Bürger sollen „Gordischen Knoten“ lösen, Rhein-Neckar-Zeitung vom 19.03.2012

Weinheim. (keke) Einen Sieg kann die Bürgerinitiative (BI) „Schützt die Weinheimer Breitwiesen“ schon mal für sich verbuchen: Zu ihrem Informations- und Diskussionsabend zum „Bürgerentscheid Breitwiesen“ kamen am mit knapp 130 Besuchern fast doppelt so viele engagierte Weinheimer wie vor Wochenfrist, als die Stadt zu ihrer Aufklärungsveranstaltung eingeladen hatte.

Und auch die Einschätzung von Rechtsanwalt Robert Hotstegs (Düsseldorf), der die zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommenen Gutachten der Stadt und das der BI gegeneinander abgewogen hatte, kam zu dem Schluss, dass das von der BI verlangte und von 5000 Unterschriften unterstützte Bürgerbegehren zulässig sei: „Der Gemeinderat kann einem Bürgerentscheid durchaus zustimmen.“

„Weinheims Bürger wollen nicht, dass unsere Stadt verschandelt wird“, hatten der Vorsitzende des Bauernverbandes, Fritz Pfrang, und Ingrid Hagenbruch als Sprecherin der BI die weitgehend sachlich verlaufende Veranstaltung eröffnet. Pfrang machte deutlich, dass die Landwirte auch nach einer sich gegen ihre Interessen gerichteten Gemeinderatsentscheidung Widerstand leisten wollten. Ihm lägen schriftliche Erklärungen vor, dass keiner der Landwirte seine Breitwiesen-Grundstücke verkaufen wolle.

Hagenbruch ihrerseits wertete es als „Affront“, dass Oberbürgermeister Heiner Bernhard die Empfehlung zur Breitwiesenentscheidung per Los ausgewählten Bürgerräten überlassen wolle. Darüber hinaus bemängelte die BI-Sprecherin eine „unvollständige und parteiische“ Sitzungsvorlage und die darin enthaltene einseitige Darstellung der Frage der Zulässigkeit eines Bürgerentscheids.

Dass auf der Gemeinderatssitzung nur der Rechtsanwalt der Stadt gehört werden, nicht aber die Anwälte der Bürgerinitiative zu Wort kommen sollten, wertete Hagenbruch als „krasses Ungleichgewicht“, welches nichts mit Offenheit oder Demokratie zu tun habe: „Die Bürger wollen nicht nur mitreden, sondern mitentscheiden“.

„5000 Unterschriften fallen nicht vom Himmel“: Der Gemeinderat stehe nicht mehr nur vor einer politischen, sondern vor einer „gebundenen“ juristischen Entscheidung, bereitete Hotstegs, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Experte für Bürgerbeteiligungen, den Boden für die Ratsentscheidung vor: „Die Räte müssen sich eine eigene Rechtsauffassung bilden“.

Allerdings: Selbst wenn sich der Gemeinderat mehrheitlich über die Zulässigkeit eines sogenannten „kassatorischen“ Bürgerbegehrens einig ist, verfügt OB Heiner Bernhard immer noch über ein Widerspruchsrecht. Dieses Widerspruchs- und Klagerecht besitzen aber auch alle, die das Bürgerbegehren unterstützt haben. Persönlich halte er ein Bürgerbegehren für zulässig, so Hotstegs Einschätzung. Da bislang keine exakte Rechtsprechung vorliege, könne Weinheim im Falle einer Klage „Rechtsgeschichte schreiben“. In seiner Abwägung der Chancen und Risiken bezifferte der Anwalt die Aussichten für einen Erfolg der Bürgerinitiative auf „5000:1“.

Erkläre der Gemeinderat das Bürgerbegehren für unzulässig, könnten die 5000 Unterzeichner Widerspruch einlegen. Verzögere der Gemeinderat die Entscheidung, bestehe die Möglichkeit einer „Untätigkeitsklage“. Erkläre der Gemeinderat das Bürgerbegehren für zulässig, müsse wiederum die Verwaltungsspitze dagegen vorgehen, wenn sie der Auffassung sei, dass dieses Votum rechtswidrig ist.

Kein Risiko besteht nach Ansicht Hotstegs dann, wenn sowohl der Gemeinderat als auch der OB das Bürgerbegehren für zulässig halten. Oder der Gemeinderat „kassiere“ seinen am 19. Oktober 2011 gefassten Beschluss. Dann sei das Bürgerbegehren auch im juristischen Sinne „erledigt“.

Hotstegs Empfehlung: Das Bürgerbegehren als „befriedende Möglichkeit“ müsse ernst genommen werden, die Auseinandersetzung sei nicht (mehr) über Bürgerräte lösbar. Eine rechtliche Bewertung der Zulässigkeit stelle ein Verwaltungsverfahren dar. Hierbei müssten die Vorlage beider Gutachten und die Stellungnahme des Gemeinderates abgewartet werden.

Hotstegs Fazit: In einer solchen Situation könne tatsächlich wohl nur ein Bürgerentscheid den Gordischen Knoten lösen.