Leserforum, NJW-aktuell 44/2022, 10

Zu Interview Oberthür, NJW-aktuell H. 42/2022. Habe ich die Gesamtaussage des Interviews richtig verstanden, dass wir für Anwaltskanzleien am liebsten eine Bereichsausnahme vom Arbeitszeitgesetz benötigen und dass wir berufsrechtlich und im Mandatsinteresse veranlasst sind die Arbeitszeiten zu überschreiten?

Unsere Kanzlei hat 2018 ihre regelmäßige Wochenarbeitszeit von vorher 40 Stunden auf 38 Stunden für alle Mitarbeitenden herabgesetzt. Schon zuvor war es üblich eine von jeder Mandatserfassung unabhängige Arbeitszeiterfassung zu nutzen und anfallende Überstunden durch Freizeitausgleich abzubauen. Ich kann weder in der Vergangenheit, noch durch die aktuelle BAG-Rechtsprechung, Mandate oder das Berufsrecht erkennen, warum so etwas nicht praktikabel sein soll. Ich vermute, dass Anwaltskanzleien zu häufig das Klischee nächtelanger Arbeit anbieten und auch verkaufen und dass sich die Anpassung an den Arbeitsschutz doch vielleicht zunächst in den Honoraren niederschlagen würde. Auch unsere Mandanten und Mandantinnen dürfen in Notfällen und Eilsachen selbstverständlich mit entsprechender Bearbeitung und notfalls auch Nachtarbeit rechnen. Das ist aber nicht der im Konzept eingeplante Regelfall, sondern die Ausnahme. Und es ist die Einladung unsere Mandate so zu planen, dass nicht einzelne Schultern Arbeitszeiten „rund um die Uhr“ abdecken müssen.

Für selbstständige Rechtsanwält:innen findet das Arbeitszeitgesetz keine Anwendung. Für diejenigen, die im Team mit Angestellten arbeiten, bietet diese Zusammenarbeit doch gerade jede Möglichkeit, dem Arbeitsschutz ausreichend Rechnung zu tragen.

Für die erwähnte Bereichsausnahme wie in § 45 S. 2 WPO besteht aus meiner Sicht keinerlei Veranlassung – es ist mir schon ein Rätsel, warum sie für den mir aber fremden Beruf der Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer existieren muss. Dies gilt umso mehr, als auch für (echte) leitende Angestellte und erst recht für fingierte die „allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer“ aus dem EU-Recht Anwendung finden müssen. Ein echter Mehrwert im Sinne von unbegrenzter Arbeitszeit im Sinne der Nacht-Mandate dürfte damit daher nicht verbunden sein.

Zu guter Letzt: wir diskutieren flexible Arbeitszeitmodelle und die Attraktivität der Mitarbeit in Anwaltskanzleien, die entsprechenden Nachfragen nach der Vereinbarkeit von Anwaltsberuf und Familie sollen stetig steigen. Wenn wir diese Themen ernst nehmen, bewegen wir uns doch schon lange unterhalb der gesetzlichen Höchstarbeitszeitgrenzen, planen Pausen und Urlaube ein – oder habe ich etwas verpasst?

Fachanwalt für Verwaltungsrecht Robert Hotstegs, Düsseldorf

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Menschen aus Düsseldorf: Das verschwundene Gericht, Rheinische Post v. 25.10.2022

Pempelfort. Der Anwalt Robert Hotstegs ist auf der Suche nach der ehemaligen Bundesdisziplinarkammer, die bis 1967 in Düsseldorf saß. Von der gibt es kaum Spuren – wohl auch, weil die Richter mithalfen, NS-Verbrechen zu vertuschen. 

von Marc Ingel

Robert Hotstegs kennt sich aus mit Beamtenrecht, seine Kanzlei an der Mozartstraße ist darauf spezialisiert. Das Disziplinarverfahren gegen einen Feuerwehrmann, die längst verdiente, aber nicht gewährte Beförderung im öffentlichen Dienst, der Lehrer, dem Nähe zum Reichsbürgertum vorgeworfen wird – bei solchen Verfahren ist die Hotstegs-Rechtsanwaltsgesellschaft Ansprechpartner. „Klingt etwas spröde, muss es aber nicht sein“, sagt Hotstegs.

