„Schlimmer kann´s nicht kommen“ – zum Verschlechterungsverbot im Disziplinarrecht (sogen. reformatio in peius), Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil v. 25.04.2012, Az. 31 K 1624/12.O

Die Entscheidung lässt sich in folgenden Leitsätzen zusammenfassen:

1. Die Bindung der Disziplinargerichte an strafgerichtliche Entscheidungen kann auch stillschweigende Feststellungen betreffen. Dies betrifft insbesondere die Feststellung der Schuldfähigkeit dann, wenn das Strafgericht diese nicht irgendwie behandelt oder in Zweifel gezogen hat.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Der Kläger handelte auch schuldhaft. Auch insoweit besteht eine Bindungswirkung an die Feststellungen des Amtsgerichts. Zwar hat sich das Amtsgericht nicht ausdrücklich zur Frage der Schuldfähigkeit geäußert. Aus dem Schweigen in diesem Punkt ist aber herzuleiten, dass es den Kläger für uneingeschränkt schuldfähig gehalten hat. Hätten Zweifel in dieser Hinsicht bestanden, hätte es vor dem Hintergrund der §§ 20, 21 StGB Ausführungen hierzu machen müssen. Die stillschweigende Feststellung des Strafgerichts, dass der Täter schuldfähig ist, entfaltet im Disziplinarverfahren Bindungswirkung.“

Kurzkommentar:

Diese Aussage erachten wir als problematisch oder jedenfalls nicht detailliert genug. Nach mehreren Entscheidungen des BVerwG können die Disziplinargerichte zumindest die Frage der verminderten Schuldfähigkeit eigenständig prüfen.

2. Beamtinnen und Beamte in der Freistellungsphase der Altersteilzeit sind disziplinarrechtlich als aktive Beamte zu behandeln; insbesondere gilt § 14 Abs. 1 3. Alt. BDG/LDG NRW für diese Personengruppe nicht.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Der Verhängung der Maßnahme steht § 14 Abs. 1 LDG NRW nicht entgegen. Nach der Nr. 2 dieser Vorschrift setzt die Kürzung der Dienstbezüge voraus, dass sie zusätzlich zur Pflichtenmahnung erforderlich ist. Allein auf diese zusätzliche Voraussetzung kommt es an. Nr. 1 der Vorschrift ist demgegenüber entgegen der Auffassung des Klägers nicht anwendbar. Sie trifft vom Wortlaut her nicht zu, da sie allein die Kürzung des Ruhegehalts betrifft, die dem Kläger gegenüber ausgesprochene Gehaltskürzung dagegen in Nr. 2 geregelt ist. Eine Analogie ist ebenfalls nicht vorzunehmen. Die analoge Anwendung einer Rechtsvorschrift setzt voraus, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht und der nicht geregelte Sachverhalt (die Interessenlage) mit demjenigen in der analog anzuwendenden Vorschrift vergleichbar ist.

Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Gegen eine Regelungslücke spricht schon, dass die gesetzliche Regelung insofern vollständig ist, als sie die in Frage kommenden Disziplinarmaßnahmen sämtlich aufführt. Die Kürzung der Dienstbezüge ist in Nr. 2 genannt und damit geregelt, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Nr. 1 bedürfte. Diese Regelung ist zumindest dem ersten Anschein nach abschließend. Anderes könnte nur gelten, wenn bei aktiven Beamten, die sich in der Ruhe- oder Freizeitphase der Altersteilzeit befinden, solche Besonderheiten bestünden, dass sich dem Gesetzgeber eine abweichende Regelung im Sinne der Nr. 1 hätte aufdrängen müssen. Nur dann könnte nämlich von einer „Lücke“ des Gesetzes gesprochen werden. Indessen sind solche Besonderheiten nicht ersichtlich. Der hier in Rede stehende Ausschluss der Ruhegehaltskürzung beruht auf einem Zusammenspiel zweier Gesichtspunkte, die beide zu einem verminderten Disziplinierungsbedürfnis führen. Zum einen ist gegen den Beamten bereits ein Strafurteil oder eine vergleichbare Entscheidung ergangen, so dass zu erwarten ist, dass er sich die darin ausgesprochene Sanktion zur Warnung wird dienen lassen. Zum anderen ist das aktive Beamtenverhältnis bereits beendet, so dass innerdienstliche Pflichtverstöße weitgehend ausgeschlossen sind. Das kumulative Vorliegen beider Voraussetzungen hat den Gesetzgeber bei einer abstrakt-generellen Betrachtung bewogen, die Maßnahme der Kürzung des Ruhegehalts in solchen Fällen nicht vorzusehen [Vgl. die Gesetzesbegründung zur Parallelregelung im Bund, BT-Drs. 14/4659, S. 38]. Bei Beamten in der Freizeitphase der Altersteilzeit ist demgegenüber der aktive Dienst noch nicht beendet, so dass sich eine Gleichstellung mit Ruhestandsbeamten nicht aufdrängt. Zwar leisten sie ebenfalls keinen Dienst, solange die Freizeitphase andauert. Eine förmliche Zurruhesetzung ist aber noch nicht erfolgt. Rechtstechnisch handelt es sich vielmehr um eine durch den Dienstherrn ermöglichte Teilzeitbeschäftigung (§ 43 BeamtStG), die im Einverständnis mit dem Beamten auch wieder rückgängig gemacht werden kann. Es ist daher eine von den Gerichten hinzunehmende gesetzgeberische Entscheidung, wenn das Gesetz in diesen Fällen nicht nur an der Unterscheidung zwischen aktiven und Ruhestandsbeamten (vgl. § 1 Abs. 1 und 2 LDG NRW) festhält, sondern auch bei der Maßnahmebemessung keine Angleichung vornimmt. Außer an einer Regelungslücke fehlt es aber auch an der Vergleichbarkeit des Sachverhalts (der Interessenlage). Denn für aktive Beamte stellt das Gesetz fünf Disziplinarmaßnahmen zur Verfügung,  für Ruhestandsbeamte nur deren zwei (§ 5 LDG NRW). Bei den beiden Beamtengruppen besteht also von vorneherein eine unterschiedliche Ausgangslage.“

Kurzkommentar:

Rein formell gesehen ist die Argumentation des Gerichtes überzeugend. Tatsächlich befindet sich der Beamte in der Freistellungsphase der Altersteilzeit nicht im Ruhestand, d.h. er kann unter bestimmten Umständen in den aktiven Dienst zurückkehren und bekommt noch kein Ruhestandgehalt. Andrerseits ist auch die generalpräventive Zielsetzung des Disziplinarrechts wie bei Ruhestandbeamten kaum noch zu realisieren, da die meisten Beamten nicht mehr in den aktiven Dienst zurückkehren und vielfach auch keinen Kontakt mehr zu den aktiven Kollegen. Zweckmäßig wäre dies als Bemessungskriterium zu berücksichtigen. Alternativ könnte der Gestzgeber diese Frage de lege ferenda regeln.

3.  Die „Erforderlichkeit einer Pflichtenmahnung“ nach § 14 Abs. 1 Nr. 2 BDG/LDG NRW kann sich aus einer Wiederholungsgefahr ergeben, diese wiederum aus einer erkennbaren Neigung.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Eine zusätzliche Pflichtenmahnung auf den Kläger ist erforderlich. Da der Kläger – wie es in dem Strafurteil heißt – eine pädophile Neigung hat, deren Ursache noch nicht gefunden ist, besteht Wiederholungsgefahr. Das Dienstvergehen des außerdienstlichen Besitzes kinder- und jugendpornographischer Schriften könnte er auch in der Freizeitphase der Altersteilzeit und später im Ruhestand wieder begehen. Einem solchen Rückfall ist durch die Gehaltskürzung entgegen zu wirken. Dies liegt auch deshalb nahe, weil regelmäßig – wie ausgeführt – bei außerdienstlichem Besitz kinderpornographischer Schriften sogar eine Pflichtenmahnung durch Zurückstufung geboten ist. Die durch das Strafurteil verhängte kurzzeitige Freiheitsstrafe genügt zur Pflichtenmahnung nicht, da sie nicht amtsbezogen ist und zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Kläger wird mit ihr der durch sein Verhalten bewirkte Vertrauensverlust nicht hinreichend vor Augen geführt.“

Kurzkommentar:

Dies belegt, dass im behördlichen Disziplinarverfahren bzw. einem vorhergehenden ggf. auch zu den „Neigungen“ Beweis erhoben werden muss. Ein solcher Antrag kann nicht zurückgewiesen werden, da er bemessungsrelevant ist. Diese gehören zu den belastenden bzw. entlastenden Umständen im Sinne des § 21 Abs. 1 S. 2 LDG NRW, die aufzuklären eine Pflicht ist. Interessant ist auch der Hinweis des Gerichtes, dass sogar Strafverfahren unter Umständen nicht die gleiche Warnfunktion haben wie Disziplinarmaßnahmen. Dies kann z.B. dann eine Rolle spielen, wenn die Behörde die Einleitung eines Disziplinarverfahrens vergessen oder verzögert hat und weitere Verstöße anfallen.

