Experte fordert weniger Zeitdruck am Wahlabend, Kölner Stadtanzeiger v. 07.04.2015

Verschwundene Umschläge, unvollständige Niederschriften – sind Pannen wie die bei der Kölner Kommunalwahl normal? Verwaltungsrechtler Hotstegs spricht mit uns über Fehlerquoten und Lehren aus den Vorgängen in Köln.


Zur Person 

Robert Hotstegs ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Rechtsberater des Vereins Mehr Demokratie, dessen Landesvorstand er bis 2014 angehörte. In seinem Wohnort Düsseldorf engagiert sich der 35-Jährige seit langem als ehrenamtlicher Wahlhelfer. (adm)


Köln –

In Köln verschwinden Umschläge mit Stimmzetteln und tauchen dann wieder auf, die Niederschrift eines Wahlvorstandes ist unvollständig und die Stadtverwaltung hat offenbar den Überblick verloren. Ist so etwas allgemein üblich bei Wahlen?
Natürlich nicht. Das haben sich die Gesetzgeber sicher anders vorgestellt, als sie die Regeln erlassen haben. Man darf aber nicht davon ausgehen, dass überall die Welt in Ordnung ist. Allen Wahlen ist ja gemein, dass Massen von ehrenamtlichen Helfern mitmachen. 

Am Wahltag im Mai 2014 waren 9500 Helfer in Köln tätig. Es wäre doch geradezu erstaunlich, wenn da nicht auch Fehler passieren.  
In einem gewissen Umfang kann man Fehler nicht ausschließen. Es gibt aber wenig Alternativen, denn wir wollen ja möglichst überschaubare Stimmbezirke, wir wollen Wahllokale möglichst vor der Haustür haben. Das bedeutet eben, dass wir sehr viel Personal brauchen. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich bin seit 1994 regelmäßig als Wahlhelfer tätig. 

Bei der zurückliegenden Wahl gab es eine Reihe von Abstimmungen. Über den Stadtrat, die Bezirksvertretungen, das Europarlament und für einen begrenzten Kreis noch den Integrationsrat. Bringt eine solche Häufung eine höhere Fehlerquote mit sich? 
Grundsätzlich nicht. Aber es deutet manches darauf hin, dass die Stadt Köln es den Wahlvorständen unnötig schwer gemacht hat.

Inwiefern?
Da gibt es ja ganz simple Methoden. Mit farblich unterschiedlichen Umschlägen zum Beispiel und einem einfachen System der Kennzeichnung. Wenn man deutliche Markierungen und Kennzeichnungen vorgibt, dann hilft das Fehler zu vermeiden. Eine gründliche Schulung der Wahlhelfer gehört auch dazu. In Köln fehlte es zum Beispiel an einer unmissverständlichen Nummerierung der Umschläge für die Stimmzettel.

Also organisatorische Mängel bei der Vorbereitung…
Wenn man darauf achtet, ist eine Mehrfachwahl nicht anfälliger als eine einfache Wahl. Andere Großstädte werden dem ja auch Herr. 

Nicht nachvollziehbare Starrköpfigkeit

Sie beobachten das Wahlgeschehen schon länger. Welche Fehler passieren denn so?
Das fängt damit an, dass an Briefwähler falsche Wahlzettel verschickt werden. Oder das: Bei uns im Wahllokal erschien einmal ein Wähler, der laut unserer Liste schon gewählt hatte. Er hat geschworen noch nicht dagewesen zu sein, wir mussten ihn dennoch zurückweisen. Weil sein Name in unserer Liste gestrichen war, durften wir nichts anderes tun. Möglicherweise haben wir jemanden versehentlich um seine Stimmen gebracht. Das wird sich nie aufklären lassen. 

Ist für Sie nachvollziehbar, dass es in Köln eines Gerichtsurteils bedurfte, um ein extrem auffälliges Ergebnis in einem einzelnen Briefwahlbezirk noch einmal zu überprüfen? 
Nein. Natürlich darf man nicht wieder und wieder die Stimmen auszählen. Aber diese Starrköpfigkeit kann ich nicht nachvollziehen. Damit verbindet sich doch die nicht zu haltende Annahme, hier ist zwingend alles richtig gemacht worden.

Wie bewerten Sie den Rücktritt des Wahlleiters Guido Kahlen? 
Ihm persönlich rechne ich das hoch an. Aber im Ergebnis ist das nicht viel mehr als ein Zeichen. Das Gesetz sieht vor, wer Wahlleiter ist, also der OB oder einer seiner Stellvertreter. Dass der Weg frei ist für einen neutralen Wahlleiter, stimmt deshalb nicht so ganz. Diese Wahlbeamten haben ja auch eine Position in der Stadt. Von daher sind die Worte etwas stärker als das Ergebnis, das man jetzt erzielen wird. 

Welche Lehren lassen sich aus den Kölner Vorgängen ziehen?
Gewöhnlich macht niemand den gleichen Fehler zweimal. Bei den Mehrfachwahlen muss man sehr viel Aufmerksamkeit auf die ganz schlichte Organisation legen. Mit einfachsten Markierungen und einer durchdachten Farbwahl für Umschläge. Das sind Dinge, die man zunächst für nicht so bedeutend halten könnte. Auch könnten die Schulungen sicher noch verbessert werden. All das erleichtert den ehrenamtlichen Wahlhelfern die Arbeit ungemein. Und vielleicht würde es helfen, ein bisschen den Zeitdruck herauszunehmen. An jedem Wahlabend entwickelt sich eine eigene Dynamik.

Wie ist das zu verstehen? 
Jeder Stimmbezirk will schneller sein als der andere, also sein Ergebnis schneller melden. Auch unter den Städten gibt es eine Art Wettbewerb, keine will Schlusslicht sein. Ich kann mich davon als Wahlhelfer selber nicht freimachen. Aber Gründlichkeit geht vor, das gilt hier ganz besonders.