Alles andere als öde ist jedenfalls auch das, womit sich Hotstegs seit ein paar Monaten quasi so nebenbei in seiner Freizeit beschäftigt. Er sucht ein verloren gegangenes Gericht, das rein thematisch eng verbunden ist mit seiner tagtäglichen Arbeit: Disziplinarrecht im weitesten Sinne. Es geht dabei um die Bundesdisziplinarkammer X (für römisch zehn), die von 1953 bis 1967 ein eigenständiges Bundesgericht in Düsseldorf war und zuerst in der Oberpostdirektion (heute GAP 15) und später in der Oberfinanzdirektion (inzwischen Bau- und Heimatministerium) ihren Sitz hatte. Nur: „Keiner weiß, was daraus geworden ist, es gibt keine Zeitzeugen, kaum Akten, erst recht keine Fotos“, sagt Hotstegs. 

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Redebeitrag 73. Deutscher Juristentag in Bonn, Abteilung Justiz, 22.09.2022

73. Deutscher Juristentag in Bonn

Im Rahmen des 73. Deutschen Juristentages in Bonn hat die Abteilung Justiz den Themenkomplex „Empfehlen sich Regelungen zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz bei der Besetzung von Richterpositionen?“ bearbeitet. Hierzu lag der Abteilung ein Beschlussvorschlag vor, der u.a. folgende Aspekte beinhaltete:

IV. Konkurrentenstreit

18. Um in Konkurrentenstreitverfahren zu bundeseinheitlichen Auslegungsmaßstäben zu gelangen, sollte das Verfahren instanziell neu geordnet werden. Der Eilrechtsschutz für Konkurrentenstreitverfahren um Richterstellen in den Ländern sollte bei den Oberverwaltungsgerichten bzw. den Verwaltungsgerichtshöfen beginnen. Gegen diese Entscheidung sollte den Beteiligten die Beschwerde zum BVerwG offenstehen.

19. In Verfahren um Bundesrichterstellen sollte Rechtsschutz einschließlich des Eilrechtsschutzes nur vor dem BVerwG verortet werden.

Beschlussvorschlag der Abteilung Justiz

Hierzu hat Rechtsanwalt Robert Hotstegs folgenden Redebeitrag gehalten:

Frau Vorsitzende, meine Damen und Herren, mein Name ist Robert Hotstegs, ich bin Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Ich leite in Düsseldorf das Düsseldorfer Institut für Dienstrecht, ich bin ständiger Beisitzer am Dienstgericht für Richter bei dem Landgericht Düsseldorf.

Ich bin eben bei dem Beitrag zuvor ein wenig zusammengezuckt, als es ganz am Anfang hieß, dass wir eigentlich weniger Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Denn mein Auftakt sollte genau das Gegenteil sein: Wir brauchen mehr Konkurrentenstreitigkeiten, aber mit der Betonung darauf, dass wir mehr gute Konkurrentenstreitigkeiten brauchen. Am Ende, habe ich gemerkt, liegen wir gar nicht so weit auseinander, denn Sie wollen ja nicht den Streit als solchen verhindern, sondern Sie wollen diese, wenn ich das etwas verkürzt sagen darf, obsolet machen. Dadurch, dass eben die Qualität der Auswahlverfahren verbessert wird, da sind wir relativ nah beieinander.

Also ich möchte bei Ihnen werben für ein guten Konkurrentenstreit. Das bedeutet aus meiner Sicht – und deswegen möchte ich auch einen Änderungsantrag am Ende zu Protokoll reichen – auch, dass wir im Blick haben müssen, dass wir für das richterliche Dienstrecht nicht zusätzliche Insellösungen schaffen dürfen. Wir haben die Situation, dass wir bei Konkurrentenstreitigkeiten im Kern auch immer um die Auswahlentscheidung und die dienstliche Beurteilung streiten.