4. Wird als Disziplinarmaßnahme die zeitweise Kürzung des Beamtengehaltes ausgesprochen, wird der Kürzungsquotient nicht von der Schwere des Vorwurfes, sondern nur von den wirtschaftlichen Verhältnissen bestimmt. Nur der Aspekt der Dauer ist von den Schwere des Vorwurfs beeinflusst.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Dies ist im nordrhein-westfälischen Disziplinarrecht durch die ausdrückliche Regelung in § 13 Abs. 2 Satz 4 LDG NRW nochmals betont worden. Danach ist – nur – ‚die finanzielle Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen‘, soweit es um die Höhe der Kürzung geht. Mangels anderweiter Anhaltspunkte über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers muss es für die Höhe des Kürzungssatzes bei dem Richtwert der höchstrichterlichen Rechtsprechung verbleiben. Er beträgt bei Beamten des mittleren Dienstes ein Zwanzigstel (5 v.H.).“

Kurzkommentar:

Dieser Feststellung ist nur zuzustimmen.

4. Die Disziplinargericht können eine von der Behörde erlassene Disziplinar-verfügung nicht im gerichtlichen Verfahren verschlechtern. Hier greift  das Verbot der reformatio in peius (sogen. Verböserungsverbot).

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Demgegenüber war der Disziplinarkammer eine Verlängerung des Zeitraums der Kürzung verwehrt, auch wenn diese im Hinblick auf die Schwere des Dienstvergehens angemessen gewesen wäre. Denn die Abänderungsbefugnis besteht nur insoweit, als mit der Änderung keine Schlechterstellung des Klägers verbunden ist; es gilt also das Verbot der reformatio in peius (§ 88 VwGO i.V.m. § 3 LDG NRW) [Vgl. Hummel/Köhler/Mayer a.a.O., § 60 Rdnr. 21; Urban/Wittkowski, BDG, 2011, § 60 Rdnr. 21]. Für die Frage, was als Verschlechterung in diesem Sinne anzusehen ist, kann auf die Wertung des § 32 Abs. 2 Satz 3 LDG NRW zurückgegriffen werden, der die Neuentscheidung durch eine höhere Behörde betrifft. Danach ist jede Verschärfung der Disziplinarmaßnahme nach Art und Höhe erfasst. Es ist demnach ausgeschlossen, dass das Gericht an die Stelle einer Kürzung um 10 v.H. auf die Dauer von 1 Jahr und 4 Monaten (wie hier in etwa ausgesprochen) eine Kürzung um 5 v.H. auf eine längere Dauer, etwa von 2 Jahren und 8 Monaten, festsetzt. Auch wenn der Beamte im wirtschaftlichen Ergebnis damit möglicherweise nicht schlechter stände, wäre er doch allein schon durch die Verschärfung der Maßnahme nach ihrer Dauer belastet, mit der (bei abstrakter Betrachtung) eine für ihn ungünstige Neubewertung der Schwere des Dienstvergehens verbunden ist.“

Kurzkommentar:

Die Entscheidung klärt in einem Teilbereich die Frage, ob im disziplinargerichtlichen Verfahren das Verböserungsverbot gilt und wie weit es reicht. Es steht zu hoffen, dass sich dem alle höheren Instanzen anschließen. Interessant ist auch, dass der Begriff der Verschlechterung definiert wird, und zwar in einem umfassenden Sinne. Als Verschlechterung gilt danach „jede Verschärfung der Disziplinarmaßnahme nach Art und Höhe „. Das Verschlechterungsverbot greift also nicht nur für die Disziplinarstufen nach § 5 LDG NRW sondern auch für Detailregelungen innerhalb der einzelnen Stufen.