Stadt Köln will OB-Wahl verschieben – abgegebene Stimmen zählen nicht, Kölner Stadt-Anzeiger v. 02.09.2015

Stimmzettel-Debakel

Ratlosigkeit im Kölner Rathaus. Nach einem turbulenten Tag bleibt am Ende keine Alternative mehr: Die Kölner OB-Wahl muss verschoben werden. Von Andreas Damm , Tim Attenberger und Helmut Frangenberg

Köln. Das Wahlgeschäft läuft zunächst weiter an diesem Mittwoch, wenngleich von Verunsicherung begleitet. Wie in den Tagen zuvor machen sich etliche Kölner auf den Weg zu einem der Bürgerämter, um dort vorab ihre Stimme abzugeben.

Mehr noch als die Frage, bei welchem der sieben Oberbürgermeisterkandidaten sie ihr Kreuzchen setzen sollen, beschäftigt viele jedoch ein ganz anderes Problem: Ob ihre Stimme überhaupt gültig sei, wollen sie von städtischen Bediensteten wissen. „Natürlich“, lautet die Standardantwort.

Die spektakuläre Wendung in Sachen OB-Wahl werden die Beamten erst nach Feierabend erfahren: Sämtliche bereits abgegeben Stimmen sind ungültig, die gesamte Wahl wird auf einen späteren Termin verschoben.

Im Kölner Rathaus haben sich an diesem denkwürdigen Tag die Ereignisse überschlagen. Schon morgens saßen Wahlleiterin Agnes Klein und ihre Mannschaft mit Juristen zusammen, städtischen und eiligst hinzugezogenen externen Rechtsberatern. Sie wägen ab: Mit neuen Stimmzetteln weitermachen und die bereits abgegeben dennoch werten? Oder ist es geboten, die Wahl wegen des zweifelhaften Layouts der Stimmzettel zu verschieben?

Für einen derart weitreichenden Schritt hat das Kommunalwahlgesetz hohe Hürden gesetzt. Eine Naturkatastrophe wäre ein Anlass, ein Erdbeben etwa, eine Jahrhundertflut des Rheins; ebenso ein Brand, durch den die Briefwahlzettel zerstört werden. Aber Stimmzettel, die nicht gesetzeskonform sind, weil die Parteinamen viel größer gedruckt sind als die Namen der Kandidaten und möglicherweise so das Prinzip der Chancengleichheit verletzen?

Eine gewagte Haltung

Das Ergebnis der ersten Diskussion: Die Stadtverwaltung will die Wahl wie geplant am 13. September durchziehen. Am Nachmittag verbreitet das Presseamt die Nachricht, dass der Druck von 800.000 neuen Stimmzettel in Auftrag gegeben worden sei. Die 53.000 abgegebenen Briefwahlstimmen sollen ihre Gültigkeit behalten. Eine gewagte Haltung.

Verwaltungsrechtler, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ befragte, bezeichneten das Vorgehen der Kölner Wahlleiterin als kritisch. „Das ist kein sicheres Verfahren – die Stadtverwaltung geht ein hohes Risiko ein“, sagte Janbernd Oebbecke, Professor für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität Münster.

Sollten die parteilose Henriette Reker und der SPD-Mann Jochen Ott, die beiden aussichtsreichsten Kandidaten, am 13. September weniger als 53.000 Stimmen auseinanderliegen, könne jeder Wahlberechtigte das Ergebnis anfechten. „Wenn die Stimmzettel nicht rechtskonform sind, lassen sich die bisher abgegebenen Briefwahlstimmen nicht retten. Für die restlichen Wähler einfach neue Zettel zu drucken, beschwört Wahlanfechtungen geradezu herauf“, sagt der Jurist Robert Hotstegs, Berater der Initiative „Mehr Demokratie NRW“.

Selbst die Kandidaten zweifeln. „Wenn es Zweifel gibt, muss die Wahl verschoben werden“, sagt Ott. „Ein neuer Wahltermin wäre für alle Beteiligten schlecht. Aber wir müssen eine rechtskonforme Lösung finden“, findet Reker.

Mehr als 50.000 Stimmen ungültig

Wahlleiterin Klein informiert die Bezirksregierung über ihre Absicht. Dort prüfen Juristen den Sachverhalt. Ihr Urteil widerspricht der Rechtsauffassung der Stadt: Die abgegebenen Briefwahlstimmen sind ungültig. Alle Briefwähler müssten die Möglichkeit erhalten, bis zum 13. September noch einmal zu wählen. Das zu gewährleisten, ist für die Wahlorganisatoren unmöglich. Denn sie haben noch weitere 50.000 Briefwahlunterlagen verschickt.

Es gibt keine Möglichkeit, sämtliche 100.000 Menschen vor dem 13. September zu erreichen. Die einzige Lösung: Der Wahltermin muss verschoben werden. Am Mittwochabend sitzen die Verantwortlichen im Rathaus erneut zusammen. Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe wurde noch keine Entscheidung verkündet. Aber der Weg zeichnete sich bereits ab: Die Stadt wird die Bezirksregierung bitten, einen neuen Termin für die Wahl des Kölner Oberbürgermeisters zu bestimmen.

Schreibe einen Kommentar