Schwerbehinderung bei Pfarrern: Nur Gottes Lohn und warme Worte, lto.de v. 21.12.2015

von Tanja Podolski

Wird ein Pfarrer im Laufe seines Berufslebens behindert, tut er gut daran, einen Grad von 50 Prozent zu erreichen. Darunter ist er von den Regelungen zum Arbeitsschutz für Behinderte nicht erfasst. Ein Geistlicher wehrt sich jetzt.

Eine Sonderregelung für Pfarrer

Für Pfarrer gibt es ganz eigene Verordnungen und besondere Regelungen. Manchmal ist das eine feine Sache, wie etwa spezielle Urlaubsverordnungen Geistlichen bis zu 44 Urlaubstage garantiert. Mit einer Sonderregelung im Sozialgesetzbuch IX (SGB) sieht das anders aus. In § 73 SGB IX ist der Begriff des Arbeitsplatzes definiert – und darunter fallen nach Abs. 2 Nr. 2 keine Stellen, auf denen „Geistliche öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften“ beschäftigt werden. Auf die Regelung des § 73 SGB IX verweist wiederum § 2 SGB IX, in dem eine Behinderung überhaupt definiert ist – und eigentlich soll es in § 73 um die Zählung von Arbeitsplätzen gehen, damit die Höhe der Ausgleichszahlung für Unternehmen berechnet werden kann, falls diese nicht genug Arbeitsplätze für Behinderte vorhalten.

Das Problem daran ist, dass nur diese Beschäftigten, die einen Arbeitsplatz im Sinne dieses Gesetzes haben, im Falle einer Schwerbehinderung einen Antrag auf Gleichstellung mit Schwerbehinderten nach § 68 Abs. 2 SGB IX stellen können. Und nur Schwerbehinderten bzw. ihnen Gleichgestellten kommen besondere Schutzmaßnahmen zugute, wie die behindertengerechte Einrichtung von Arbeitsplätzen oder der besondere Kündigungsschutz nach Kapitel 4 des Gesetzes.

Pfarrer haben diese Möglichkeit also nach dem Gesetzeswortlaut nicht. Wenn sie einen Behindertengrad von mindestens 50 Prozent haben, ist auch bei ihnen für besonderen Schutz gesorgt. Haben sie hingegen eine geringer eingestufte Beeinträchtigung, bleibt für die Gestaltung ihres Arbeitsplatzes – und die Arbeitsausübung – alles beim Alten.
Arbeitsagentur verhält sich gesetzeskonform

So geht es einem Mandanten von Robert Hotstegs, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Düsseldorf. Wie der Anwalt schildert, hat der Pfarrer hat bei der Ausübung seines Berufslebens eine Beeinträchtigung erlitten, die nun zu einem Grad der Behinderung von 30 Prozent geführt hat. Der Mann stellte einen Antrag auf Gleichstellung mit Schwerbehinderten bei einer Agentur für Arbeit – der abgelehnt wurde. Hotstegs erhob Anfang Dezember in seinem Namen Klage (Sozialgericht Chemnitz, Az. S 28 AL 757/15).

„Pfarrerin oder Pfarrer zu sein ist kein Beruf wie jeder andere. Das verrät bereits ein kurzer Blick auf die ungewöhnlichen Arbeitszeiten, die von 0 bis 24 Uhr reichen können und gerne am Sonntag liegen. Ebenso sind die Arbeitsinhalte mit Themen von Geburt bis Tod sicherlich etwas Besonderes“, sagt Hotstegs. Dennoch verdienten die Geistlichen mit ihrem Beruf ihren Lebensunterhalt und arbeiteten nicht nur „für Gottes Lohn und warme Worte“. Sie ernährten sich und ihre Familie, zahlten Miete und Lebenshaltungskosten. „Aber das deutsche Sozialrecht sagt, dass Pfarrer keinen Arbeitsplatz im Rechtssinne hätten. Und damit entsteht plötzlich eine Schutzlücke für behinderte Geistliche“, so der Anwalt. Und das auch dann, wenn ein Pfarrer tatsächlich etwa den Job eines Religionslehrers ausübe.

Mit seiner Anfechtungsklage wendet er sich nun gegen den ablehnenden Bescheid der Behörde. „Die Agentur für Arbeit hält den Gesetzeswortlaut hoch“, sagt er. „Doch was im Gesetz steht, wissen wir auch.“ Natürlich verhalte sich die Arbeitsagentur damit gesetzeskonform – doch die Frage sei, ob sie nicht auch das Willkürgebot und das Grundgesetz hätte beachten müssen.

„Die Agentur für Arbeit Chemnitz sieht keine Möglichkeit, von dieser gesetzlichen Regelung abzuweichen. Das SGB IX lässt hier keinen Ermessensspielraum zu“, sagte Dr. Andreas Zehr, Geschäftsführer operativer Service Chemnitz. Die §§ 2, 68 und 73 des SGBIX regelten die rechtlichen Grundlagen der Gleichstellung behinderter Menschen mit Schwerbehinderten, führt die Arbeitsagentur aus. In dem konkreten Fall werde explizit § 73 SGB IX zugrunde gelegt. Im Abs. 1 werde der Begriff des Arbeitsplatzes definiert und Abs. 2 enthalte Fallgruppen von Arbeitsplätzen, bei denen eine Gleichstellung wegen fehlender Anspruchsvoraussetzungen ausgeschlossen sei, etwa durch einen nicht vorhandenen Arbeitsvertrag.