Wie sieht das aus, wenn Sie in unserer Kanzlei ein Konkurrentenstreit als Richterin oder Richter beauftragen? Dann streiten wir über Ihre dienstliche Beurteilung, womöglich vor dem Dienstgericht, weil ihre richterliche Unabhängigkeit tangiert ist. Wir streiten vor dem Verwaltungsgericht, weil die dienstliche Beurteilung im Übrigen angegriffen werden soll. Nach dem neuen Vorschlag in dem Beschlussvorschlag sollen wir dann vor dem Oberverwaltungsgericht oder dem Verwaltungsgerichtshof den Konkurrentenstreit im Eilverfahren einleiten, den Streit der Bundesrichterin und dem Bundesrichter dann bei dem Bundesverwaltungsgericht erstinstanzlich und letztinstanzlich. Damit entkoppeln wir aber das Richterdienstrecht ein Stückchen weiter vom Beamtenrecht.

Jetzt sagen die anwesenden Richterinnen und Richter: „Das ist ja auch richtig, wir sind keine Beamtinnen und Beamten.“ Das stimmt. Aber wir benutzen ähnliche Instrumente und wir führen aus meiner Sicht nicht den Weg dahin eine einheitliche Rechtsprechung herbeizuführen, sondern wir haben noch mehr divergierende Entscheidungen zwischen Verwaltungsgerichten und Oberverwaltungsgerichten aus dem Beamtenrecht und dann womöglich einem erstinstanzlichen und letztinstanzlichen Bundesverwaltungsgericht bei den Bundesrichterstellen.

Das kann man machen, verkürzt aus meiner Sicht aber eben die Diskussion und das halte ich für falsch. Ich freue mich zwar, dass am Ende eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Anwältinnen und Anwälte herauskommt, weil sie den Anwaltszwang im Konkurrentenstreit einführen. Das begrüße ich aus egoistischen Gründen. Trotzdem werbe ich aber dafür: verzichten Sie bitte auf die Ziffer 19! Die Ziffer 19 ist, das Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich für Bundesrichterstellen zuständig zu machen. Davon halte ich überhaupt nichts. Ich habe an anderer Stelle schon einmal gesagt, bei allem Respekt vor anwesenden und nicht anwesenden Bundesverwaltungsrichterinnen und Bundesverwaltungsrichtern: ich halte das Bundesverwaltungsgericht nicht für eine gute erste Instanz, dafür ist es nicht in erster Linie gemacht. Es soll aus ganz anderen Rechtsgebieten noch weitere erstinstanzliche Zuständigkeiten erhalten.

Das ist Murks, wenn wir das im Richterdienstrecht auch noch einführen würden. Denn wenn wir beklagen, dass Eilverfahren die Hauptsache ersetzten – das ist gestern ja schon angeklungen – und zugleich zu lange dauern und Sie alle darunter leiden, egal, ob als Ausgewählter, als unterlegener Konkurrent oder als Behördenleitung, als Präsident oder Direktorin/Direktor. Wenn wir das beklagten, dann ist ja nicht die Verkürzung des Instanzenzuges automatisch Garant dafür, dass die Qualität besser wird. Dann gehen wir nach dem Bundesverwaltungsgericht nochmal vor das Bundesverfassungsgericht und schaffen uns da womöglich eine faktisch weitere Instanz.

Ich meine die Stellschrauben sollten andere sein, und dann schließt der Bogen zu dem Redebeitrag vorher. Wir können die Qualität verbessern, wenn wir Rechtsnormen schaffen. Ich werbe für gesetzliche Regelungen, für den Rahmen von Beurteilungsverfahren, für den Rahmen von Ausschreibungs- und Anforderungsprofilen, wir können aber auch den gesetzlichen Rahmen schaffen für die Beschleunigung von gerichtlichen Verfahren. Out of the box ist gestern schon ein paar Mal gedacht worden. Warum kann man die Konkurrentenstreitigkeiten nicht schneller führen? Zum Beispiel als Anleihe aus dem arbeitsgerichtlichen Prozess? Ich halte einen Gütetermin innerhalb von drei Wochen durchaus für denkbar. Da kann man Anleihen nehmen und das Verfahren beschleunigen und sich sogar zwei Instanzen gönnen.

