bei Verlust der Dienstbezüge: Dienstherr muss Dienstfähigkeit beweisen, Verwaltungsgericht Münster, Urteil v. 16.12.2014, Az. 4 K 2466/13

In einem besonders markanten Fall hat das Verwaltungsgericht Münster aufgearbeitet, welche Beweislast den Dienstherrn trifft, wenn er den Verlust der Dienstbezüge gem. § 9 BBesG oder § 9 ÜBesG NRW feststellen möchte: er hat in dieser Situation die Dienstfähigkeit oder – allgemein gesagt – das verschuldete Fernbleiben vom Dienst zu beweisen. Kommt ein Gutachten zu dem Schluss, dass es offen bleiben muss, ob Dienstunfähigkeit oder Dienstfähigkeit vorlag, kommt der Dienstherr seiner Beweislast nicht nach und er kann den Verlust nicht feststellen. Auf dieser Grundlage können unter Umständen auch ältere Verlustfeststellungen noch einmal überprüft und angegriffen werden.

VERWALTUNGSGERICHT MÜNSTER
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

4 K 2466/13

In dem Verwaltungsrechtsstreit
des Herrn A.,
-Kläger –
– Prozessbevollmächtigte: Hotstegs Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Mozartstraße 21, 40479 Düsseldorf, Az.: 192/12

gegen

das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Hamm, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, Az.: IV B 209,
– Beklagter –

w e g e n Rückforderung
hat die 4. Kammer
auf Grund der mündlichen Verhandlung
vom 16. Dezember 2014
für Recht erkannt:

Das Verfahren wird im Umfang der Klagerücknahme eingestellt.

Im Übrigen wird der Bescheid des beklagten Landes vom 27. Juni 2013 aufgehoben, soweit darin die mit bestandskräftigen Bescheiden vom 12. Januar 2008, 18. Februar 2008, 20. März 2008, 13. Mai 2008, 13. Juni 2008, 24. Juli 2008, 21. August 2008 und 29. September 2008 getroffene Feststellung des Verlusts der Dienstbezüge im Zeitraum vom 14. November 2007 bis zum 4. August 2008 bestätigt wird.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in beizutreibender Höhe leistet.

Tatbestand:

Der 1950 geborene Kläger steht seit 1965 im Justizdienst des beklagten Landes. Nach Abschluss einer Kanzleilehre wechselte er in die Laufbahn des mittleren Dienstes und wurde 1979 zum Gerichtsvollzieher ernannt. Seine letzte Beförderung erfolgte im Februar 1985 zum Obergerichtsvollzieher (Besoldungsgruppe A 9). Er war bis Oktober 2007 als Gerichtsvollzieher bei dem Amtsgericht B. tätig. Seitdem ist er im mittleren Justizdienst bei dem Amtsgericht C. beschäftigt.

Nach einer erstmaligen Untersagung der Ausübung der Gerichtsvollziehertätigkeit im Jahr 2003 wurde er ab 2006 am Amtsgericht B. wieder als Gerichtsvollzieher eingesetzt. Da bei Prüfungen erhebliche Mängel in der Gerichtsvollziehertätigkeit festgestellt worden waren, der Kläger mehrfach Prüfungen durch Abwesenheit bzw. nachträgliche Krankmeldung verhindert hatte, entband der Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm ihn mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. Oktober 2007 von den Aufgaben im Gerichtsvollzieherdienst bei dem Amtsgericht B. und beauftragte ihn mit der Tätigkeit im mittleren Justizdienst (Innendienst) bei dem Amtsgericht C.

