Jetzt sagt auch Hessen: Ankreuzen reicht nicht!, Anmerkung zum Hessischen VGH, Urteil v. 04.06.2014, Az. 1 A 651/13

Der Ärger um die sogenannten Ankreuz-Beurteilungen geht weiter. In seinem Urteil vom 04.06.2014 hat nun der Hessische Verwaltungsgerichtshof seine Sicht der Dinge dargelegt. In dem Verfahren stritten die Beteiligten um die Rechtmäßigkeit der dienstlichen Beurteilung der Klägerin, welche der VGH nicht für gegeben hält:

„An dieser Plausibilisierung fehlt es bei der dienstlichen Beurteilung der Klägerin im Hinblick auf die Bildung des Gesamturteils auf der Grundlage der Einzelbewertungen. Einer näheren Begründung des Gesamturteils, deren Fehlen die Klägerin schon in der Begründung ihres Widerspruchs vom 7. Juli 2011 beanstandet hatte, hätte es insbesondere deshalb bedurft, weil die Bewertungen der Einzelmerkmale anhand eines Beurteilungsbogens erfolgt ist, in dem insgesamt sechs verschiedene Bewertungsstufen (A bis F) vorgesehen sind (vgl. die Beurteilungsrichtlinien der Beklagten – BRZV – , Anlage 1). Demgegenüber sehen die Beurteilungsrichtlinien unter Nr. 9.2 eine Notenskala von fünf Noten mit ausformulierten Prädikaten vor, die zugleich einem Punkteschema von 0 bis 15 Punkten zugeordnet sind, wobei die unterste Note 0 bis 3 Punkte und jede nächsthöhere Notenstufe jeweils drei weitere Punkte umfasst. Zwar ist grundsätzlich eine rein rechnerische Ermittlung des Gesamturteils durch ein arithmetisches Mittel der Bewertungen der Einzelmerkmale nicht zulässig, sondern es bedarf einer nochmaligen eigenständigen Wertung der Einzelbewertungen zum Zwecke der Bildung des Gesamturteils […]. Eine solche Plausibilisierung findet sich jedoch nicht in der dienstlichen Beurteilung über die Klägerin, die lediglich eine im Ankreuzverfahren vorgenommene Einschätzung der Ausprägungsgrade der verschiedenen Beurteilungsmerkmale und die Feststellung des Gesamturteils „in vollem Umfang den Anforderungen entsprechend (9 Punkte)“ enthält. […].

Aus allen Einzelbewertungen ergebe sich schlüssig ein in Worte gebrachtes Gesamturteil und die Klägerin könne ihrer Beurteilung entnehmen, dass sie mit sieben sehr stark ausgeprägten, 10 stark ausgeprägten und sieben durchschnittlich ausgeprägten Kompetenzen in vollem Umfang den Anforderungen entspreche. Eine abschließende, zusammenfassende und eigenständige Bewertung bzw. eine Begründung dafür, weshalb die Klägerin auf der Grundlage der Beurteilung der Einzelmerkmale in vollem Umfang den Anforderungen entspricht, ist damit jedoch nicht gegeben. Auch soweit die Beklagte ausführt, die Klägerin könne anhand der Bepunktung feststellen, dass sie sich unter den Beamtinnen und Beamten der Vergleichsgruppe, denen ebenfalls das Gesamturteil ‚in vollem Umfang den Anforderungen entsprechend‘ zuerkannt worden sei, in der oberen Bandbreite befinde, erläutert sie lediglich die Systematik der Benotungsstufen, gibt jedoch keine für den Senat und die Klägerin nachvollziehbare Begründung dafür wieder, weshalb sich aus den Einzelbewertungen gerade die Vergabe des genannten Prädikates und der diesem zugeordneten Punkte rechtfertigt. Auch unter Berücksichtigung dieses Vortrages bleibt das Werturteil eine formelhafte Behauptung, die einer näheren Erläuterung bedarf. Da es somit an der Plausibilisierung mangelt, also die Bildung der Gesamtnote nicht nachvollziehbar dargelegt worden ist, hat die Klägerin schon aus diesem Grund einen Anspruch auf Erstellung einer neuen, nachvollziehbaren Beurteilung und der Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2011 ist aufzuheben.

Aus den gleichen Erwägungen heraus erweist sich die dienstliche Beurteilung der Klägerin weiterhin auch deshalb als fehlerhaft, weil es an einer plausiblen Begründung der Bewertungen der Einzelmerkmale fehlt. […] Das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren beschränkt sich auf einen Hinweis auf den Inhalt der dienstlichen Beurteilung und der darin enthaltenen im Ankreuzverfahren vergebenen Einzelbewertungen zu den verschiedenen Beurteilungsmerkmalen. Eine Plausibilisierung insbesondere der tatsachenbezogenen, die Leistung der Klägerin betreffenden Beurteilungsmerkmale fehlt im Vorbringen der Beklagten gänzlich.“

Vereinfacht gesagt: Es genügt nicht, wenn der Beamte anhand seiner dienstlichen Beurteilung erkennen kann, wie ihn sein Beurteiler sieht – die Frage danach, warum er ihn so sieht ist in jedem Fall genauso zu beantworten und zwar gleichzeitig, aus der Beurteilung selber heraus. Auch in Hessen ist mit diesem Urteil jetzt klar, dass reine Ankreuzbeurteilungen diesen Zweck nicht erfüllen können.

