zur Kostenerstattung im Widerspruchsverfahren, Verwaltungsgericht Arnsberg, Urteil v. 21.08.2014, Az. 13 K 3185/13

Die Zahl der Widerspruchsverfahren nimmt ab. Aber im Beamtenrecht sind insbesondere Bundesbeamte gehalten Widerspruch einzulegen (§ 126 BBG). Dies gilt etwa auch bei dienstlichen Beurteilungen. Im konkreten Fall hat nun der Widerspruch gegen eine Beurteilung der Bundesagentur für Arbeit Erfolg gehabt und die Beurteilung wurde aufgehoben. Dennoch hat die Behörde die Erstattung der Anwaltskosten verweigert. Zu Unrecht, wie nun das Verwaltungsgericht Arnsberg nach einem erneuten Widerspruch (gegen die Kostenentscheidung) und entsprechender Klage festgestellt hat.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Bundesagentur für Arbeit vom 31. Mai 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. August 2013 verpflichtet, auf den Antrag des Klägers vom 10. Mai 2013 die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Tatbestand:

Der Kläger steht als Verwaltungsamtmann in Diensten der Beklagten. Die Beklagte erstellte über den Kläger unter dem 19. Mai 2009 eine sog. Stichtagsbeurteilung („Leistungs-und Entwicklungsdialog für Führungskräfte“), die – wie die vorherigen dienstlichen Beurteilungen seit 2006 – mit dem Gesamturteil „C“ – entspricht den Anforderungen – schloss. Bei unverändertem Einsatz des Klägers wurde sodann unter dem 27. März 2012 durch den Geschäftsführer des Jobcenters eine weitere dienstliche Beurteilung („Stichtagsbeurteilung“) erstellt, die sich über den Beurteilungszeitraum vom 1. März 2011 bis zum 29. Februar 2012 verhielt und mit dem schlechtesten der möglichen Gesamturteile („E“ -,‚Erfüllt die Anforderungen im geringen Maße“) schloss. Dabei waren zur Leistungsbeurteilung überhaupt keine Angaben gemacht und die Führungsleistung des Klägers mit „E“ beurteilt. Im Deckblatt zur dienstlichen Beurteilung war in der Rubrik „Erläuterungen zur Leistungsbeurteilung“ auf eine Anlage verwiesen, die sich lediglich zur „Beurteilung der Führungsleistung“ verhielt.

Hiergegen erhob der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 2. August 2012 Widerspruch, den er nach Akteneinsicht mit zwölfseitigem anwaltlichem Schreiben vom 23. Oktober 2012 weiter begründete. Die Verfahrensbevollmächtigte des Klägers gelangte zu dem Ergebnis, dass die dienstliche Beurteilung „in vielerlei Hinsicht sowohl materiell als auch formell rechtswidrig“ und deshalb aufzuheben sei.

Mit – an den Geschäftsführer des Jobcenters gerichtetem – Schreiben vom 10. Januar 2013 wies die Beklagte darauf hin, dass sie nach Überprüfung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die mit dem Widerspruch angefochtene Stichtagsbeurteilung (und die jährliche Leistungsbeurteilung vom 30. August 2011) nicht in ausreichendem Maße nachvollziehbar und schlüssig sei, vor allem im Vergleich zu den seit 2006 vorliegenden dienstlichen Beurteilungen des Klägers auf dem gleichen Dienstposten, die jeweils mit dem Gesamturteil „C“ abgeschlossen hatten. Inhaltlich wurden in dem genannten Schreiben Mängel der dienstlichen Beurteilung dargetan, soweit der Beurteilungszeitraum, die Leistungsbeurteilung, die Kornpetenzbeurteilung und das Gesamturteil betroffen waren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2013 hob die Beklagte die angefochtene dienstliche Beurteilung auf, weil die dienstliche Beurteilung nicht den gesamten in den Blick zu nehmenden Beurteilungszeitraum vom 1. März 2010 bis zum 29. Februar 2012 umfasse. Da dem Widerspruch schon aus diesem Grunde stattzugeben sei Lind die Stichtagsbeurteilung neu erstellt werde, sei eine Entscheidung hinsichtlich der Einstufung des Klägers bei den Einzelkategorien der angefochtenen Beurteilung nicht erforderlich.

