Eins, zwei, drei… meins!, IHK magazin 12|14, S. 24

Neu-Unternehmer erzählen, warum ein guter Plan, Überzeugungskraft und Durchhaltevermögen bei der Übernahme eines Betriebes wichtiger sind als Eigenkapital.

Text: ERIK SCHWEITZER

Es ist der Stoff, aus dem Hollywood einen Film machen würde: Ein Mann verfolgt seinen Traum, trotzig gegen alle Widerstände, bis an den Rand seiner Kräfte.

Das Scheitern schon vor Augen, kommt es dann in letzter Sekunde doch noch zum Happy End. Das wahre Leben lässt diese Geschichte in Monheim am Rhein spielen, Jan Lohrum ist der Hauptdarsteller. Heute sitzt er vergnügt an einem der rustikalen Tische im Hotel „Zum Vater Rhein“. Seinem Hotel.

Seit einem Jahr gehört ihm nun der Traditionsbetrieb mit seinen 30 Betten, 120 Plätzen im Restaurant drinnen und weiteren 120 draußen. Jan Lohrum ist Chef über 28 Mitarbeiter. „Das Haus ist heute in ruhigem Fahrwasser“, sagt er und lehnt sich etwas zurück. Gerade hat er zum ersten Mal eine Woche Urlaub gemacht.

Daran war lange nicht zu denken: Der Restaurantfachmann Lohrum ist zunächst die klassische Karriereleiter hinaufgeklettert – Ausbildung in Monheim, Feinschliff in der Schweiz, Chef de Rang im Düsseldorfer Rheinturm, später Restaurantleiter. Als er sich nach der nächsten Herausforderung umsah, kam die Kunde vom Verkauf des „Zum Vater Rhein“ gerade recht. „Ich wusste, das Haus ist seit Jahren ein Selbstläufer, bekannt für seine gute Küche. Da muss ich mir kein Stammpublikum aufbauen.“ In der Tat: Seit das ehemalige Fährhaus, von dem einst die Rheinschiffer ihre Instruktionen übermittelt bekamen, vor rund 100 Jahren ein Gasthaus wurde, haben es sieben Generationen der Familie Gethmann immer weiter ausgebaut. Heute zeugt nur noch ein riesiger Scheinwerfer auf dem Dach von der Schifffahrts-Vergangenheit.

Erich und Renate Gethmann wollten ihre Perle am Rhein nun also verkaufen. Und die Interessenten standen Schlange. Da half es auch nicht, dass die beiden sich mit Lohrum, dem Jungen aus dem Dorf, bestens verstanden. Sie kannten die windige Welt der Gastronomie und ihre schillernden Figuren zu gut, um irgendwen zu bevorzugen. „Die Bedingungen waren einfach und klar, dass die Mitarbeiter übernommen werden – und es eine schriftliche Zusage der Bank über den Kaufbetrag gibt.“

Durchhalten oder aufgeben?

Damit begann für ihn die Odyssee. Mit einem kleinen fünfstelligen Betrag an Erspartem in der Hand galt es, einen siebenstelligen Kredit aufzunehmen. Und das, wo viele Banken doch gleich abwinken, sobald es um Gastronomie geht. Beim Stichwort „Zum Vater Rhein“ hörten sie Jan Lohrum immerhin zu. „Doch die Banken wollten immer mehr und mehr Unterlagen haben.“ Erst den Businessplan, dann die Bilanzen von den Vorgängern, dann Standortgutachten. Lohrum hatte inzwischen im Rheinturm gekündigt, um sich voll auf die Übernahme zu konzentrieren. Doch die Monate gingen ins Land, das Geld wurde knapp und auch bei den Banken brauchte er einen langen Atem.