Die so erstellte Beurteilung kollidiere nämlich nicht nur mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern auch mit § 49 Bundeslaufbahnverordnung, der seit seiner Reform im Jahr 2009 höhere Anforderungen an die dienstliche Beurteilung stelle als seine Vorgängervorschrift:

„Ist die dienstliche Beurteilung der Klägerin danach schon unter Berücksichtigung der Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 41 BLV a. F. nicht hinreichend plausibilisiert, so erweist sie sich weiterhin auch deshalb als fehlerhaft, weil § 49 BLV nicht hinreichend beachtet worden ist. […]

Nunmehr verlangt § 49 Abs. 1 BLV für den Inhalt der dienstlichen Beurteilung, dass in ihr die fachliche Leistung der Beamtin oder des Beamten nachvollziehbar darzustellen sowie Eignung und Befähigung einzuschätzen sind. Diese Vorschrift enthält somit gegenüber der Vorgängerregelung erhöhte Anforderungen. […]

Soweit die Beklagte vorgetragen hat, der Verordnungsgeber habe mit der Änderung des Wortlauts der Vorschrift keine erhöhten Anforderungen an die dienstlichen Beurteilungen einführen wollen, ist schon fraglich, ob diese Auffassung eine Bestätigung in der insoweit verfügbaren Begründung des Bundesministeriums des Inneren für die Neufassung der Bundeslaufbahnverordnung findet. In der im Internet verfügbaren Begründung vom 21. Januar 2009 wird zu § 49 Abs. 1 BLV ausgeführt, die dienstliche Beurteilung hebe die fachliche Leistung der Beamtinnen und Beamten hervor und umfasse eine Eignungs- und Befähigungseinschätzung. Wenn man hieraus maßgeblich auf den Willen des Verordnungsgebers schließen wollte, würde dies jedoch mehr für die Auffassung der Klägerin streiten. Denn wenn eine dienstliche Beurteilung die Leistung der Beamtin bzw. des Beamten hervorheben soll, spricht dies eher dafür, dass diese Leistung auch in der Beurteilung beschrieben und erläutert wird und nicht bloß die Bewertung dieser Leistung wiedergegeben wird. Auch aus der Begründung zu § 49 Abs. 2 BLV lässt sich nicht der Wille des Verordnungsgebers entnehmen, gleichsam ‚alles beim Alten‘ belassen zu wollen. So wird ausgeführt, die nicht mehr zeitgemäßen Beurteilungskriterien des früheren § 41 Abs. 1 BLV sollten entfallen und zukünftig die fachliche Leistung nach den an den dienstlichen Anforderungen zu bewertenden Arbeitsergebnissen, der praktischen Arbeitsweise, dem Arbeitsverhalten und dem Führungsverhalten beurteilt werden. Auch diese Ausführungen streiten eher für eine differenziert ausgestaltete Beurteilung, bei der die Plausibilisierung nicht erst einem späteren Rechtsbehelfs- bzw. Gerichtsverfahren vorbehalten bleiben soll.

Diese Fragen können auf sich beruhen. Von entscheidender Bedeutung ist der unmissverständliche Wortlaut des neu gefassten § 49 Abs. 1 BLV. Indem darin nämlich die nachvollziehbare Darstellung der Leistung in der dienstlichen Beurteilung gefordert wird, zieht die neue Regelung gleichsam die Anforderungen, deren Erfüllung das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zur Plausibilisierung der dienstlichen Beurteilung auch noch im Rahmen des Gerichtsverfahrens für möglich gehalten hat, in das Stadium des Beurteilungsverfahrens vor. Eine nachvollziehbare Darstellung der Leistung beinhaltet nach der Wortbedeutung mehr als die bloße Angabe einer Bewertungsstufe. […]

Letztlich spricht auch die Überschrift von § 49 BLV (‚Inhalt der dienstlichen Beurteilung‘) dafür, dass es nunmehr, anders als unter Zugrundelegung der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, nicht mehr nur genügen kann, im Rahmen des Vorverfahrens bzw. des verwaltungsgerichtlichen Streitverfahrens eine nachvollziehbare Begründung der Einzelbewertungen vorzunehmen, sondern dass diese unmittelbar in der dienstlichen Beurteilung vorzunehmen ist bzw. dass die dienstliche Beurteilung auch diese Begründung zum Inhalt haben muss.“

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat damit in ausführlichen Worten auch einmal den Willen des Gesetzgeber näher beleuchtet und kann seine Sicht der Dingen überzeugend herleiten.

Die Begründung des Urteils insgesamt überzeugt auf ganzer Linie und wir freuen uns, dass mit dieser Entscheidung das nach unserer Kenntnis erste Obergericht den Ankreuz-Beurteilungen eine endgültige Absage erteilt hat. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hält die Frage zwar zumindest für klärungsbedürftig (wir berichteten darüber), eine Entscheidung steht aktuell aber noch aus. Ob das Bundesverwaltungsgericht sich eines Tages noch zu dieser Frage äußern wird, bleibt abzuwarten.

Getreu dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ werden wir auf jeden Fall auch weiterhin versuchen, die Gerichte davon zu überzeugen, dass eine dienstliche Beurteilung, die sich auf das Ankreuzen von Skalen beschränkt, den an sie gestellten Anforderungen nicht gerecht wird. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat uns mit seinem neuen Urteil eine schöne Argumentationshilfe an die Hand gegeben.