Verfassungsgerichtshof klärt Maßstäbe für die Begründung von Verfassungsbeschwerden, Verfassungsgerichtshof NRW, Pressemitteilung v. 28.06.2019, Az. VerfGH 1/19.VB-1

Verfassungsbeschwerden sind so substantiiert zu begründen, dass der Verfassungsgerichtshof ihre Zulässigkeit und Begründetheit ohne weitere aufwändige Nachforschungen, etwa die Beiziehung von Akten, prüfen kann. Dies hat der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen in einem Beschluss vom 18. Juni 2019 ausgeführt, mit dem er eine als „Gegenvorstellung“ bezeichnete Eingabe gegen seinen vorausgegangenen Beschluss vom 22. Mai 2019 zurückgewiesen hat, der auf eine Verfassungsbeschwerde in einer Haftsache ergangen war. 

Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, mittels manipulierter Geschäftsunterlagen Kreditgewährungen mehrerer Banken erwirkt und dadurch einen Schaden von 57 Mio. Euro verursacht zu haben. Er befindet sich deshalb seit dem 21. Juli 2016 in Untersuchungshaft. Die Vorwürfe sind Gegenstand einer laufenden Hauptverhandlung vor dem Landgericht Münster. Der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 8. Januar 2019 ging eine ganze Reihe von jedenfalls teilweise umfangreich begründeten Haftprüfungs- und Nichtabhilfeentscheidungen des Landgerichts Münster sowie von Haftbeschwerdeentscheidungen des Oberlandesgerichts voraus. Zur Begründung seines Beschlusses vom 8. Januar 2019 nahm das Oberlandesgericht zum einen Bezug auf die unmittelbar vorausgegangenen Entscheidungen des Landgerichts über die Haftfortdauer und die Nichtabhilfe. Zum anderen stellte es ergänzend kurze eigene Erwägungen an.

Der Beschwerdeführer hat sich gegen die Begründung des Beschlusses des Oberlandesgerichts gewandt und insofern eine Verletzung seines Freiheitsrechts aus Art. 4 Abs. 1 Landesverfassung (LV) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz (GG) gerügt.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Verfassungsbeschwerde in seinem Beschluss vom 22. Mai 2019 im Hinblick auf die erhobene Rüge für zulässig erachtet. Er hat sie dahingehend ausgelegt und die Sachprüfung darauf beschränkt, dass der Beschwerdeführer nur die Verletzung der aus Art. 4 Abs. 1 LV in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG folgenden besonderen Vorgaben für die Begründungstiefe von Haftentscheidungen geltend macht. Die mit dieser Maßgabe erhobene Verfassungsbeschwerde sei unbegründet, weil das Oberlandesgericht Hamm hier ausnahmsweise von weitergehenden eigenen Erwägungen habe absehen dürfen. Das Oberlandesgericht habe sich aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles zum einen auf eine Bezugnahme, zum anderen auf kurze ergänzende eigene Erwägungen beschränken dürfen. Denn die in Bezug genommenen Entscheidungen seien jeweils ausführlich und nachvollziehbar begründet worden, und dem angegriffenen Beschluss sei eine Vielzahl von jedenfalls teilweise eingehend begründeten Haftentscheidungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts in kurzen zeitlichen Abständen vorausgegangen.

Der Beschwerdeführer hat diesen Beschluss mit einer als „Gegenvorstellung“ bezeichneten Eingabe angegriffen und gerügt, dass der Verfassungsgerichtshof die mit seiner Verfassungsbeschwerde erhobenen Rügen im Wege einer fehlerhaften Auslegung seines Vorbringens unzulässig verkürzt habe. Er habe eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe, die für die Prüfung der Fluchtgefahr und der Verhältnismäßigkeit der vollzogenen Untersuchungshaft zu der zu erwartenden Haftstrafe gelten, gerügt.

Der Verfassungsgerichthof hat in seinem Beschluss vom 18. Juni 2019 offen gelassen, ob eine Gegenvorstellung ein statthafter Rechtsbehelf ist  und ob in der als „Gegenvorstellung“ bezeichneten Eingabe des Beschwerdeführers (auch) eine Anhörungsrüge liegt. Denn die Eingabe gebe in der Sache keinen Anlass zu der begehrten Abänderung der Entscheidung. Der Verfassungsgerichtshof habe die Beschwerdeschrift zutreffend ausgelegt. Selbst wenn das Vorbringen des Beschwerdeführers in dem von ihm verlangten Sinne hätte ausgelegt werden müssen, wäre seine Verfassungsbeschwerde nicht zulässig. Aus dem Verfassungsgerichtshofgesetz ergebe sich die Pflicht, eine Verfassungsbeschwerde so substantiiert zu begründen, dass der Verfassungsgerichtshof ihre Zulässigkeit und Begründetheit ohne weitere, aufwändige Nachforschungsmaßnahmen, etwa durch Beiziehung der Akten des Ausgangsverfahrens, zu prüfen vermöge. Hier habe es insofern daran gemangelt, als der Beschwerdeführer nicht alle in Bezug genommenen und für die Sachprüfung im Sinne der weiteren Rügen erforderlichen Entscheidungen vorgelegt habe.