Unter dem 10. Mai 2013 beantragte der Kläger, die Zuziehung (s)eines Bevollmächtigten für notwendig zu erklären, welchen Antrag die Beklagte mit Bescheid vom 31. Mai 2013 ablehnte. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass nach § 80 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwfVfG) die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes oder sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren nur dann erstattungsfähig seien, wenn dessen Hinzuziehung notwendig gewesen sei. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten beurteile sich nach der einschlägigen Rechtsprechung vom Standpunkt eines verständigen, aber nicht rechtskundigen Beteiligten aus. Dabei seien außer der Schwierigkeit und dem Umfang des Falles und der allgemeinen persönlichen Sach- und Rechtskunde des Widerspruchsführers insbesondere auch eine berufsbedingte oder durch andere Umstände bedingte Vertrautheit mit dem Sach- und Rechtsgebiet zu berücksichtigen. Hier sei es dem Kläger zuzumuten gewesen, das Vorverfahren gegen die dienstliche Beurteilung selbst zu führen, insbesondere, weil er aufgrund seiner mehrjährigen Tätigkeit als Führungskraft und Beurteiler die erforderliche Kenntnis in Bezug auf Beurteilungs- bzw. Formfehler besessen habe. Der Kläger sei zudem als Verwaltungsbeamter der Laufbahn des gehobenen Dienstes im Umgang mit Behörden vertraut und entsprechend rechtskundig. Er sei daher aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse zunächst in der Lage gewesen, das Vorverfahren gegen die dienstliche Beurteilung selbst zu führen.

Hiergegen erhob der Kläger unter dem 5. Juni 2013 Widerspruch. Zur Begründung machte er geltend, dass die Begründung der Ablehnung des Antrages einer „immanenten Logik“ entbehre. Denn wenn der Beurteiler, der die im vorliegenden Verfahren angegriffene und sodann aufgehobene Beurteilung erstellt habe, nicht in der Lage gewesen sei, dies fehlerhaft zu tun, könne im Umkehrschluss nicht von ihm – dem Kläger – erwartet werden, dass er „alle rechtlichen Probleme ausnahmslos erkenne“. Zudem zeige die Dauer des Widerspruchsverfahrens, dass die Rechtslage nicht so durchsichtig gewesen sei, wie es in dem angefochtenen Bescheid dargestellt werde. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. August 2003 (6 B 26.03) entschieden, dass der Maßstab für die Beantwortung der Frage der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten nur bis zu einem gewissen Grade subjektivierbar sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. August 2013 – den Prozessbevollmächtigten des Klägers per Postzustellungsurkunde zugestellt am 14. August 2013 – als unbegründet zurück. Zur Begründung machte die Beklagte im Wesentlichen geltend, dass die dienstliche Beurteilung hier schon deshalb aufzuheben gewesen sei, weil in der Leistungsbeurteilung 2011 das Gesamtergebnis nicht angekreuzt und in der Stichtagsbeurteilung 2012 ein Beurteilungszeitraum nicht berücksichtigt worden sei. Dies sei für den Kläger, der Verwaltungsbeamter des gehobenen Dienstes sei und als Teamleiter selbst Beurteiler und mit den Beurteilungsrichtlinien vertraut sei, leicht erkennbar gewesen, so dass es dem Kläger zumutbar gewesen sei, das Widerspruchsverfahren gegen die dienstliche Beurteilung hinsichtlich der offensichtlichen formellen Fehler selbst zu führen.

Der Kläger hat am 16. September 2013 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen.

Er beantragt – schriftsätzlich und wörtlich -‚

den Bescheid der Beklagten vom 31. Mai 2013 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag des Klägers vom 10. Mai 2013 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt – schriftsätzlich -‚

die Klage abzuweisen.

Auch sie wiederholt und vertieft hierzu ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig und hat in der Sache Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Er hat einen Anspruch auf Notwendigerklärung der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren durch die Beklagte.