Wir haben gute Richterinnen und Richter. Und ich glaube wir tun gut daran, wenn wir auch mehrere Instanzen auf Auswahlentscheidungen schauen lassen. Mein Änderungsantrag soll deswegen lauten, in der Ziffer 18 die Textstelle, dass „um Richterstellen in den Ländern vor OVG/VGH und Bundesverwaltungsgericht“ gestritten werden soll, zu ersetzen mit „um Richterstellen im Bund und in den Ländern“. Und siehe da, die Ziffer 19 kann entfallen. Wir entlasten das Bundesverwaltungsgericht von einer weiteren ersten Instanz. Danke sehr!

Die Abteilung ist dem Änderungsantrag nicht gefolgt und hat mit Mehrheit beschlossen, die Verlagerung des Instanzenzuges für Landesrichter:innen-Stellen auf Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof und Bundesverwaltungsgericht zu empfehlen, für Bundesrichter:innen-Stellen aber das streitige Verfahren ausschließlich erst- und letztinstanzlich auf das Bundesverwaltungsgericht zu verlagern.

Wann ist eine Lehrerin eine Lehrkraft?, Verwaltungsgericht Trier, Urteil v. 16.08.2022, Az. 7 K 1500/22.TR

Porta Nigra, Trier

Sind alle Lehrerinnen und Lehrer Lehrkräfte? Die Frage ließe sich bei einer Umfrage in der Öffentlichkeit wohl schnell und eindeutig mit „Ja“ beantworten. Tatsächlich kommt das Verwaltungsgericht Trier in einer aktuellen Entscheidung zum gegensätzlichen Ergebnis. Denn Lehrkräfte seien nur diejenigen, die auch in Schulen im Unterricht eingebunden seien, sozusagen „Dienst an der Tafel“ tun (auch wenn der Unterricht heute typischerweise anders aussieht). Für diese halte das Landesbeamtengesetz Rheinland-Pfalz eine vorgezogene Altersgrenze für den Ruhestand bereit. Nicht begünstigt würden aber diejenigen, die nicht mehr im Schulbetrieb tätig sind.

Die Rückfrage stellt sich daher: welche Lehrer:innen gäbe es denn sonst und kann das Ergebnis richtig sein?

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Leserforum, NJW-aktuell 29/2022, 10

Zu Hamann, NJW 2022, 1924. Es hat Spaß gemacht, die theoretischen Erwägungen von Hamann mitzugehen, auch wenn ehrlicherweise ja nicht streitig war und wurde, wie viel 320 sind, sondern was eigentlich eine Frage ist. Das ist die Frage. Übrigens nicht nur theoretisch, sondern für viele Bürger und Bürgerinnen auch ganz praktisch: denn in einem ganz anderen Rechtsgebiet haben sie die Möglichkeit selbst Fragen zur Abstimmung zu stellen.

Die direkte Demokratie auf kommunaler und Landesebene ermöglicht es zum Beispiel in Form von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden eine Frage zur Ja/Nein-Abstimmung zu bringen und damit Beschlüsse mit der Rechtskraft eines Beschlusses der Gemeindevertretung durch das kommunale Volk selbst zu schaffen. Dort sind die Fragen von Hamann längst nicht mehr graue Theorie, sondern leidgeprüfte Praxis: Zugunsten der Bürgerinnen und Bürger ist geklärt, dass Fragen nicht immer mit einem Fragezeichen enden müssen, sondern auch andere Satzzeichen zur Auswahl stehen. Aber Bürgerbegehren werden etwa für unzulässig erklärt, weil statt einer zwei Fragen gestellt worden seien. Es wird darum gestritten ob zwei kombinierte Fragestellungen inhaltlich einen Bezug haben müssen und ob dann ein „Ja“ oder „Nein“ unmissverständlich sei.

Es ist schwer hier allgemein verbindliche Definitionen aufzustellen. Wer nach dem Forumsbeitrag animiert wurde, Prüfungen im zweiten medizinischen Staatsexamen anzufechten, er würde im Recht der Bürgerbegehren auf existierende Gutachten und Rechtsprechung stoßen.

