„die Tat als Hilferuf“, Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil v. 13.03.2013, Az. 37 K 3025/12.BDG

In einer aktuellen Entscheidung hat sich die Bundesdisziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorfs mit den Entlastungsmomenten befasst, die einem Beamten im Rahmen eines Disziplinarverfahrens ebenfalls zugute zu halten sind – ohne dass es sich hierbei um anerkannte Milderungsgründe handelt. Dabei wendet das Gericht die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade auch bei den sogenannten Zugriffsdelikten auf den konkreten Fall an.

Die Entscheidung lautet im Volltext:

Der Beklagte wird in das Amt eines Zollobersekretärs (BesGr A7 BBesG) versetzt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der 1966 geborene Beklagte steht als Zollhauptsekretär (BesGr A8) im Dienst der Klägerin. Er trat dort 1985 als Zollanwärter ein und wurde 1992 zum Zollsekretär (BesGr A6), 1993 zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Beförderungen erfolgten 1995 und 2000. Im Jahre 2008, als sich die hier in Rede stehenden Vorgänge zutrugen, wurde er als Abfertigungsbeamter beim Zollamt Flughafen A eingesetzt. Für diese Tätigkeit wurde ihm unter dem 24. September 2008 eine Leistungsprämie zuerkannt.

Der Beklagte ist verheiratet und hat drei 1997 und 1999 geborene Söhne.

Disziplinar und strafrechtlich ist der Beklagte bisher nicht in Erscheinung getreten, bis sich am 22. und 25. September 2008 die hier verfahrensgegenständlichen Vorfälle ereigneten.

Am 22. September 2008, einem Montag, vereinnahmte er bei seinem Dienst 180,- Euro, ohne diese abzuführen. Durchschriften des zugehörigen vereinfachten Berechnungsblattes zur Abgabenberechnung fand der Kollege am selben Tag in einer öffentlichen Toilette des Flughafens.

Am 25. September 2008 wurde der Beklagte beobachtet, wie er wiederum Einnahmen machte. ohne hierüber eine Quittung auszustellen. Daraufhin wurde im Büro des Abfertigungsleiters die Dienstgeldbörse des Beklagten kontrolliert. Dort wurden drei Durchschriften von vereinfachten Berechnungsblättern ohne angeheftete Quittung gefunden, ferner das zugehörige BargeId in Höhe von 370,- Euro. Zur Rede gestellt, gab der Beklagte die Vorfalle zu und zahlte unaufgefordert die Betrage beider Tage bei der Geldannahmestelle ein.

Für die Einzelheiten des Verfahrensablaufs bei der Erhebung von Einfuhrabgaben wird auf die Darstellung in der Klageschrift Bezug genommen (Gerichtsakte Bl. 8 f.).

Mit Verfügung vom 14. Oktober 2008 leitete die Vorsteherin des Hauptzollamtes A ein Disziplinarverfahren wegen des Verdachts ein, der Beklagte habe an den beiden Tagen „im Rahmen seiner Tätigkeit als Abfertigungs- und Geldannahmebeamter in der Reisendenabfertigung des Zollamts Flughafen bei der Erfüllung seiner dienstlichen Obliegenheiten in fünf Fallen pauschalierte Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt 550,- Euro vereinnahmt, diese aber nicht wie vorgeschrieben bis zum Dienstende an die Nebenzollzahlstelle abgeführt“.

Nach abschließender Anhörung des Beklagten und Beteiligung des Bezirkspersonalrates hat die Klägerin am 29. März 2012 Disziplinarklage erhoben. Gleichzeitig hat sie den Antrag gestellt, den Beklagten durch eine unabhängige amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf seine Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der ihm vorgehaltenen Dienstpflichtverletzungen untersuchen zu lassen.