Die Wende brachte ein Finanzierungsmakler, auf den er durch die Dehoga gestoßen war. Der verlangte zwar Provisionen wie ein Immobilienmakler, „aber er hat mir vorgerechnet, warum er das Geld auch wertist“, erinnert sich Lohrum. Der Makler behielt Recht. Aus 60 Seiten Businessplan wurden nun 120. „Wir sind noch viel mehr ins Detail gegangen“, sagt Lohrum. Hollywood würde an dieser Stelle – begleitet von treibender Musik – eine Sequenz zeigen, wie der neue Coach seinen Schützling auf Trab bringt. Lohrum büffelte Bilanzen, feilte an seinen Zahlen. Für jeden Monat der nächsten Jahre gab es nun eine Umsatzprognose. Sein gesamtes Auftreten wurde überzeugender. Inzwischen fuhr er nachts Lkw, um über die Runden zu kommen und um tagsüber Zeit für Banken, IHK oder Dehoga zu haben. Und wenn er müde ins Bett fiel, blieb er doch oft schlaflos, so hoch war der Druck. „Ich habe immer mal wieder ans Aufgeben gedacht, habe mich sogar wieder nach festen Stellen umgesehen“, sagt er. Doch nach anderthalb Jahren platzte endlich der Knoten. „Plötzlich hatten sogar zwei Banken Interesse, die sich gegenseitig mit ihren Konditionen unterboten“, sagt Lohrum. „Das Eigenkapital war überhaupt nicht mehr wichtig, auf hunderttausend Euro Kredit mehr oder weniger kam es nicht mehr an.“

Sein Glück war, dass die anderen Kaufinteressenten nicht schneller waren. Und seine Stärke war der lange Atem. „Ich kann jedem nur raten: Gib nicht auf! Es lohnt sich, durchzuhalten.“ Die zwei Jahre der Bittgänge und Verhandlungen haben ihn viel gelehrt, sagt er. „Jetzt kann ich mit den ganzen Zahlen umgehen, sogar eine Bilanz lesen.“ Und er hat den Kampf um die Existenz schon hinter sich. Vielen Unternehmensgründern steht er nach dem Start erst noch bevor.

In 60 Quadratmetern auf eigenen Füßen

Doch es kann auch schnell und schmerzlos gehen – zum Beispiel, wenn den Geldgebern die Branche attraktiv erscheint. Beate Schultheis hatte dieses Glück, als sie Monheims einziges Sanitätshaus übernehmen wollte. Wenn die 49-jährige gelernte Bürokauffrau von ihrem Weg in die Selbständigkeit erzählt, klingt das Unterfangen gleich leichter. „Jeder, der die Möglichkeit dazu sieht, sollte das unbedingt machen“, rät sie. „Diese Chance bekommt man vielleicht nur einmal im Leben.“ In Ihrem Fall hieß die Chance Buchbender, das Sanitätshaus im Zentrum des Städtchens, 60 Quadratmeter klein – inklusive Teeküche – und bis unter die Decke vollgestellt mit Stützstrümpfen, Rollatoren und Badewannenstühlen. Schultheis kannte das Geschäft bereits, sie hatte die vergangenen Jahre, nachdem die meisten ihrer sieben Kinder volljährig waren, schon für Sanitätshäuser gearbeitet, am Schreibtisch und für Kunden. „Wenn man dann von außen in so eine Firma kommt, sieht man immer, was alles falsch läuft und würde es am liebsten besser machen.“ Als sie durch eine Bekannte von Elke Buchbenders Verkaufsabsichten hörte, suchte sie den Kontakt. Die beiden Frauen waren sich schnell handelseinig. „Ich habe direkt die erste Forderung akzeptiert, auch wenn mir klar war, dass sie eigentlich etwas zu hoch ist. Aber ich wusste auch, dass es
noch mehr Interessenten gibt.“

Zupacken statt zaudern – das ist Beate Schultheis, auf jeden Fall ist sie keine Bedenkenträgerin. Diese Rolle übernahm erst einmal die KfW-Bank, von der sie sich die Gründungsfinanzierung erhoffte. „Drei Stunden war ich dort, die haben wirklich nach allem gefragt, nach den persönlichen Voraussetzungen, nach den Plänen mit dem Geschäft.“ Eigentlich wollte sie das etablierte Unternehmen doch einfach so weiter führen, wie gehabt. „Aber das wollten die nicht hören“, sagt sie. Also gab sie ihrem Konzept noch einen frischeren Anstrich, ein neues Logo sollte her, eine zeitgemäße Webseite, der Laden wurde mit Hilfe der Familie entrümpelt und renoviert. Auch die 50.000 Euro Eigenkapital steuerte die Verwandtschaft bei – damit war die geforderte Quote von 20 Prozent erfüllt.

