JVA-Mitarbeiter verklagen Land NRW, wdr.de v. 04.08.2015

Ärger im Jugendgefängnis Ronsdorf

Eigentlich sollte das Jugendgefängnis in Wuppertal-Ronsdorf die Vorzeige-JVA in NRW werden. Doch die Justizvollzugsanstalt ist wegen Gewalt, Suiziden und internen Querelen in die Schlagzeilen geraten. Nun wird bekannt: Mitarbeiter der JVA ziehen gegen das Land NRW vor Gericht.

Diesmal ist es kein Gefangener, der sich an den WDR wendet – wie vor unserem Bericht vom Juni 2015 – sondern jemand, der offenbar im Strafvollzug arbeitet. Er bittet um Verständnis für seinen Wunsch unerkannt zu bleiben. Denn der Anstaltsleiter Rupert Koch, so die Behauptung des Briefschreibers, habe jedem seiner Beamten mit Strafanzeige gedroht, der sich an die Presse wende. Wie bei dem Ex-Häftling, der vor einigen Monaten an den WDR herantrat, geht es erneut um die Justizvollzugsanstalt Wuppertal-Ronsdorf. Der anonyme Briefschreiber berichtet auf drei Seiten über eine Reihe von Vorfälle in dem Jugendgefängnis, von denen einige schwer nachprüfbar sind.

„Angst“ vor „Repressalien“

Der Strafvollzugsmitarbeiter zeichnet ein düsteres Bild von der Arbeit der Justizvollzugsbediensteten im Jugendgefängnis von Ronsdorf: „Viele leisten einen angstbehafteten Dienst“, schreibt er. Diese Angst habe vor allem mit der Personalführung von Anstaltsleiter Koch zu tun, der auf Fehler im Tagesgeschäft mit dienstlichen Missbilligungen oder der Einleitung von Disziplinarverfahren reagiere. Manche Bedienstete hätten Angst vor „Repressalien“. Weil sie sich nicht anders zu helfen wüssten, ließen sie sich anwaltlich vertreten. Mehrere hätten Klagen vor Verwaltungsgerichten eingereicht. 

Klagen wegen Beförderungen

Sind die Vorwürfe zutreffend? Wir fangen an, nachzufragen. Und tatsächlich haben nach WDR-Informationen einige Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt (JVA) Wuppertal-Ronsdorf das Land NRW verklagt. „Ich vertrete derzeit mehrere Mandanten, die in der JVA Wuppertal-Ronsdorf arbeiten“, sagt die Rechtsanwältin Nicole Wolf von der Düsseldorfer Kanzlei Hotstegs. Es gehe bei den Streitfällen um „dienstliche Beurteilungen, Beförderungen und die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand“, so die Juristin. „In mehreren Fällen sind die Entscheidungen der JVA-Leitung bereits erfolgreich angegriffen worden und das Land NRW hat die entsprechenden gerichtlichen Verfahren in zwei Instanzen verloren“, sagt Wolf. Die letzten Entscheidungen fielen in diesem Frühjahr (Aktenzeichen u.a.: 13 L 2239/14 , 6 B 232/15, 6 B 151/15). Weitere Streitverfahren laufen noch. Die genaue Zahl der Kläger ist nicht bekannt.

Gewerkschaft: „Vermehrt Klageverfahren“

Hintergrund der Klagen: Mitarbeiter des erst 2011 eröffneten Jugendgefängnisses fühlen sich bei Beförderungen ungerecht behandelt. Auch Peter Brock, Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD) in NRW, bestätigt auf WDR-Anfrage: „Es gibt vermehrt Klageverfahren gegen Beurteilungen in Beförderungsverfahren in der JVA Ronsdorf.“ Somit verlängerten sich Besetzungsverfahren und dies führe „nicht gerade zu einer guten Stimmung bei den betroffenen Bediensteten“. Eine Verantwortung der Anstaltsleitung sei „zumindest nicht auszuschließen“, so der Landeschef der Gewerkschaft.

Drohungen durch den JVA-Leiter?