Mit Beschluss vom 8. Juni 2012 hat die Disziplinarkammer der Klägerin zur Beseitigung eines wesentlichen MangeIs des behördlichen Disziplinarverfahrens eine Frist von drei Monaten ab Zustellung dieser Entscheidung gesetzt. Dazu hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe entgegen § 21 Abs. 1 BDG ihre Ermittlungen nicht auf die Frage der Schuldfähigkeit des Beklagten erstreckt, obwohl der Beklagte sich auf eine psychische Ausnahmesituation berufen habe und die Klägerin selbst die Schuldfähigkeit des Beklagten nicht für geklärt halte, wie sich aus ihrem gleichzeitig mit Erhebung der Klage gestellten Antrag ergebe. § 58 Abs. 1 BDG ändere nichts daran, dass die Klägerin selbst ein Ermittlungsergebnis zur Schuldfähigkeit gewinnen müsse. Die Regelung diene nicht dazu, den aufgezeigten Verfahrensfehler zu heilen, sondern gewährleiste einen Anspruch auf Beweiserhebung bei Unstimmigkeiten zwischen dem einer Disziplinarklage zugrunde liegenden Ergebnis der behördlichen Ermittlungen und den Einlassungen des Beklagten.

Mit Beschluss vom 5. September 2012 ist die Frist bis zum 31. Januar 2013 verlängert worden. Am 14. Januar 2013 hat die Klägerin ein psychiatrisches Gutachten des Dr. med. B vorgelegt, dem sie entnimmt, dass der Beklagte voll schuldfähig gewesen sei.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass der Beklagte im Kernbereich seiner Pflichten schwer versagt habe, so dass eine Fortsetzung des Beamtenverhältnisses mit ihm nicht mehr zumutbar sei. Durchgreifende Milderungsgründe bestünden nicht, auch nicht im Hinblick auf die Kaufsucht der Ehefrau.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu enffernen.

Der Beklagte beantragt,

auf eine milde Disziplinarmaßnahme unterhalb der Höchstmaßnahme zu erkennen.

Er rügt das im Verfahren vorgelegte psychiatrische Gutachten und meint, das Verfahren sei einzustellen, da der wesentliche Verfahrensmangel durch das Gutachten nicht beseitigt worden sei. In der Sache räumt der Beklagte die Dienstpflichtverletzung ein, macht aber Umstände geltend, die sein Verhalten in einem milderen Licht erscheinen ließen. Für das Nähere wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Disziplinar- und Personalakten sowie das Gutachten Dr. B Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I. Sie ist zulässig. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung litt das behördliche Disziplinarverfahren nicht an Verfahrensmängeln.

1. Der Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten bedurfte es nicht. Die Gleichstellungsbeauftragte ist vor Erhebung der Disziplinarklage zu beteiligen, wenn durch die Klageerhebung im Einzelfall ihr gesetzlicher Aufgabenkreis (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BGIeiG) berührt ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 – 2 C 62.11

Dies ist bei einem Vermögensdelikt regelmäßig – so auch hier – nicht der Fall.

2. Der bei Klagerhebung noch bestehende Mängel, dass die Schuldfähigkeit des Beklagten nicht ermittelt worden war, obwohl Anhaltspunkte für deren Nichtvorliegen gegeben waren, ist im Einklang mit den gemäß § 55 BDG ergangenen Beschlüssen der Kammer durch die nachträgliche Vorlage des Gutachtens Dr. B beseitigt worden. Das ausführliche und schlüssig begründete Gutachten genügt in jeder Hinsicht den im Rahmen der Mängelbeseitigung zu stellenden Anforderungen. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass Einwendungen gegen das Gutachten vorgebracht werden können. Die Berechtigung derartiger Einwände ist aber kein Gesichtspunkt, dem unter dem Blickwinkel eines Verfahrensmangels nachzugehen wäre.

II. Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Der Beklagte ist wegen eines einheitlichen Dienstvergehens (§ 77 Abs. 1 BBG) in das nächstniedrige Amt eines Zollobersekretärs zu versetzen, § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 5 Abs. 1 Nr. 4, § 9 BDG.