Eine böse Überraschung gab es nur beim genauen Blick auf die Ladenausstattung. Die Computer waren hoffnungslos veraltet, neue Spezialsoftware musste her. „Alles in allem waren das bestimmt nochmal 50.000 Euro.“ Damit war klar: Beim Kaufpreis hätte sie vielleicht doch verhandeln sollen. Böse ist sie trotzdem niemandem. Die Vorbesitzer schauen noch regelmäßig rein, loben die Entwicklung des Ladens. Den drei Mitarbeiterinnen, die sie übernommen hatte, kündigte sie zunächst und stellte sie direkt wieder ein. „Ein Tipp von meinem Anwalt. So gibt es wieder eine Probezeit.“ Noch sind alle dabei – und das Geschäft läuft gut. Obwohl nur wenige Wochen nach ihrer Übernahme ein weiteres Sanitätshaus in der Stadt eröffnet hat. Beate Schultheis beunruhigt das nicht. Sie hat die Erfahrung, die Stammkundschaft – und einen der seltenen Venologen direkt um die Ecke.

Nische in Oberkassel gefunden

Von seinem perfekten Standort profitiert auch der Unterhaltungselektronik-Spezialist Jokesch. Im feinen Oberkassel hat er eine Nische gefunden, wie es sie so vielleicht nur in kaufkraftstarken Lagen wie in Düsseldorf gibt. Zehn Mitarbeiter statten Wohnungen mit der neuesten Unterhaltungs- und Telekommunikationstechnik aus, entwerfen intelligente, vernetzte Häuser und schlagen die Brücke von Sound zu Design. Unsichtbare Lautsprecher, fernbedienbare TV-Schränke, klingender Garten – nach Bedarf arbeitet Jokesch mit Schreinern, Programmierern oder Architekten zusammen und macht praktisch alles möglich – ein gewisses Budget vorausgesetzt. „Bei uns ticken die Uhren noch etwas anders“, sagt Edmund Witzmann, der Jokesch 1977 als Rundfunk- und Fernsehgeschäft mit gegründet hatte. Einer im Team ist seit 22 Jahren Sebastian Boss. Mit 16 hatte er als Aushilfe angefangen. Dieser Tage wird er nun offiziell Eigentümer und löst damit Edmund Witzmann ab. „Die Übernahme war schon länger ein Thema“, erinnert sich Witzmann, „nach 22 gemeinsamen Jahren sieht man einfach: Der kann das.“ Angebote von außen gab es zwar auch. „Aber das war nie ein Thema für mich.“

Schon vor rund fünf Jahren bereitete sich also Sebastian Boss, damals schon die linke Hand des Chefs, auf seine neue Rolle vor, besuchte unter anderem eine Führungskräfteakademie. Als es dann vor etwa zwei Jahren konkret werden sollte, waren die beiden vom Aufwand des Verfahrens dann doch überrascht. Die Herausforderung war, ein über die Jahre gewachsenes Unternehmen so zu durchleuchten, dass es auch für die Hausbank, die KfW-Bank, die NRW-Bank, Notare und Anwälte begreifbar wurde. Mit einem Unternehmensberater wurde ein Drei-Jahres-Plan entwickelt, auf dessen Basis die Eigenkapitalquote ermittelt. Boss: „IHK und KfW waren erstaunlich tief in den Zahlen drin. Das hat mir imponiert.“ Doch mancher Bankberater wollte den Erfolg von Jokesch zunächst nicht recht glauben. „Gegen Mediamarkt haben sie doch keine Chance“ – dieses allgemeine Vorurteil mussten sich die Firmenchefs mehrfach anhören. „Wir sind gut aufgestellt und die Prognose ist günstig“, sagt Witzmann. Nur die Überzeugung dauerte etwas. Ebenso die Vertragsgestaltung. Sie brauchte zwei Anläufe. Beim ersten waren Haftungsrisiken des Vorgängers für die Zukunft nicht sicher ausgeschlossen. „Mir wäre ein einfacher Handschlag auch recht gewesen. Aber die möglichen Risiken wollte ich dann doch nicht bis ans Lebensende tragen“, sagt Witzmann. Letztlich hat sich auch in diesem Fall der weite Weg gelohnt, meinen beide. „Wichtig ist, dass man sich Leute sucht, die an einen glauben“, sagt Boss rückblickend. „Und dass man die viele Hilfe, die es von außen gibt, auch annimmt.“ So ganz nebenbei hat ihm die Verzögerung wohl auch noch die denkbar niedrigsten Zinsen beschert.