Klagen von Staatsdienern, die eine Beförderung anstreben, sind nicht selten. Ungewöhnlich ist aber, wie heftig die Rechtsstreitigkeiten rund um die JVA Wuppertal-Ronsdorf geführt werden. Dies bestätigen Insider aus der Justizverwaltung. Dabei soll es auch persönlich zur Sache gehen: Die Rechtsanwältin Wolf erhebt gegen JVA-Leiter Rupert Koch schwere Vorwürfe: In einem Telefonat Ende Oktober 2014 soll Koch die gegnerische Anwältin „in einem extrem schroffen und unhöflichen Ton angegangen“ haben. Koch weist dies auf WDR-Anfrage jedoch zurück.

Streit um Telefonat

Wenn sie nicht bereit wäre, ihre Verfahrensführung zu ändern, müsse die von ihr vertretene Person mit Anfeindungen und negativen Konsequenzen rechnen, soll Koch gesagt haben. Der JVA-Leiter habe gesagt, er könne den Mandanten/die Mandantin dann „nicht schützen“, so Wolf. „Ich sei dann persönlich dafür verantwortlich, wenn meine Mandantschaft in der Anstalt ’nichts mehr zu Lachen habe‘ und ich solle mir gut überlegen, ob ich eine derartige Verantwortung übernehmen könne und wolle“, so die Anwältin gegenüber dem WDR. Der Hinweis auf drohendes Ungemach sei im Telefonat „mehrfach wiederholt worden“. Ein solches Verhalten in Rechtsstreitigkeiten mit Behörden habe sie noch nicht erlebt, sagt die auf Verwaltungsrecht spezialisierte Anwältin.

Koch weist die Vorwürfe zurück. Die Frage, ob er die gegnerische Anwältin persönlich verbal angegriffen habe, beantwortete Koch mit einem knappen „Nein“. An den genauen Wortlaut des Telefonats kann sich der JVA-Leiter „nicht mehr erinnern“. Keinesfalls sei aber Ungemach seitens der Anstaltsleitung gegenüber dem Antragsteller „angedeutet und erst recht nicht angedroht“ worden. Er „habe in dem Gespräch angemerkt, dass zwar die verfahrensmäßige Vorgehensweise rechtlich nicht zu beanstanden ist, jedoch auch bedacht werden sollte, welche zwischenmenschlichen Spannungen und daraus resultierenden dienstlichen Unzuträglichkeiten in der künftigen Zusammenarbeit zwischen dem Antragstellener und den (zunächst) nicht beförderten Kolleginnen und Kollegen entstehen könnten“.

Missbilligungen und Disziplinarverfahren

In einer schriftlichen Stellungnahme zu den Klagen seiner Beamten gegenüber dem WDR schreibt Koch: Von fünf Gerichtsverfahren habe das Land „einmal obsiegt und ist einmal unterlegen“. Koch weiter: „In einem Fall mussten alle Beurteilungen neu erstellt werden, so dass zweckmäßigerweise eine Rücknahme und Neuausschreibung erfolgt ist. In den übrigen zwei Fällen ist die Leitung der hiesigen JVA angewiesen worden, den jeweiligen Antragsteller unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine neue Beurteilung zu erteilen.“ Die seitens des Gerichts beanstandeten Beurteilungen hätten „im Wesentlichen an formalen Mängeln“ gelitten, so Koch.

Behördenleiter entscheidet über Presseauskünfte

Seit Inbetriebnahme der JVA gab es nach Darstellung von Koch „25 Missbilligungen und Disziplinarverfahren“ gegen Bedienstete – die Verfahren seien teils „noch nicht abgeschlossen“. Laut Koch handelt es sich in den 25 Fällen um Vorwürfe etwa wegen „Nichtbefolgung der Richtlinien für Sicherheit und Ordnung in JVA’en, erhebliche Verletzung von Dienstzeiten, außerdienstliches strafrechtlich relevantes Verhalten“. Hat er Mitarbeitern per Mail mit einer Strafanzeige gedroht, wenn sie mit den Medien sprechen? Kochs Antwort auf diesen Vorwurf des Briefschreibers lautet ebenfalls „Nein“. Gemäß Landesbeamtengesetz entscheide aber die Leitung einer Behörde „darüber, wer Auskünfte an die Presse erteilt“, so der Gefängnischef: „Erteilt ein Bediensteter unbefugt Auskünfte an die Presse, stellt dies ein Dienstvergehen dar.“

Ministerium: „Keine Auffälligkeiten“

Mindestens fünf Gerichtsverfahren sowie 25 Missbilligungen und Disziplinarverfahren sind es also in Ronsdorf seit 2011 – und dies bei etwa 300 Mitarbeitern. Wie ist dies einzuordnen? Wir fragen das Düsseldorfer Justizministerium. Doch Zahlen und Daten zu anderen JVA nennt die Behörde nicht. Auch das Jugendgefängnis in Herford – mit rund 250 Bediensteten vergleichbar mit Ronsdorf – teilt dazu mit, „nach Rücksprache mit Mitarbeitern des Justizministeriums“ könne „die Herausgabe von Daten keineswegs zu einer Vergleichbarkeit von Zahlen führen“.