Am 7. September 2007 und vom 15. Oktober 2007 bis zur Dienstenthebung mit Wirkung vom 5. August 2008 erschien der Kläger nicht zum Dienst, wobei er für die Zeit vom 31. Oktober bis zum 13. November 2007 ein ärztliches Attest vorlegte. Im November 2007 versuchte die Direktorin des Amtsgerichts B. vergeblich, mit dem Kläger in Kontakt zu treten. Bei einer Hausöffnung durch die Polizei war der Kläger nicht anwesend, die dienstlichen Gegenstände (Vollstreckungsaufträge etc.) waren im Dienstzimmer bereitgestellt und wurden mitgenommen. Mit bestandskräftigen Bescheiden vom 10. Januar 2008, 12. Januar 2008, 18. Februar 2008, 20. März 2008, 13. Mai 2008, 13. Juni 2008, 24. Juli 2008, 21. August 2008 und 29. September 2008 stellte die Direktorin des Amtsgerichts B. den Verlust der Dienstbezüge für den 7. September 2007 und für die Zeit vom 15. bis zum 25. Oktober 2007 sowie vom 14. November 2007 bis zum 4. August 2008 fest. Gegen den Bescheid vom 18. Februar 2008 erhob der Kläger unter dem 20. März 2008 vergeblich Widerspruch mit der Begründung, er sei nicht zum Dienst erschienen, um einen Eklat zu schaffen. Weitere Ausführungen machte er unter dem 18. Juli 2008 zur Frage der Kürzung der Dienstbezüge.

In der von ihr angeforderten amtsärztlichen Stellungnahme kam die Fachärztin für öffentliches Gesundheitswesen, Frau D., vom Gesundheitsamt des Kreises E. unter dem 6. Mai 2009 zu dem Ergebnis, dass der Kläger zum Untersuchungszeitpunkt am 18. Februar 2009 arbeitsfähig gewesen sei. Es hätten sich keine Hinweise auf eine akute Alkoholproblematik ergeben. Der Kläger weise zwar erhöhte Leberwerte auf, eine abschließende Diagnose sei jedoch nicht möglich gewesen, weil der Kläger die Überprüfung des Langzeitwertes abgelehnt habe. Einer angeordneten ergänzenden fachpsychiatrischen Untersuchung sei der Kläger zweimal unentschuldigt ferngeblieben. Der Facharzt für Psychiatrie komme nach Aktenstudium zu dem Ergebnis, dass vermutlich zumindest ein gesundheitsschädlicher Alkoholkonsum bei dem Kläger vorliege, eine Alkoholabhängigkeit lasse sich ohne Untersuchung des Klägers nicht feststellen. Soweit bisher zu erkennen sei, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht von einer vollständigen Dienstunfähigkeit auf Dauer ausgegangen werden. Es werde eine stufenweise Wiedereingliederung empfohlen.

Im Rahmen des gegen den Kläger unter anderem wegen des unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst eingeleiteten Disziplinarverfahrens (13 K 2246/09.0) kam der vom erkennenden Gericht bestellte Gutachter, Prof. Dr. F., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, forensische Psychiatrie, in seinem Gutachten vom 14. November 2011 zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine Alkoholabhängigkeit mit moderatem Alkoholkonsum vorliege. Eine depressive Episode könne derzeit nicht festgestellt werden. Ebenso könne nicht sicher festgestellt werden, ob der Kläger in den Zeiten des Fernbleibens vom Dienst dienstunfähig gewesen sei. Mit Urteil vom 28. Juni 2012 stufte das erkennende Gericht den Kläger wegen Dienstvergehens zurück und versetzte ihn in das Amt eines Gerichtsvollziehers. In den Entscheidungsgründen führte es in Hinblick auf die Fehlzeiten des Klägers aus, dass es von dessen Dienstfähigkeit für den Zeitraum bis zum 25. Oktober 2007 überzeugt sei. Für den Folgezeitraum lasse sich jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Kläger dienstfähig gewesen sei. Deshalb könne er wegen des Fernbleibens vom Dienst für diesen Zeitraum nicht disziplinarrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

