Beseitigung eines wesentlichen Mangels im behördlichen Disziplinarverfahren, Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschluss v. 08.06.2012, Az. 37 K 3025/12.BDG

In dem disziplinargerichtlichen Verfahren

der Bundesrepublik Deutschland, Klägerin,

gegen den Zollhauptsekretär, Beklagten

Prozessbevollmächtigte:    Rechtsanwälte Dr. Obst und Hotstegs, Rechtsanwaltspartnerschaft, Mozartstraße 21, 40479 Düsseldorf,

w e g e n    einer Disziplinarklage (hier: Fristsetzung gemäß § 55 Abs. 3 BDG)

hat die 1. Bundesdisziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf am 8. Juni 2012

b e s c h l o s s e n:

Der Klägerin wird zur Beseitigung eines wesentlichen Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens eine Frist von drei Monaten ab Zustellung dieser Entscheidung gesetzt.

Gründe

Der Beklagte, dem die Klageschrift vom am zugestellt worden ist, hat innerhalb der hierfür gemäß § 55 Abs. 1 BDG vorgesehen Frist als wesentlichen Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens gerügt dass in diesem – obwohl hierzu Anlass bestanden habe – keine Ermittlungen zur Frage seiner Schuldfähigkeit durchgeführt worden seien. Gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 BDG kann das Gericht dem Dienstherrn zur Beseitigung eines wesentlichen Mangels, den der Beamte rechtzeitig geltend gemacht hat oder dessen Berücksichtigung es unabhängig von einer entsprechenden Rüge de Beamten für angezeigt hält, eine Frist setzen. Die Voraussetzungen für einen Beschluss dieses Inhalts liegen hier vor.

Gemäß § 21 Abs. 1 BDG sind nach Einleitung des Disziplinarverfahrens die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, wobei u.a. auch die Umstände zu ermitteln sind, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind. Der Beklagte hat sich im Ermittlungsverfahren sowohl bei seiner persönlichen Anhörung im November als auch unter dem 19. Dezember über seinen Bevollmächtigten darauf berufen, sich zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Vorfälle in einer psychischen Ausnahmesituation befunden zu haben. Wie sich aus einem Vermerk der damaligen Ermittlungsführerin ergibt, hat es diese daraufhin im Einvernehmen mit der Vorsteherin für angezeigt gehalten, der Frage nachzugehen, ob der Beklagte zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen pflichtwidrigen Handlungen möglicherweise schuldunfähig oder jedenfalls vermindert schuldfähig gewesen sein könnte. Folgerichtig ist am ein entsprechender Auftrag zu dessen Begutachtung an den Sozialmedizinischen Dienst vergeben worden. Mit der am  xx.xx.xxxx  unter Hinweis darauf, dass man sich zur Erstellung forensisch-psychiatrischer Gutachten nicht in der Lage sehe, erfolgten Rückgabe dieses Auftrags hat es für den seit dem als neuer Ermittlungsführer agierenden sein Bewenden gehabt. Obwohl es vorn Bevollmächtigten des Beklagten mit Schriftsatz vom unter Bezugnahme auf § 21 Abs. 1 BDG ausdrücklich als unzulässig gerügt worden ist, ohne ein entsprechendes ärztliches Untersuchungsergebnis von der vollen Schuldfähigkeit des Beklagten auszugehen, und obwohl die Klägerin – wie sich aus ihrem gleichzeitig gestellten Antrag auf Veranlassung einer amtsärztlichen Untersuchung oder Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Gericht ergibt – die Frage nach dessen Schuldfähigkeit offensichtlich selbst für noch ungeklärt hält, ist im März mit dem Ziel, den Beklagten aus dem Dienst entfernen zu lassen Disziplinarklage erhoben worden.

Bei dieser Sachlage ist vom Vorliegen eines wesentlichen Mangels des behördlichen Disziplinarverfahrens im Sinne des § 55 BDG auszugehen. Gemäß § 21 Abs. 1 BDG sind, und zwar bereits im behördlichen Disziplinarverfahren, zur Aufklärung des Sachverhalts die belastenden, die entlastenden und die Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind. Dass in diesem Zusammenhang auch der Frage nach einer möglicherweise verminderten oder gar völlig fehlenden Schuldfähigkeit des Betroffenen nachgegangen werden muss, versteht sich von selbst. Eines – wie die Klägerin anzunehmen scheint – „förmlichen Beweisantrages“ bedarf es hierfür jedenfalls dann nicht, wenn hinreichende Anhaltspunkte für die Notwendigkeit entsprechender Ermittlungen vorliegen. Dies war hier der Fall.

Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, von ihrer die Schuldfähigkeit des Beklagten betreffenden Ermittlungspflicht befreit gewesen zu sein, weil der Beklagte im behördlichen Disziplinarverfahren nicht gezwungen werden könne, sich ärztlich begutachten zu lassen, geht dieser Einwand ins Leere, weil für eine diesbezüglich zu erwarten gewesene Weigerung des Beklagten nichts ersichtlich ist. Ebenso unergiebig ist der Hinweis der Klägerin auf § 55 Abs. 1 BDG, wonach das Gericht die erforderlichen Beweise erhebt. Diese Regelung dient nicht dazu, Verletzungen der aus § 21 Abs. 1 BDG resultierenden Pflicht zur Durchführung der erforderlichen Ermittlungen zu heilen, sondern gewährleistet den Anspruch auf Beweiserhebung bei Unstimmigkeiten zwischen dem einer Disziplinarklage zugrunde liegenden Ergebnis der behördlichen Ermittlungen und den diesbezüglichen Einlassungen des Beklagten. Im vorliegenden Fall fehlt es jedoch bereits an einem Ermittlungsergebnis zur Frage der Schuldfähigkeit des Beklagten.

Zur Erlangung eines solchen Ergebnisses dürfte es im Übrigen ausreichen, die Einlassungen des Beklagten zur Begründung der von diesem für sich in Anspruch genommenen psychischen Ausnahmesituation und der sich daraus möglicherweise ergeben habenden Auswirkungen auf seine Schuldfähigkeit unter Berücksichtigung des Attestes der Frau Dr. X vom 2011 einerseits und die Einzelheiten der jeweiligen Tatbegehungen andererseits nach Aktenlage durch einen fachärztlichen Gutachter auf ihre Plausibilität überprüfen zu lassen. Hierfür erscheint dem Gericht eine Frist von drei Monaten, die auf begründeten Antrag verlängert werden kann (§§ 55 Abs. 2 Satz 2, 53 Abs. 2 Satz 3 BDG) als ausreichend.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 55 Abs. 3 Satz 2, 53 Abs. 2 Satz 5 BDG).

Der vorliegende Beschluss vom 08.06.2012 betrifft den Fall, dass eine Behörde das vorgerichtliche Disziplinarverfahren nicht sachgerecht und gesetzeskonform durchgeführt hat. Nach den gesetzlichen Vorschriften ist jede Behörde verpflichtet, im vorgerichtlichen Disziplinarverfahren nicht nur den belastenden, sondern auch den entlastenden Argumenten nachzugehen. Im vorliegenden Verfahren war auf Grund hier vorliegender Atteste vorgetragen worden, dass sich der angeklagte Beamte im Zeitraum der ihm vorgeworfenen Taten in einer extremen psychischen Ausnahmesituation befand und voraussichtlich nicht schuldfähig oder zumindest vermindert schuldfähig war. Die Behörde ist diesem Einwand nicht nachgegangen, obwohl dies möglicherweise rechtsentscheidende Bedeutung hat. Im Falle einer Schuldunfähigkeit kann nämlich keine Disziplinarstrafe ausgesprochen werden und das Disziplinarverfahren ist einzustellen. Im Falle verminderter Schuldfähigkeit soll nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumindest im Normalfall, d.h. wenn keine besonderen Erschwernisgründe vorliegen, nicht die Höchststrafe (Entfernung aus dem Dienst) ausgesprochen werden. Wie das Gericht ausführt, hätte die Behörde dem in jedem Fall nachgehen müssen, da dies in ihren gesetzlichen Ermittlungsauftrag fällt.

Diese Aufgabe kann auch nicht auf das Gericht abgewälzt werden, da dies bedeuten würde, dass die Behörde ihre eigene Ermittlungspflicht missachtet und das Gericht quasi zum Ermittlungsführer macht.

Die rechtliche Konsequenz eines solchen Verstoßes gegen die Ermittlungspflicht ist also nicht, dass das Gericht seinerseits die behördlich versäumten Ermittlungen tätigt, sondern dass das Gericht der Behörde entsprechend § 55 Abs. 1 BDG eine Frist setzt, um den Ermittlungsmangel zu beheben. Dies bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Behörde drei Monate Zeit hat, das erforderliche Gutachten einzuholen. Auf Antrag hin kann diese Frist ggf. verlängert werden, falls die Einholung des Gutachtens ohne Verschulden der Behörde in diesem Zeitraum nicht zu bewerkstelligen ist.