Ein Sprecher des NRW-Justizministeriums sieht keinen Grund zur Sorge: „Die Anzahl von insgesamt jährlich durchschnittlich 1,2 Klagen pro Jahr gegen Beurteilungen macht deutlich, dass es hier keine Auffälligkeiten beim Beurteilungsverfahren gibt.“ Wenn man den Start einer neuen JVA mit einem höheren Anteil junger Vollzugsbeamter sehe, „kann es durchaus in der Anfangsphase zu Anlaufschwierigkeiten kommen, daher ist die genannte Zahl von ‚Missbilligungen und Disziplinarmaßnahmen‘ in diesem direkten Zusammenhang als nachvollziehbar zu bewerten“. Es sei „aber in der vergangenen Zeit deutlich ruhiger geworden“.

„Schmale Faktenbasis“?

Zur JVA Ronsdorf gibt es sehr unterschiedliche Meinungen – auch innerhalb der Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten: Während BSBD-Landeschef Brock schon mehrfach kritische Worte über die JVA fand, meldete sich der Ronsdorfer BSBD-Ortsvorsitzende Marco Schwierzy nach dem WDR-Bericht über den Ex-Häftling zu Wort. In einem Schreiben, das laut Schwierzy „in Absprache/Zusammenarbeit mit dem Anstaltsleiter Herrn Koch erstellt wurde“, wurde dem WDR eine Berichterstattung auf „schmaler Faktenbasis“ vorgeworfen. Zudem hieß es, die JVA Wuppertal-Ronsdorf befinde sich „auf einem guten Weg“. Der „Personalkörper“ wachse mehr und mehr zusammen, sodass „das Positive des Entwicklungsprozesses“ überwiege. Auch NRW-Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hat bei Vorwürfen gegen die JVA im vergangenen Jahr von „Einzelfällen“ gesprochen.

JVA sollte Lehren aus „Foltermord“ ziehen

Die Justizvollzugsanstalt Ronsdorf war vor vier Jahren in Betrieb gegangen. Der 180-Millionen-Euro-Neubau galt vielen als modernstes Jugendgefängnis in NRW. Mit der neuen Anstalt wollte das Land NRW Lehren ziehen aus dem „Foltermord“ in der JVA Siegburg. Zu den Neuerungen gehörten vor allem Einzelzellen als Regelfall und ein umfangreiches Ausbildungs-, Sport- und Freizeitprogramm. In Ronsdorf sitzen derzeit rund 400 Häftlinge ein.

Gewalt, Suizide, Drogen

Im Frühjahr 2014 war ein rund 30-seitiger Bericht von Mitarbeitern des Vollzugsdienstes in Ronsdorf Thema im nordrhein-westfälischen Landtag gewesen. Inhalt des brisanten Reports: Gewalt von Gefangenen gegen Mithäftlinge und Justizpersonal. Dem Anstaltsleiter wurde vorgeworfen, missliebige Vorfälle zu ignorieren und nicht alles ans Justizministerium zu melden. Ängste der JVA-Mitarbeiter vor „Bedrohungen und Beleidigungen“ durch Häftlinge seien lange nicht ernst genommen worden, sagte Gewerkschaftschef Brock damals. Im Herbst 2014 nahmen sich innerhalb von sechs Wochen zwei Häftlinge das Leben. Zuletzt rechnete im Frühsommer 2015 ein Ex-Häftling im WDR-Interview mit den Zuständen in der JVA ab: Gewalt und Drogen gehörten zum Alltag in Ronsdorf. Beschwerden von Häftlingen würden ignoriert. Der Gefängnischef hatte dies als Einzelmeinung eines „Frustrierten“ zurückgewiesen.

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