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger hier lediglich einen sogenannten „Bescheidungsantrag“ formuliert hat. Denn dieses formulierte Begehren bedarf der Auslegung nach Maßgabe des § 88 VwGO. Danach ist das Gericht nicht an die Fassung der Anträge gebunden, darf lediglich nicht über das (tatsächliche) Begehren des Klägers hinausgehen. Tatsächlich begehrt der Kläger hier die Verpflichtung der Beklagten, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren als notwendig anzuerkennen. Diese Frage, die nach Maßgabe des § 80 Abs. 2 VwVfG zu entscheiden ist, steht nicht im Ermessen der Behörde, sodass für einen Bescheidungsantrag kein Raum ist. Der entsprechende Klageantrag ist vielmehr auf die Verpflichtung der Beklagten gerichtet.

Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Feststellung, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war.

Gemäß § 80 Abs. 2 VwVfG ist die Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Rechtsanwalts oder eines sonstigen Bevollmächtigten im Vorverfahren – anders als die von Anwaltskosten im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO) – nicht automatisch, sondern je nach Lage des Einzelfalls nur unter der Voraussetzung der konkreten Notwendigkeit anzuerkennen. Das bedeutet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,

vgl. u. a. Beschlüsse vom 28. April 2010 – 6 B 46.09
– und vom 1. Juni 2010 – 6 B 77.09 -‚ jeweils zitiert nach juris,

dass die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen ist. Maßgebend ist hierbei, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Für die Beurteilung der Frage, ob die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren im Verständnis des § 80 Abs. 2 VwVfG notwendig war, kommt es darauf an, wie sich die Situation zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung seiner Rechtsanwälte für den Kläger darstellte. In diesem Zeitpunkt stellt sich für den Widerspruchsführer die Frage, ob es angesichts seiner persönlichen Verhältnisse und wegen der Schwierigkeit der Sache zumutbar ist, das Vorverfahren selbst zu führen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2001 – 6 C 19.01 -‚ NVwZ-RR 2002, 446; ferner OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Juni 2011 – OVG 10 N 47.09 -‚ zitiert nach juris.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze war hier die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig im Sinne von § 80 Abs. 2 VwVfG. Im Zeitpunkt der Beauftragung seiner Bevollmächtigten war es dem Kläger nicht zumutbar, das Widerspruchsverfahren ohne Beistand eines Bevollmächtigten zu führen. Maßgebend ist dabei für die Entscheidung der Kammer einerseits die Schwierigkeit der Rechtsmaterie. Denn die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer erstellten dienstlichen Beurteilung stellt sich – unabhängig davon, ob der Kläger selbst auch dazu berufen war, Untergebene dienstlich zu beurteilen – als schwierige Rechtsfrage dar, die nicht nur das Vorbringen einfacher Tatsachen umfasst, sondern die Beantwortung schwieriger rechtlicher und tatsächlicher Fragen, juristischen Sachverstand erfordert. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass der Kläger selbst mit der Erstellung dienstlicher Beurteilungen betraut war, mithin – wie von der Beklagten geltend gemacht – „mit den Beurteilungsrichtlinien vertraut“ war. Denn die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen dienstlichen Beurteilung erforderte nicht lediglich die Anwendung von Beurteilungsrichtlinien, sondern hier war das Ergebnis der Anwendung dieser Beurteilungsrichtlinien und der entsprechenden gesetzlichen Vorgaben durch die Dienstvorgesetzten des Klägers rechtlich zu bewerten. Dies ohne anwaltliche Hilfe zu versuchen, war dem Kläger trotz seiner gegebenen Vorkenntnisse auf diesem Gebiet schon wegen der Komplexität der sich stellenden Fragen, die sich zudem nicht allein auf den offensichtlich fehlerhaft gewählten Beurteilungszeitraum beschränkte, nicht zumutbar, zumal es sich hier nicht um einen Fall des (graduellen) Auseinandergehens der Einschätzung von Einzelmerkmalen handelte, sondern der Kläger, obwohl er über Jahre mit der Note „C“ beurteilt worden war, nunmehr in der Bewertung auf die schlechteste der mögliche Gesamtnoten („E“) gesetzt wurde und er sich auch vor diesem Hintergrund der extremen Herabstufung seiner Gesamtnote anwaltlichen Beistandes bedienen durfte. Zur Überzeugung des Gerichts hätte sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand des Klägers bei der gegebenen Sachlage ohne weiteres ebenfalls eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient.

[…]