Fachanwalt für Verwaltungsrecht Robert Hotstegs, Düsseldorf

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Keine Beteiligung des Integrationsamtes bei der Versetzung schwerbehinderter Lebenszeitbeamter in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 07.07.2022, Az. 2 A 4.21

Die Zurruhesetzung eines schwerbehinderten Beamten auf Lebenszeit wegen Dienstunfähigkeit bedarf nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 168 SGB IX. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger ist Regierungsobersekretär (Besoldungsgruppe A7 BBesO) im Bundesdienst und wird beim Bundesnachrichtendienst verwendet. Aufgrund eines Autounfalls mit anschließender durchgehender „Arbeitsunfähigkeit“ veranlasste der Bundesnachrichtendienst die amts- sowie fachärztliche Untersuchung des Klägers. Bereits zum Zeitpunkt der Einleitung des Zurruhesetzungsverfahrens war er als Schwerbehinderter im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt. Die Zurruhesetzung des Klägers wegen Dienstunfähigkeit erfolgte ohne vorangehende Beteiligung des Integrationsamtes.

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Haben Grundschullehrer:innen einen Anspruch auf gleiche Besoldung wie Studienrät:innen?, Verwaltungsgericht Düsseldorf, Pressemitteilung v. 16.05.2022, Az. 26 K 9086/18 und 26 K 9087/18

Grundschullehrer:innen haben keinen Anspruch darauf, wie Studienrät:innen besoldet zu werden. Das hat die 26. Kammer des Verwaltungsgerichts Düsseldorf durch zwei Urteile vom 16.05.2022 entschieden und damit die Klagen zweier Grundschullehrerinnen abgewiesen.

Das Gericht hat aber erkannt, dass die Klagen grundsätzliche Bedeutung haben und die Berufung zum Oberverwaltungsgericht zugelassen. Daher können beide Klägerinnen nun Berufung einlegen und ihren Anspruch auch in der zweiten Instanz weiterverfolgen.

Worum geht es genau?

Die Klägerinnen sind Grundschullehrerinnen und als Beamtinnen auf Lebenszeit in die Besoldungsgruppe A 12 eingestuft. Sie begehren die Einstufung in die mit einem höheren Grundgehalt ausgewiesene Besoldungsgruppe A 13 sowie die Gewährung einer Studienratszulage. Sie sind der Auffassung, dass sowohl ihre Ausbildungen wie auch ihre ausgeübten Tätigkeiten sich von denen der mit A 13 zuzüglich einer Studienratszulage besoldeten Studienräte mit der Befähigung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen nicht oder jedenfalls nicht mehr so wesentlich unterschieden, dass die ungleiche Besoldungshöhe im Eingangsamt berechtigt sei.

Hintergrund der Klageverfahren ist die Änderung der Lehrerausbildung in Nordrhein-Westfalen, die seit Inkrafttreten des Lehrerausbildungsgesetzes (LABG NRW) 2009 für alle Lehramtsbefähigungen den Abschluss eines Bachelor- und eines Masterstudiengangs sowie die erfolgreiche Absolvierung eines Vorbereitungsdienstes verlangt und in weiten Teilen angeglichen wurde. Eine der Klägerinnen absolvierte ihre Ausbildung nach den Regelungen des LABG 2009. Die andere Klägerin studierte im Rahmen des zuvor durchgeführten Modellversuchs „Gestufte Studiengänge in der Lehrerausbildung“, in dem die Angleichung noch nicht vollständig umgesetzt war.

Was sagt das Verwaltungsgericht Düsseldorf?