Wenn die Chemie einfach stimmt

Im Vorteil ist natürlich, wer die Banken von vornherein nicht braucht. Bei Unternehmensübernahmen ist das nur selten der Fall und höchstens dort möglich, wo der Unternehmenserfolg eng mit der Unternehmerfigur verbunden ist, wo Vertrauen ein Teil des Geschäfts ist. Robert Hotstegs hat das erlebt. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht stieg in seiner heutigen Kanzlei vor 13 Jahren als Praktikant ein. Schon der erste Kontakt ließ erahnen, dass sich hier Menschen mit ähnlichem Rhythmus finden würden. Der damalige Kanzleiinhaber Henning Obst ließ auf Hotstegs Bewerbung hin nämlich bei den Eltern des jungen Studenten ausrichten, dieser könne ihn noch bis um Mitternacht zurückrufen. „Als ich abends um zehn nach Hause kam, hatte ich dann doch Skrupel“, erzählt Hotstegs. Eine Stunde lang rang er mit sich, dann griff er zum Hörer. Obst hatte es doch so gewollt. Was folgte, war ein ungewöhnliches, nächtliches Bewerbungsgespräch. „Da stimmte einfach die Chemie.“ Hotstegs arbeitete fortan für Obst. Und noch ehe er 2008 seine Zulassung zum Anwalt erhielt, schmiedete er mit dem Senior-Chef bereits große Pläne. Denn der wollte privat gern noch neue Wege gehen und sein Lebenswerk rechtzeitig übergeben. Die Kanzlei hatte sich seit der Gründung 1985 auf Beamtenrecht spezialisiert, nach der Wiedervereinigung brummte das Geschäft mit dem DDR-Recht, bis zu zwölf Anwälte waren angestellt. Und auch auf Normalmaß geschrumpft, war die Kanzlei stets einträglich. Nun lassen sich Mandate zwar nicht verkaufen, doch das große Vertrauen, das Obst sich bei Richtern und Mandanten erarbeitet hatte, war schon Gold wert. Zwar gibt es Empfehlungen zur Kanzleibewertung. Renommée mal Spezialisierung plus Lage – so in der Art. „Wir hatten aber immer das Gefühl, das passt nicht ganz auf uns.“ Also haben die beiden das Modell angepasst, vereinbarten schriftlich eine vierjährige Übergangszeit, in der sie gemeinsam als Partner die Kanzlei führen wollten. Auch mit ihren Namen. Aus Hotstegs Anteil am Erfolg jener Jahre floss sodann die Ablöse an Obst. „Zum Glück lief es in der Zeit so gut, dass ich alles dank der steigenden Umsätze stemmen konnte“, sagt Hotstegs heute.

Die restliche Übernahme war 2013 schließlich nur noch Formsache. Um für die Zukunft flexibler aufgestellt zu sein, entschied sich Hotstegs für eine GmbH als Rechtsform – unter Anwälten noch eher unüblich – und wurde damit auch IHK-Mitglied. Über Nacht die Verantwortung für fünf Mitarbeiter zu übernehmen, darunter zwei Anwälte, machte ihn dann doch nervös. „Das waren die aufregendsten Wochen meines Lebens – nach der Geburt meines Sohnes“, sagt er heute. Doch es lief alles glatt. Entgegen der Unkenrufe mancher Kollegen bedeutete die Umfirmierung zur GmbH kein Vertrauensverlust bei den Mandanten. Und der fließende Übergang vom alten zum neuen Inhaber hatte es ermöglicht, die weichen Werte des Unternehmens für Robert Hotstegs zu erhalten. Der hatte damit ein großes Ziel erreicht. Und auch Henning Obst, heute 62, konnte sich einen Lebenstraum erfüllen. Er studiert heute Bildende Kunst.

ERIK SCHWEITZER
geboren 1976, war nach dem Volontariat in Schleswig-Holstein als Redakteur und Texter tätig, ein Schwerpunkt ist seitdem die regionale Wirtschaft. Seit 2006 arbeitet er als Redakteur für die Westdeutsche Zeitung.