Die versteinerten Fronten im Schulkrieg, WAZ vom 01.11.2012

Iserlohn. Die Bühne war bereitet : Im Zuschauerraum die Gegner und Befürworter der 2. Gesamtschule in Hennen, die lautstark ihre Unterstützung oder eben Ablehnung der jeweiligen Position kund taten, im Plenum die gewählten Vertreter der Bürgerschaft, die aus der Sondersitzung des Stadtrates zur Zulässigkeit des Bürgerbegehrens gegen die 2. Gesamtschule eine politische Schauveranstaltung machten. Einigkeit dürfte bei allen Beobachtern nur in einem Punkt bestanden haben: Die Fronten sind nicht mehr verhärtet, sondern versteinert, eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Fraktionen des Bildungsbündnisses einerseits sowie CDU und Freien Wählern andererseits scheint auf absehbare Zeit kaum mehr möglich.

Mit einem eigenen Rechtsgutachten, erstellt von Robert Hotstegs, einem Düsseldorfer Fachanwalt für Verwaltungsrecht, hatte das aus den Fraktionen von SPD, Grünen, Linken und FDP bestehende „Bildungsbündnis“ auf die Vorlage der Verwaltung reagiert, in der die formale Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt wird. Hotstegs, dessen Kanzlei auf die Betreuung und Beratung von direktdemokratischen Initiativen spezialisiert ist, kommt im Kern zu dem Ergebnis, dass die Initiatoren bereits nach der Ratssitzung vom 18. November 2011 hätten aktiv werden müssen, um die Einspruchsfrist zu wahren. Seinerzeit nämlich hatte das Stadtparlament beschlossen, dass die

Grundsatzbeschluss 2011

Kommune – vorbehaltlich der förmlichen Bedarfsfeststellung – die Absicht erklärt, „schnellstmöglich eine zweite, vierzügige Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe am Standort Hennen zu errichten“. Hotstegs bewertet dies als Grundsatzbeschluss, der die Frist zur Einreichung eines Bürgerbegehrens binnen drei Monaten auslöst. Der am 3. Juli 2012 gefasste Beschluss hingegen, in dem weitere Details geregelt würden, verlängere diese Frist nicht. Überdies weist Hotstegs darauf hin, dass die Begründung des Begehrens aus seiner Sicht nicht den Anforderungen der Gemeindeordnung entspreche, da sie unvollständig sei. Zum einen werde die Trendabfrage unter den potenziellen Eltern der Schüler einer zweiten Gesamtschule ebenso wie das in der Konsequenz eingeholte Assmann-Gutachten mit keinem Wort erwähnt, sondern statt dessen formuliert, dass die neue Schule „gegen den Willen von Schülern und Eltern“ errichtet werde. Bei den Unterzeichnern werde so der Eindruck erweckt, „dass die Neuerrichtung der Schule ohne sachliche Begründung beziehungsweise ohne Berücksichtigung des Schüler-Elternwillens erfolgt sei.“ Hierdurch, so Hotstegs, bestehe die Gefahr einer Verfälschung des Bürgerwillens im Bürgerbegehren und späteren Bürgerentscheid. Ausgeblendet würden in dem Bürgerbegehren auch die Tatsachen der bisherigen Schulanmeldungspraxis, laut der bei weitem nicht genügend Gesamtschulplätze in Iserlohn zur Verfügung stünden.

Dass das Bildungsbündnis auf der Basis dieser juristischen Einschätzung dem Begehren die Zulässigkeit absprach, rief die CDU auf den Plan, deren Ratsherr Karsten Meininghaus die vier Fraktionen vehement attackierte. Ein Kompromiss sei mit dem Bildungsbündnis nicht zu erreichen, eine Zusammenarbeit unmöglich, „wir werden sehen, was das Verwaltungsgericht sagt“. Dass die Initiatoren des Begehrens den Klageweg beschreiten werden, daran ließ CDU-Stadtverbandsvorsitzender Paul Ziemiak keinen Zweifel: „Wir sind nicht gegen das System Gesamtschule, sondern gegen eine Investition von 30 Millionen Euro.“ Wenn es nicht gelinge, dieses Begehren, das von der Verwaltung beratend begleitet und von mehr als