Die Kammer hat die Klagen abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Besoldung sei nicht zu niedrig bemessen. Die Einstufungen der Lehrerinnen in die Besoldungsgruppe A 12 stehe mit dem Verfassungsrecht in Einklang. Die Verknüpfung der Funktion der Lehrer mit der Lehramtsbefähigung für Grund-, Haupt- und Realschulen mit einem (Einstiegs-)Amt der Besoldungsgruppe A 12 sei wegen des weiten Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber in diesem Bereich eröffnet sei, nicht zu beanstanden. Insbesondere sei der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt, weil trotz durch das LABG 2009 weitgehend angeglichener Bildungsvoraussetzungen für die verschiedenen Lehrämter inhaltliche Unterschiede zwischen den Lehramtsbefähigungen bestünden. Zudem unterscheide sich der Berufsalltag von Lehrern mit der Lehramtsbefähigung für Grund-, Haupt- und Realschulen von dem der Studienräte mit der Befähigung für das Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen in einem Maße, das die abweichende Einstufung in die Besoldungsgruppen A 12 und A 13 als sachgerecht rechtfertige und nicht willkürlich sei. Im Rahmen des Modellversuchs „Gestufte Studiengänge in der Lehrerausbildung“ habe es zudem maßgebliche Unterschiede in der Ausbildung gegeben.

Wie geht es weiter?

Wenn die Urteile den Klägerinnen schriftlich zugestellt wurden, kann hiergegen dann Berufung zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster eingelegt werden.

Die Fragen der gleichen Besoldung bei unterschiedlichen Schultypen sind auch in anderen Bundesländern bereits aufgekommen und teilweise von den Gerichten, teilweise auch durch den Gesetzgeber selbst beantwortet worden. Dass der Landtag die Besoldung auf A13 plus Zulage anheben kann, ist wohl unstreitig. Er hat es aber noch nicht getan.

Daher bleibt allen betroffenen Lehrer:innen nur die Möglichkeit ihre eigenen Ansprüche selbst aktiv geltend zu machen. Das Abwarten auf die Musterverfahren schützt nicht jede:n Einzelne:n, sondern kann dazu führen, dass Ansprüche auch verloren gehen – selbst wenn die Musterklägerinnen Erfolg haben. Im Beamtenrecht streitet grundsätzlich jede:r für sich allein.

Terminsgebühr im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren: „es reicht, wenn einer den anderen anruft“, Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD, Beschluss v. 13.04.2022, Az. RVG 1/2021

In einem kirchengerichtlichen Verfahren hatte die beklagte Landeskirche Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben. Im Rahmen dieses Verfahrens hatte sie eine Erledigungserklärung abgegeben, die allerdings zunächst nur bei Gericht vorlag und noch nicht der Klägerseite zugegangen war. In diesem Zeitraum fand ein Telefonat zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der Landeskirche statt. Nachdem das Verfahren abgeschlossen und die Kosten der Landeskirche auferlegt worden waren, stellte sich im Rahmen der Kostenfestsetzung die Frage, ob und ggf. welche Gebühren für das Telefonat anzusetzen waren.

Der Senat hat dies mit Beschluss vom 13.04.2022 bejaht und den vorangegangenen Kostenfestsetzungsbeschluss aufgehoben und eine eigene Kostenentscheidung getroffen. Der Beschluss lautet im Volltext:

„Terminsgebühr im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren: „es reicht, wenn einer den anderen anruft“, Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD, Beschluss v. 13.04.2022, Az. RVG 1/2021“ weiterlesen

Anspruch auf höhere Versorgung bei Wechseln innerhalb der EU, Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 04.05.2022, Az. 2 C 3.21

Wechseln Beamt:innen aus einem deutschen Versorgungssystem, also aus dem Beamtenverhältnis nach Bundes- oder Landesrecht in den Dienst in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, haben sie einen Anspruch auf höhere Versorgung zusätzlich zur bislang gesetzlich geregelten Nachversicherung in der Deutschen Rentenversicherung. Im Ergebnis ist eine Zusatzversorgung zu zahlen, die dann zur Rente und zu einer möglichen ausländischen Rente hinzutritt.

Das heutige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat die grundsätzliche Bedeutung, die das Musterverfahren bereits seit knapp neun Jahren hat, noch einmal verdeutlicht. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur Wechselfälle in andere EU-Mitgliedsstaaten erheblich profitieren können, sondern vor allem auch Beamt:innen, die aus dem Bundes- oder Landesdienst in den Dienst der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments oder eines anderen EU-Organs oder einer -Behörde wechseln.