1. Das Verhalten des Beklagten stellt jedenfalls unter zwei Gesichtspunkten ein Dienstvergehen dar. Zum einen hat er gegen die Pflicht zur Uneigennützigkeit verstoßen, § 61 Abs. 1 Satz 2 BBG (früher § 54 Satz 2 BBG). Er hat seine dienstliche Stellung dazu ausgenutzt, seinem Vermögen Bargeld in Höhe von 550,- Euro einzuverleiben, das nicht ihm, sondern dem Dienstherrn zustand. Damit hat er zum anderen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb des Dienstes verletzt, § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG (früher § 54 Satz 3 BBG); denn sein Handeln stellte eine Straftat nach § 246 StGB (Unterschlagung) dar. Dass der Beklagte das Geld bei der zustandigen Nebenzollzahlstelle hätte abführen müssen, ergibt sich aus den einschlägigen Vorschriften und dienstlichen Anweisungen (vgl. Gerichtsakte Bl. 20). Dem Beklagten waren diese Bestimmungen bekannt, so dass er nicht nur objektiv rechtswidrig, sondern auch vorsätzlich handelte. Der zugrunde liegende Sachverhalt steht aufgrund der Ermittlungen der Klägerin und der im Wesentlichen geständigen Einlassung des Beklagten im behördlichen Disziplinarverfahren fest.

Nicht gefolgt kann dem Beklagten insofern, als er sich im behördlichen Disziplinarverfahren darauf berufen hat, durch sein Verhalten sei noch keine Vereinnahmung der Gelder in sein privates Vermögen eingetreten (Disziplinarvorgang Bl. 93 ff.).

Zum Vorfall am 22. September 2008 trug der Beklagte vor, er habe das Geld in seiner Dienstgeldbörse behalten und nicht etwa in sein privates Portemonnaie gesteckt. Er habe sich noch nicht entschieden, was mit dem Geld geschehen solle. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Zueignung des Geldes in Frage zu stellen.

Zueignung im Sinne des § 246 StGB ist ein durch eine nach außen erkennbare Handlung betätigter Entschluss, den Eigenbesitz an der Sache unter Ausschluss des Berechtigten zu begründen mit dem WiIlen, wie ein Eigentümer über die Sache zu verfügen.

Vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, § 246 Rdnr. 6 i.V.m. § 242 Rdnr. 33.

Wer beauftragt ist, Geld einzukassieren, unterschlägt es daher nicht schon dadurch, dass er es mit der Absicht entgegennimmt, es für sich zu behalten. Eine Unterschlagung liegt aber vor, wenn er diese Absicht durch Umgehung vorgeschriebener Kontrollmaßnahmen wie die Nichterteilung einer Quittung deutlich macht.

Vgl. Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 246 Rdnr. 11.

So liegt es im FaIle des Beklagten. Dieser hat seinen Entschluss zur Unterschlagung nach außen erkennbar betätigt, indem er – wie von ihm in der mündlichen Verhandlung nochmals dargestellt – die ordnungsgemäße Quittierung der eingenommenen Gelder unterließ und die Durchschrift des Berechnungsblattes auf der öffentlichen Toilette entsorgte, wobei es nicht entscheidend darauf ankommt, ob er es dort in den Papierkorb warf oder – wie er im behördlichen Disziplinarverfahren vorgetragen hat – auf den Fußboden legte. Durch diese Handlungen schloss er den Berechtigten, seine Dienststelle, von der Verfügung über das eingenommene Geld aus, indem diese den Verbleib dieses Geldes nicht mehr nachverfolgen konnte. Zugleich begründete er damit eigene uneingeschränkte Sachherrschaft. Er allein konnte darüber entscheiden, ob er das Geld für sich behalten oder doch noch an die Nebenzollzahlstelle abführen wollte. Dass er zusätzlich das Geld in sein privates Portemonnaie gesteckt hätte, war für die nach außen erkennbare Manifestation des Willens zum Eigenbesitz nicht erforderlich.

Nicht gefolgt werden kann auch dem Vorbringen im behördlichen Disziplinarverfahren, am 25. September 2008 habe zum Zeitpunkt der Überprüfung seiner Dienstgeldbörse noch keine Pflicht zur Ablieferung des Geldes bestanden, weil noch kein Dienstschluss gewesen sei. Der Beklagte räumte nämlich zugleich ein, dass er dem Zollbeteiligten vorschriftswidrig keine Quittung ausgestellt hatte (Disziplinarvorgang BI. 93). Aus diesem Verhalten lässt sich klar die Absicht ersehen, über das vereinnahmte Geld auch diesmal wie ein Eigentümer zu verfügen, wie schon drei Tage vorher. Mit dieser nach außen in Erscheinung getretenen Absicht ist die Unterschlagung vollendet gewesen.