„Angst vor dem Souverän“

9000 Wahlberechtigten unterstützt worden sei, durchzusetzen, werde es in Iserlohn niemals ein erfolgreiches Bürgerbegehren geben. Zweifel an Hotstegs Bewertung äußerte Helmut Prange (Frei Wähler). Das Votum aus November 2011 sei für ihn „nicht existent“, weil es im Anschluss andere, anders lautende Beschlüsse gegeben habe. Matthias Jakubanis (CDU) vermutete dann auch, dass die „Angst vor dem Souverän“ bei einem Bürgerentscheid das Bildungsbündnis zu den „juristischen Winkelzügen“ bewogen habe. Jörg Teckhaus erklärte die Feststellung der Nichtzulässigkeit des Begehrens gar zum „politischen Sündenfall“, während sein Fraktionschef Rolf Kramer den Bürgermeister dazu aufforderte, „persönliche Konsequenzen zu ziehen“, sollte sich vor Gericht die Position Hotstegs durchsetzen. Gleich aber, wie das Verfahren letztlich ausgehe, würden die Wähler die Missachtung ihres Willens durch das Bildungsbündnis bis zur nächsten Wahl nicht vergessen.

Dass eine so große Zahl an Unterschriften zusammengekommen wäre, wenn die von der CDU unterstützten Initiatoren des Begehrens alle Fakten richtig auf den Tisch gelegt hätten, zog FDP-Fraktionschef Detlef Köpke in Zweifel: „Dann wären ihnen keine 8000 Bürger auf den Leim gegangen.“ Köpke betonte, dass für das Bildungsbündnis der Elternwille maßgeblich sei. Sollten sich also beim vorgezogenen Anmeldeverfahren für den Standort keine 100 Schüler für eine Eingangsklasse finden, „dann ist dies das entscheidende Votum, dem wir uns beugen werden“. Als „Komödie“ titulierte Oliver Ruhnert (Linke) die CDU-Darstellung im Rat. Angesichts des Unions-Vorwurfs der fehlenden Kompromissfähigkeit des Bündnisses erinnerte er daran, dass im Kreis der Fraktionsvorsitzenden unter Beteiligung von Rolf Kramer und Renate Brunswicker eine einstimmige Einigung zum weiteren Vorgehen in Sachen zweiter Gesamtschule erzielt worden sei, die dann von der CDU-Fraktion einen Tag später „über den Haufen geworfen worden“ sei. Ähnlich äußerte sich Alexandra Schroven: „Mit ihnen kann man sich nicht einigen, weil sie sich nicht einmal untereinander einig sind.“ Die CDU übe sich gegenwärtig nur noch in „Populismus und Panikmache“ in ihrer Rolle als Partei, „die gegen alles ist“, dabei aber ein „Rückgrat wie ein Gummitier“ habe.

„Wenn die Eltern keine zweite Gesamtschule in Hennen wollen, dann wird es sie nicht geben“, erinnerte Elke Olbrich-Tripp (Bündnisgrüne) daran, dass aus Sicht des Bildungsbündnisses das vorgezogene Anmeldeverfahren die endgültige Entscheidung über den Standort im

Stengers offene Worte

Norden bringen soll. Bis zu dieser Entscheidung aber werde „kein Cent“ für die zweite Gesamtschule ausgegeben: „Wenn das nicht funktioniert, dann brauchen wir einen Plan B, wo die zusätzlichen Gesamtschulplätze entstehen sollen.“

Die wohl offenste Stellungnahme gab indes FDP-Ratsherr Thomas Stenger ab. Der Liberale nämlich räumte kurz vor der Abstimmung ein, in der Gesamtdebatte kaum noch einen Überblick zu haben. „Es ist kaum noch möglich, vernünftige, sachliche Entscheidungen zu treffen. Ich fühle mich zerrieben zwischen den Blöcken. Und diese heutige Diskussion trägt nur zur weiteren Verwirrung bei. Wo führt das hin? Für diese Stadt ist es von elementarer Bedeutung, dass wir alle zusammenarbeiten.“

Thomas Pütter