Um derartige Ansprüche zu sichern, sollte jeder Einzelfall geprüft und auch eine derartige Zusatzversorgung beantragt werden.

Die Pressemitteilung zur Entscheidung lautet:

Macht ein Beamter von der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV Gebrauch, indem er aus dem in Deutschland begründeten Beamtenverhältnis ausscheidet, um in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, so hat er einen Anspruch auf einen Ausgleichsbetrag, der die Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzt, die ihm infolge der mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis verbundenen Nachversicherung zusteht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, war ab 1978 als beamteter Lehrer in Nordrhein-Westfalen tätig; in diesem Dienstverhältnis wäre er Anfang Februar 2016 in den Ruhestand getreten. Er beantragte jedoch im Jahr 1999 seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, um in Österreich als Lehrer zu arbeiten. Daraufhin wurde der Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert. Im Gegensatz zum Bund und anderen Ländern hat das Land Nordrhein-Westfalen keine gesetzliche Regelung geschaffen, nach der den Beamten im Falle ihres Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis die bis dahin erworbenen Versorgungsanwartschaften im Grundsatz erhalten bleiben.

Im Jahr 2013 beantragte der Kläger beim beklagten Land die Bewilligung von „Altersgeld“ mit der Begründung, die bloße Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bleibe weit hinter dem Wert der von ihm bis zur Entlassung „erworbenen“ beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche zurück. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt (EuGH, Urteil vom 13. Juli 2016, C-187/15). Im Anschluss hieran hat es das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Februar 2016 einen Ausgleichsbetrag für den Verlust der Altersversorgung aufgrund seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zuzuerkennen. Auf die Berufung des Landes hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und das Land verpflichtet, an den Kläger ab dem 1. August 2016 eine Entschädigung in Höhe der Differenz zwischen der Altersrente einschließlich Krankenversicherungszulage, die er von der Deutschen Rentenversicherung erhält, und einer fiktiven Altersrente einschließlich Krankenversicherungszulage zuzüglich einer VBL-Zusatzrente zu zahlen, die der Kläger erhalten hätte, wenn er zwischen dem 1. August 1980 und dem 31. August 1999 als angestellter Lehrer im Schuldienst des Landes tätig gewesen wäre. Der Kläger könne wegen des im Versorgungsrecht geltenden Grundsatzes der strikten Gesetzesbindung lediglich einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltend machen.

Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Februar 2016 einen Ausgleich für die mit seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis verbundenen Einbußen in der Altersversorgung zu zahlen:

Der Wert der Nachversicherung des Klägers bleibt bezogen auf die im Beamtenverhältnis verbrachte Zeit von ca. 20 Jahren deutlich hinter dem Wert der „erworbenen“ Versorgungsansprüche zurück. Die damit einhergehende Beeinträchtigung des Rechts der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV ist nicht durch öffentliche Interessen gerechtfertigt, sodass dem Kläger ein Ausgleichanspruch zusteht. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts gebietet es, innerstaatliche Vorschriften, wie hier den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts im Versorgungsrecht, unangewendet zu lassen und einen Ausgleichsanspruch unmittelbar auf der Grundlage des Unionrechts zuzuerkennen. Die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts zur Bestimmung des Ausgleichsanspruchs weichen dabei erheblich von denen des Verwaltungsgerichts ab.

Entsprechend der Vorgabe des EuGH zum „gültigem Bezugssystem“, an dem sich die Rechtsstellung des aus dem Dienstverhältnis ausgeschiedenen Beamten zu orientieren hat, ist in einem ersten Schritt nach der zeitratierlichen Methode der Wert des Anteils an der fiktiven Gesamtversorgung des Klägers zum 1. Februar 2016 zu ermitteln, den der Kläger im Beamtenverhältnis zum beklagten Land verbracht hat. Maßgeblich ist der Versorgungsanspruch, der dem Kläger beim Verbleib im Dienst des Landes bis zum regulären Eintritt in den Ruhestand nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen zugestanden hätte; auszugehen ist dabei von den zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis geltenden Umständen, etwa Statusamt und Stufe der Besoldung. Die im Beamtenverhältnis verbrachte Zeit ist in Bezug zu setzen zu dieser fiktiven Gesamtversorgung. Von diesem so berechneten Wert ist in einem zweiten Schritt der Anteil an der gesetzlichen Altersrente abzuziehen, der auf die Nachversicherung im Anschluss an die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis entfällt.