Der Beklagte handelte schuldhaft (§ 20 StGB); seine Schuldfähigkeit war – wie noch auszuführen sein wird – nicht einmal erheblich gemindert.

2. Die an den beiden Tagen begangenen Unterschlagungen haben als Zugriffsdelikt erhebliches disziplinares Gewicht. Dies gilt unabhängig davon, ob der Qualifikationstatbestand des § 246 Abs. 2 StGB (veruntreuende Unterschlagung) erfüllt ist. Ein Zugriffsdelikt im disziplinarrechtlichen Sinne liegt immer dann vor, wenn der Beamte auf Bargeld oder gleichgestellte Waren zugreift, die ihm dienstlich anvertraut oder zugänglich sind. Dies war bei den 550,- Euro der Fall, denn diese sind dem Beklagten gerade in seiner dienstlichen Eigenschaft als Zollbeamter zugänglich geworden.

3. Die zu verhängende Disziplinarmaßnahme richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, § 13 Abs. 1 BDG. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.

Hiernach war die Zurückstufung des Beklagten angezeigt. Ausgangspunkt der Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme ist bei einem Zugriffsdelikt grundsätzlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, da es regelmäßig geeignet ist, das Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn zu zerstören. Allerdings hat in jedem Einzelfall eine Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände stattzufinden. Bei dem Beklagten sind zwar keine „klassischen“ Milderungsgründe gegeben (unten a) und er war voll schuldfähig (unten b), sein Handeln geschah aber in einer inzwischen abgeschlossenen negativen Lebensphase und erscheint daher in einem milderen Licht (unten c), so dass ein Restvertrauen des Dienstherrn noch gegeben ist.

a) Die in der Rechtsprechung bei Zugriffsdelikten entwickelten Milderungsgründe erfassen typisierend Beweggründe oder Verhaltensweisen des Beamten, die regelmäßig Anlass für eine noch positive Persönlichkeitsprognose geben. Zum einen tragen sie existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet werden und damit nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch die freiwillige Wiedergutmachung des Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens jeweils vor drohender Entdeckung. Eine noch günstige Persönlichkeitsprognose kann sich schließlich daraus ergeben, dass der Zugriff lediglich auf geringwertige Gelder oder Güter erfolgt ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 .- 2 C 5907 -‚ Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3; Urteil vom 25. Oktober 2007 – 2 C 43.07 -‚ Buchholz 235.1 § 65 BOG Nr. 2.

Bei dem Beklagten sind diese Milderungsgründe nicht gegeben.

Von Geringfügigkeit oder einem tätigen Abrücken von der Tat kann von vorneherein keine Rede sein. Der Beklagte hat den unterschlagenen Betrag – über 500,- Euro – erst eingezahlt, nachdem er bereits „ertappt“ worden war. Es lag aber auch keine Notlage oder sonstige Ausnahmesituation vor, die das Geschehen in einem milderen Licht erscheinen ließe. Als Sachverhalt in dieser Richtung kämen allein die Schulden in Betracht, die aufgrund der geltend gemachten Kaufsucht der Ehefrau des Beklagten entstanden waren. Hierzu hat der Beklagte indessen bereits bei der mündlichen Anhörung im behördlichen Disziplinarverfahren erklärt, das Problem, dass seine Ehefrau frei auf das gemeinsame Konto zugreifen konnte, sei bereits vor der ersten Tat gelöst gewesen (Disziplinarvorgang BI. 43). Im übrigen hätten Schulden nur im üblichen Rahmen wegen des Hauskaufs bestanden; überschuldet seien die Eheleute nicht gewesen (a.a.O. 41). Die finanzielle Situation habe er eher als angespannt denn als aussichtslos empfunden (a.a.O. BI. 43).