Der in Rede stehende Arbeitsplatz eines Geistlichen falle unter diese gesetzliche Ausschlussregelung. Ungeachtet dessen sei immer eine Einzelfallprüfung notwendig, so die Arbeitsagentur weiter. Dabei sei der konkrete Arbeitsplatz zu betrachten. Entscheidend dafür seien die Inhalte der zum Antrag gemachten Angaben und der eingereichten Unterlagen, wie zum Beispiel der Arbeitsvertrag. Anhand der daraus resultierenden Fakten werde entsprechend der einschlägigen Regelungen des Sozialgesetzbuches IX eine fundierte Entscheidung über die Gleichstellung mit Schwerbehinderten getroffen.

Vom Unterschied zwischen Mönchen und Pfarrern
Anwalt: Pauschale Ausnahme für Geistliche „nicht nachvollziehbar“

Nun müsse das SG klären, ob die Norm Raum für Ermessensspielräume lasse und ggf. eine gesetzeskonforme Auslegung notwendig gewesen wäre. Dann könnte das SG entscheiden, dass dem Antrag hätte stattgegeben werden müssen. Wenn nicht, würde es die Klage abweisen müssen – oder direkt einen Vorlagenbeschluss an das Bundesverfassungsgericht richten. „Das ist eine so grundsätzliche Frage, vielleicht kann man die gar nicht in Sachsen klären“, meint Hotstegs. Sein Ziel wäre jedenfalls, einen geeigneten Arbeitsplatz für seinen Mandanten ohne wirtschaftliche Einbußen zu erreichen, die etwa mit einer Frühverrentung einhergehen könnten.

Dem Protestanten Hotstegs jedenfalls fällt es schwer, den Fall anders zu beurteilen, als er es jetzt für seinen Mandanten tut – und tun muss. „Es gibt ganz wenig Anhaltspunkte dafür, warum der Gesetzgeber diese pauschale Ausnahme für Geistliche geschaffen hat“, so der Düsseldorfer, dessen Kanzlei sich nach eigenen Angaben seit Jahren auch auf das kirchliche Dienstrecht spezialisiert hat. Andere im Gesetz genannte Ausnahmen seien durchaus nachvollziehbar, so etwa, dass kein behindertengerechter Arbeitsplatz extra eingerichtet werden müsse, wenn Menschen maximal acht Wochen in diesem Job arbeiten. Dann sei schlichtweg der Aufwand zu hoch.

Kirchliche Sonderregelungen für das Arbeitsrecht des Pfarrers noch nie überprüft

Oder die Ausnahme für Mönche oder Nonnen etwa, weil deren Beschäftigung nicht dem Erwerb diene, versteht Hotstegs. „Aber für die Tätigkeit von Pfarrern in der heutigen Zeit“, in der sein Mandant auch eine Familie – wenn auch mit schon recht erwachsenen Kindern– habe, bleibt die SGB-Ausnahme für ihn „ein großes Fragezeichen“.

In vielen anderen Bereiche seien die Sonderregelungen für kirchliche Beschäftigte für ihn nachvollziehbar, etwa der Sonderweg beim Streik oder Gewerkschaftsbeteiligung, diverse Kündigungen, z.B. wegen Homosexualität oder Ehebruchs, das Vorgehen bei Kirchenaustritten und die Regelungen zur Berufsausübung wie etwa das Tragen eines islamischen Kopftuchs im Selbstverständnis der Kirchen – ein Vorgehen, das die katholische Kirche im Sommer selbst änderte. „Der Staat hat der Kirche und allgemein den Glaubensgemeinschaften ein hohes Maß an Autonomie zugestanden“, so Hotstegs. „Üblicherweise besteht er dann allerdings darauf, dass die Kirchen eigene Regelungen treffen und überprüft nur das Ergebnis daraufhin, ob dieses verfassungskonform ist.“ Das habe der Gesetzgeber bei § 73 SGB IX aber gerade nicht gemacht.

Rückendeckung bekommt er von Professor Dr. Hermann Reichold von der Uni Tübingen und Leiter der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht: „Der Verweis aus § 2 Abs. 2 SGB IX auf § 73 ist in diesem Fall vom Sinn und Zweck her sehr in Frage zu stellen“, sagt Reichold. „Die Ausgleichszahlung steht in einem ganz anderen systematischen Kontext und entspricht nicht dem Sinn des § 2 Abs. 2.“ Dies zusammen genommen mit der unterschiedlichen Behandlung etwa von Beamten und Geistlichen lässt die Vermutung zu, dass der Gesetzgeber diese Wechselwirkung zwischen den Normen nicht richtig bedacht hat.“ „Aber wer weiß“, sagt Hotstegs, „vielleicht muss ich mich ja am Ende tief beeindruckt zeigen, welche filigranen Gedanken sich der Gesetzgeber bei dieser Regelung gemacht hat.“ Klar ist für ihn jedenfalls: „Wir werden diese Grundsatzfrage klären und die Sache ausfechten.“ So wahr ihm Gott helfe.

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