Impfbefehl für Soldat:innen?, Bundesverwaltungsgericht, Az. 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22

Der 1. Wehrdienstsenat verhandelte heute erst- und letztinstanzlich über zwei Anträge von Offizieren gegen die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der für alle aktiven Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vorgeschriebenen Basisimpfungen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat ab 24. November 2021 die allgemeinen Regelungen (AR) A1-840/8-4000 zur Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A 840/8 „Impf- und weitere Prophylaxemaßnahmen“ dahingehend geändert, dass neben der Tetanus-, Diphterie-, Pertussis-, Influenza-, Hepatitis- und FSME-Impfung nunmehr auch die Covid-19-Impfung verbindlich ist. Dementsprechend sind die Antragsteller angehalten worden, Impfangebote gegen das Coronavirus zu nutzen. Für diese Impfung bestehe nunmehr eine gesetzliche Duldungspflicht nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG.

Die Antragsteller bestritten die Rechtsmäßigkeit der Änderung dieses Erlasses. Die Covid-19-Impfung sei nicht zur Verhütung übertragbarer Krankheiten geeignet. Sie verhindere eine Infektion oder Erkrankung nicht. Es sei auch nicht belegt, dass die Impfstoffe die Gefahr einer schweren Covid-19-Erkrankung verminderten. Die Verwendung der neuartigen mRNA-Impfstoffe stelle keine Impfung im herkömmlichen Sinne dar, sondern die Verabreichung einer genbasierten, experimentellen Substanz. Der Einsatz dieser Gentechnik sei hinsichtlich der Nebenwirkungen und Langzeitfolgen unzureichend erforscht. Darum liege nur eine bedingte Arzneimittelzulassung vor. Die Erforschung der Impfnebenwirkungen und -komplikationen werde in einem großen Feldversuch bei der Anwendung in der Gesamtbevölkerung nachgeholt. Dabei würden die tatsächlich eingetretenen Impfnebenwirkungen und -komplikationen von den Behörden erheblich untererfasst. Es drohten erhebliche Impfschäden, weswegen die Anordnung der Impfung unverhältnismäßig und unzumutbar sei. Der Impfzwang verstoße insbesondere gegen die Grundrechte der Antragsteller aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes sowie gegen Europa- und Völkerrecht. Die Verwendung der Impfstoffe sei sogar nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3a AMG strafbar, weil dieses Arzneimittel durch die Abweichung von den allgemein anerkannten pharmazeutischen Regeln in seiner Qualität erheblich gemindert sei.

Das Bundesministerium der Verteidigung hielt den Antrag bereits für unzulässig, weil die Änderung der Verwaltungsvorschriften noch nicht in die Rechtssphäre des Soldaten eingreife. Im Übrigen sei die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der generell durchzuführenden Basisimpfungen rechtmäßig. Das Grundrecht der Soldaten auf körperliche Unversehrtheit sei durch § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG wirksam eingeschränkt worden. Die Vorschrift erlaube die Anordnung einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus Sars-Cov-2. Die Impfung diene der Verhütung einer übertragbaren Krankheit, auch wenn sie keinen vollständigen Schutz biete. Es genüge, dass sie die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und die Gefahr schwerer Verläufe reduziere. Dies sei auf Grund aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen und nach den Erhebungen des Robert-Koch-Instituts erwiesen. Mit der Schutzimpfung seien auch keine überproportional hohen Impfrisiken verbunden. Die Impfstoffanwendung werde laufend durch die zuständigen europäischen Stellen und das Paul-Ehrlich-Institut überwacht. Dieses komme in seinem Sicherheitsbericht zu dem Ergebnis, dass schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten auftreten und das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfung nicht ändern würden. Die Impfung verstoße auch nicht gegen nationale oder internationale Vorschriften.

Das Ergebnis der Beratungen wurde noch nicht bekannt.