Soweit der Beklagte später eine extreme psychische Belastung geltend gemacht hat, die sich aus seiner damaligen Erkenntnis ergeben habe, dass die Kaufsucht seiner Ehefrau keineswegs gebrochen gewesen sei (Disziplinarvorgang BI. 96), vermag dies eine objektiv bestehende Notlage nicht zu begründen (vgl. auch die Klageschrift, S. 14 f.). Derartiges hat auch die Befragung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht ergeben. Seine Darstellung ging dahin, dass er der damaligen Belastung nicht gewachsen war. Die Belastung setzte sich aus verschiedenen Faktoren zusammen, zum einen den schon bestehenden Schulden, zum anderen der drohenden weiteren Verschärfung der wirtschaftlichen Lage durch die noch immer bestehende Möglichkeit von Einkäufen der Ehefrau, schließlich deren psychischer Verfassung, die von Lethargie und einer Vernachlässigung der häuslichen Pflichten geprägt war. Bei objektiver Betrachtung begründeten diese Faktoren aber weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtschau eine ausweglose Lage.

b) Auch eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit lag nicht vor. Das Gericht folgt insoweit dem Gutachten Dr. B (Beiakte H. 7). Der Gutachter hat aufgrund eigener Untersuchung des Beklagten ausgeführt, bei diesem sei der psychopathologische Befund unauffällig gewesen, Beeinträchtigungen von klinischer Relevanz hätten sich nicht gezeigt (S. 23, 26). Eine schwere oder klinisch relevante depressive Episode für den Tatzeitraum sei nicht ableitbar (S. 27), auch nicht eine sonstige Störung, die den Eingangskriterien der §§ 20, 21 StGB zugeordnet werden könnte (S. 29). Im übrigen vermutet der Gutachter auch bei der Ehefrau des Beklagten eine nur geringe Intensität und Schwere der bei ihr geschilderten Symptomatik, da sie offenbar nur einmal einen Facharzt aufgesucht habe (S. 25). Die Ausführungen des fachkundigen Gutachters sind für das Gericht einleuchtend und nachvollziehbar, so dass es keinen Anlass sieht, sie in Frage zu stellen.

Dies gilt auch mit Blick auf die von dem Beklagten erhobenen Einwände. Der Beklagte meint, das Gutachten leide an einem wesentlichen Mangel, da dem Gutachter das ärztliche Attest seiner behandelnden Ärztin Dr. C vom 26. März 2009 (Gerichtsakte BI. 89) nicht vorgelegen habe. Der Gutachter habe selbst ausgeführt (S. 27 des Gutachtens), anhand eines weiteren Attestes der behandelnden Ärztin vom 2. Mai 2011 habe die von ihr vorgenommene Einschätzung der Erkrankung des Beklagten nicht beurteilt werden können. Die für diese Beurteilung erforderlichen Informationen seien gerade in dem früheren Attest vom 26. März 2009 enthalten gewesen. Die Disziplinarkamrner teilt diese Ansicht nicht; denn der Gutachter hat nicht ein früheres Attest zur Grundlage seiner Untersuchung machen wollen, sondern ausdrücklich einen „ausführlichen psychopathologischen Befund“ (S. 27 des Gutachtens), der von Frau Dr. C aber trotz mehrfacher Bitte nicht übersandt worden sei. Ein solcher ausführlicher Befund ist in dem Attest vom 26. März 2009 nicht enthalten.

c) Dem Beklagten ist aber mildernd zugute zu halten, dass er das Dienstvergehen in einer inzwischen überwundenen negativen Lebensphase begangen hat.

Selbst wenn keiner der anerkannten Milderungsgründe vorliegt, können entlastende Umstände gegeben sein, deren Gewicht in ihrer Gesamtheit dem Gewicht der anerkannten Milderungsgründe vergleichbar ist. Die Entlastungsmomente können sich aus allen denkbaren Umständen ergeben. Jedenfalls bei einem einmaligen Fehlverhalten ohne belastende Begleitumstände mit einem begrenzten Schaden kommt ernsthaft in Betracht, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 C 38.10 NVwZ-RR 2012, 479 (juris Rdnrn. 14 ff.); Beschluss vom selben Tage – 2 B 143.11 -, juris Rdnrn. 11 ff.

Mildernd ist insbesondere zu berücksichtigen, wenn das Dienstvergehen Folge einer negativen Lebensphase ist, die der Beamte inzwischen überwunden hat.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 2012 a.a.0., juris Rdnr. 17.

