab, inwieweit der Entscheid tatsächlich Bindungskraft entfalten kann“, sagt Giemulla.

Wenn zum Beispiel gefordert werde, die Berliner Landesregierung möge „alle erforderlichen Maßnahmen“ ergreifen, um den Flughafen Tegel offen zu halten, „besteht natürlich viel Spielraum für eine Interpretation aufseiten des Senats“.

In der Berliner Landesregierung gibt man sich auf Nachfrage deshalb relativ entspannt. Denn natürlich kann auch eine „Ergreifung aller Maßnahmen“ zum Ergebnis führen, dass dies aus rechtlichen Gründen trotzdem nicht reicht, um Tegel offen zu halten.

Welche rechtlichen Risiken gibt es?

„Ein Volksentscheid müsste konkret den Schließungsbeschluss angreifen, der, vereinfacht gesagt, aus zwei Teilen besteht“, sagt Experte Giemulla. „Das eine ist die Schließungsverfügung. Der zweite Teil betrifft aber auch den ,Landesentwicklungsplan Flughafen‘, an dem auch das Land Brandenburg beteiligt ist.“

Hier gäbe es gewaltige Probleme und Rechtsfragen, die kaum ein Jurist zuverlässig beantworten kann. „Wenn Berlin nun aus dem Vertrag mit Brandenburg ausstiege, wäre das eine Art Vertragsbruch. Inwieweit das rechtlich zulässig wäre, müsste überhaupt erst einmal geprüft werden“, so Giemulla.

Zudem würde das Planfeststellungsverfahren für den BER hinfällig. Denn darin sind die Öffnung des neuen Hauptstadtflughafens und die Schließung von Tegel miteinander gekoppelt. Die Zulässigkeit dieser Koppelung wurde auch vom Bundesverwaltungsgericht bestätigt. Wird diese nun einfach aufgehoben, besteht die Gefahr, dass wiederum Anwohner des BER das ausnutzen könnten, um gegen die Rechtmäßigkeit des Flughafens in ihrer Nachbarschaft zu klagen. Zusätzlich zum Bau-Chaos am neuen Flughafen droht damit jahrelanges juristisches Chaos.

Die Berliner Senatsverwaltung warnte bereits vor dem „Risiko, dass in möglichen Prozessen vor dem Bundesverwaltungsgericht die Betriebsaufnahme am BER suspendiert wird, wenn der Flughafen Berlin-Tegel weiter betrieben werden sollte“.

Juristisch isoliert betrachtet, könnte Tegel vielleicht sogar weiter laufen. Denn einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag von 2013 zufolge ist die Tegel-Schließung im Planfeststellungsbeschluss von 2004 nicht als „selbstständige Verpflichtung“ festgehalten, sondern wird nur in den Entscheidungsgründen genannt. Diese Gründe können sich jedoch ändern, ohne dass der ganze Beschluss seine Gültigkeit verliert.

Das bedeutet: Für einen Weiterbetrieb des Flughafens Tegel ist kein neues Verfahren notwendig. Man könnte das alte Planungsrecht einfach wiederherstellen, das auf einer provisorischen Betriebsgenehmigung aus der Nachkriegszeit beruht.

Welche finanziellen Risiken gibt es?

Die Tegel-Anwohner wurden bei ihren Klagen auf besseren Lärmschutz bisher mit dem Argument hingehalten, der Flughafen würde ja bald schließen. Kommt es anders, entstehen Ansprüche auf zeitgemäße Lärmschutzmaßnahmen für mehrere Zehntausend Haushalte im Berliner Norden. Schätzungen zufolge könnte das bis zu zwei Milliarden Euro kosten.

In wirtschaftlicher Hinsicht wäre ein Klein-Verkehrsflughafen Tegel ein Himmelfahrtskommando. Die meisten Fluggesellschaften haben sich bereits für den BER als einzigen Standort ausgesprochen. Würde der Stadtflughafen jedoch weiter betrieben werden, blieben die Kosten für Flugsicherung, Flughafensicherheit und Bodenpersonal. Wer die bezahlen soll, ist unklar.

Zudem muss das alte Flughafengebäude dringend saniert, umgebaut und auf den neuesten Stand gebracht werden – weitere Ausgaben in Millionenhöhe für den klammen Berliner Landeshaushalt drohen.

Die Alternative wäre ein exklusiver Flughafen für Militär, Regierung und einige Businessflieger, unter Schließung der alten Terminalgebäude – also auch des beliebten Sechsecks – und Offenhaltung des nördlichen Mini-Terminals. Dann allerdings stellt sich die Frage für die Stadt, ob man tatsächlich für einen derartig exklusiven Flugbetrieb rund 460 Hektar Fläche im Zentrum zur Verfügung stellen möchte.

Welche Bedeutung hat dann überhaupt ein Volksentscheid?

Rechtsanwalt Robert Hotstegs misst dem Volksentscheid eine hohe verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Würde das Abgeordnetenhaus oder der Berliner Senat also beispielsweise nach einer positiven Entscheidung durch die Hintertür versuchen, den Wählerwillen auszuhebeln, sei das mindestens „fragwürdig“.

Jedoch gibt der Experte zu bedenken: „Bei der direkten Demokratie geht es um eine Entscheidung der Wahlberechtigten, die den Zuständigkeitsbereich ihrer Regierung betrifft. Hier jedoch geht es im Zuge des zwischen Berlin und Brandenburg vereinbarten Entwicklungsplans ‚Flughafen‘ nicht nur um eine Sache, die die Berliner Wähler betrifft, sondern auch die Brandenburger.“

Letztere jedoch haben gar nicht abgestimmt.

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