Zu Interview Oberthür, NJW-aktuell H. 42/2022. Habe ich die Gesamtaussage des Interviews richtig verstanden, dass wir für Anwaltskanzleien am liebsten eine Bereichsausnahme vom Arbeitszeitgesetz benötigen und dass wir berufsrechtlich und im Mandatsinteresse veranlasst sind die Arbeitszeiten zu überschreiten?
Unsere Kanzlei hat 2018 ihre regelmäßige Wochenarbeitszeit von vorher 40 Stunden auf 38 Stunden für alle Mitarbeitenden herabgesetzt. Schon zuvor war es üblich eine von jeder Mandatserfassung unabhängige Arbeitszeiterfassung zu nutzen und anfallende Überstunden durch Freizeitausgleich abzubauen. Ich kann weder in der Vergangenheit, noch durch die aktuelle BAG-Rechtsprechung, Mandate oder das Berufsrecht erkennen, warum so etwas nicht praktikabel sein soll. Ich vermute, dass Anwaltskanzleien zu häufig das Klischee nächtelanger Arbeit anbieten und auch verkaufen und dass sich die Anpassung an den Arbeitsschutz doch vielleicht zunächst in den Honoraren niederschlagen würde. Auch unsere Mandanten und Mandantinnen dürfen in Notfällen und Eilsachen selbstverständlich mit entsprechender Bearbeitung und notfalls auch Nachtarbeit rechnen. Das ist aber nicht der im Konzept eingeplante Regelfall, sondern die Ausnahme. Und es ist die Einladung unsere Mandate so zu planen, dass nicht einzelne Schultern Arbeitszeiten „rund um die Uhr“ abdecken müssen.
Für selbstständige Rechtsanwält:innen findet das Arbeitszeitgesetz keine Anwendung. Für diejenigen, die im Team mit Angestellten arbeiten, bietet diese Zusammenarbeit doch gerade jede Möglichkeit, dem Arbeitsschutz ausreichend Rechnung zu tragen.
Für die erwähnte Bereichsausnahme wie in § 45 S. 2 WPO besteht aus meiner Sicht keinerlei Veranlassung – es ist mir schon ein Rätsel, warum sie für den mir aber fremden Beruf der Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer existieren muss. Dies gilt umso mehr, als auch für (echte) leitende Angestellte und erst recht für fingierte die „allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer“ aus dem EU-Recht Anwendung finden müssen. Ein echter Mehrwert im Sinne von unbegrenzter Arbeitszeit im Sinne der Nacht-Mandate dürfte damit daher nicht verbunden sein.
Zu guter Letzt: wir diskutieren flexible Arbeitszeitmodelle und die Attraktivität der Mitarbeit in Anwaltskanzleien, die entsprechenden Nachfragen nach der Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und Familie sollen stetig steigen. Wenn wir diese Themen ernst nehmen, bewegen wir uns doch schon lange unterhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeitgrenzen, planen Pausen und Urlaube ein – oder habe ich etwas verpasst?
Fachanwalt für Verwaltungsrecht Robert Hotstegs, Düsseldorf