So liegt es hier. Die Disziplinarkammer legt ihrer Wertung die Angaben zugrunde, die der Beklagte selbst gemacht hat. Danach befand er sich zur Zeit des Dienstvergehens in einer persönlich schwierigen Situation, die durch verschiedene Faktoren geprägt war (oben a). Sein Handeln stellte sich als eine Art „Hilferuf“ dar, durch den er auf seine verzweifelte Lage aufmerksam machen, insbesondere seiner Ehefrau die Folgen ihrer Kaufsucht klar machen wollte. Diese Darstellung ist zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft. Die Kaufsucht der Ehefrau und die dadurch heraufbeschworene schwierige finanzielle Situation hat der Beklagte anschaulich geschildert, insbesondere auch die Maßnahmen beschrieben, die ergriffen wurden, um die Ehefrau an weiteren nicht notwendigen Spontankäufen zu hindern. Dass die finanzielle Situation angespannt war, hat er durch eine Aufstellung belegt, nach der der Familie im Monat lediglich etwa 250,- Euro für die laufenden Ausgaben, insbesondere für Ernährung und Bekleidung, verblieben waren (Disziplinarvorgang BI. 261 f.). Der Charakter des Dienstvergehens als „Hilferuf“ ist zur Überzeugung der Disziplinarkammer ebenfalls glaubhaft gemacht. Für eine solche Einordung spricht schon die ausgesprochen dilettantische Tatausführung, die geradezu auf Entdeckung ausgelegt war (Handeln vor den Augen der Kollegen, Entsorgung der Belege auf der Toilette usw.). Der Kollege D, der den Beklagten als erster zur Rede stellte, berichtete sogar von sich aus davon, der Beklagte habe „erleichtert“ gewirkt, „dass er sofort erwischt worden ist“ (Disziplinarvorgang BI. 11). Daran anschließend hat der Beklagte das Geld sofort zurückgegeben, was im Rahmen der Maßnahmebemessung jedenfalls nicht außer Betracht bleiben darf,

vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2012 a.a.O. (juris Rdnr. 18).

Auffallend ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Beklagte das unterschlagene Geld nach seinen unwiderlegten Angaben die ganze Zeit in der Dienstgeldbörse behalten hat. Wäre die Tat wie bei einem typischen Zugriffsdelikt in erster Linie auf finanzielle Bereicherung ausgerichtet gewesen, so wäre ein solches Verhalten nicht verständlich.

Als danach glaubhaft geschilderter, wenn auch objektiv nicht nachvollziehbarer „Hilferuf“ war das Dienstvergehen Ausdruck einer negativen Lebensphase, die von den beschriebenen tatsächlich bestehenden, wenn auch objektiv nicht unüberwindbaren Schwierigkeiten und der Überforderung des Beklagten angesichts der Aufgabe, diese Schwierigkeiten zu bewältigen, geprägt war. Diese negative Lebensphase ist nach den glaubhaften Angaben des Beklagten in der mündlichen Verhandlung inzwischen überwunden: seine Ehefrau zieht mit ihm inzwischen wieder „an einem Strang“, die Situation hat sich auch deshalb gebessert, weil die Kinder inzwischen älter und damit selbstständiger geworden sind. Angesichts dieser Entwicklung ist die Erwartung berechtigt, der Beklagte werde sich künftig keine derartigen Dienstvergehen mehr zuschulden kommen lassen. Bei der gebotenen objektiven Betrachtung ist damit ein Restvertrauen des Dienstherrn in ihn gegeben, woran auch der Umstand nichts ändert, dass er das Zugriffsdelikt wiederholt begangen hat. Denn die beiden Einzelakte standen in engem zeitlichen Zusammenhang, und zu der zweiten Tat ist es gekommen, ohne dass zuvor die erste aufgedeckt worden wäre und der Beklagte sich diese Aufdeckung hätte zur Warnung dienen lassen können. Dass die Klägerin dem Beklagten noch ein Restvertrauen entgegenbringen kann, wird auch dadurch bestätigt, dass sie keine Strafanzeige erstattet und ihn nicht vom Dienst suspendiert hat.

Angesichts der Schwere des Dienstvergehens erscheint der Disziplinarkammer aber eine einschneidende Maßnahme unterhalb der Höchstmaßnahme unausweichlich, um dem Beklagten nachdrücklich vor Augen zu führen, dass er im Wiederholungsfalle nicht auf Milde wird rechnen können. Hierfür hält sie die Zurückstufung um ein Amt für erforderlich, aber auch ausreichend.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.