Mit Bescheid vom 1. Oktober 2012 forderte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV) von dem Kläger die Summe von 14.831,18 E an Dienstbezügen wegen Überzahlung zurück. Beigefügt war eine Auflistung der Einzelpositionen von September 2007 bis Januar 2009. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tag forderte es von dem Kläger die Summe von 375,90 € an überzahlten Dienstbezügen zurück, weil bis zum 31. Oktober 2012 das Gehalt nach der Besoldungsgruppe A 9 gezahlt, der Kläger aber bereits ab dem 1. September 2012 in die Besoldungsgruppe A 8 zurückgestuft worden sei. Gegen diese Rückforderungsbescheide vom 1. Oktober 2012 erhob der Kläger am 17. Oktober 2012 sowohl bei dem OLG Hamm als auch beim LBV Widerspruch und beantragte bei dem OLG Hamm die Rücknahme der Feststellung des Verlusts der Dienstbezüge, weil sich aus dem Disziplinarurteil des erkennenden Gerichts ergebe, dass er im streitigen Zeitraum nicht unentschuldigt dem Dienst ferngeblieben sei.

Mit Bescheid vom 27. Juni 2013, zugestellt am 1. Juli 2013, lehnte der Präsident des OLG Hamm den als Antrag auf Abänderung bzw. Aufhebung der Feststellungsbescheide ausgelegten Widerspruch des Klägers vom 17. Oktober 2012 ab. Weder litten die bestandskräftigen Feststellungsbescheide an einem besonders schwerwiegenden, offensichtlichen Fehler im Sinne von § 44 Abs. 1 oder Abs. 2 VwVfG noch seien sie rechtswidrig im Sinne von § 48 VwVfG. Auch ein Widerruf der Bescheide oder ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im Sinne von §§ 51, 49 VwVfG scheide aus, weil die Feststellung des Verlusts der Dienstbezüge rechtmäßig erfolgt sei. Der Dienstherr müsse sich auch unter Berücksichtigung der Erwägungen des Disziplinarurteils in besoldungsrechtlicher Sicht auf eine verlässliche Grundlage stützen.

Diese stelle die Dienstunfähigkeitsbescheinigung dar, zu dessen Vorlage jeder Beamter im Falle seiner Dienstunfähigkeit verpflichtet sei. Insoweit dürfe es zu keiner Umkehr der Nachweispflicht mit Blick auf eine daraus folgende Ungleichbehandlung innerhalb der Beamtenschaft kommen. Auch die schlechte wirtschaftliche Situation des Klägers und die daraus resultierende fehlende Krankenversicherung ändere hieran nichts.
Der Kläger hat am 1. August 2013 Klage erhoben. Er trägt vor, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der Dienstherr dem Beamten nachzuweisen habe, dass er unentschuldigt gefehlt habe. Diese Beweislast könne vorliegend nicht dadurch umgekehrt werden, dass die Disziplinarentscheidung als Entscheidung „in dubio pro reo“ nicht auf den beamtenrechtlichen Anspruch übertragen werde. Es sei schon zweifelhaft, ob die disziplinarrechtlichen Feststellungen im vorliegenden Verfahren Bindungswirkung entfalteten. Kann aber disziplinarrechtlich eine krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit nicht ausgeschlossen werden, so muss diese Wertung auch in das beamtenrechtliche Verfahren übertragen werden, so dass die von dem Beklagten vorgenommene Verlustfeststellung rechtswidrig ist. Dessen ungeachtet hätte jedoch zumindest geprüft werden müssen, ob er, der Kläger, nicht irrtümlich von seiner Dienstunfähigkeit ausgegangen sein könnte, was zumindest zur Unbilligkeit der vollständigen Bezügerückforderung führen könnte.

Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung seine Klage zurückgenommen hat, soweit sie den 7. September 2007 sowie die Zeit vom 15. bis zum 25. Oktober 2007 betrifft, beantragt er nunmehr,

den Bescheid des beklagten Landes vom 27. Juni 2013 aufzuheben, soweit dieser noch streitbefangen ist.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt in Vertiefung des angefochtenen Bescheides vor, dass vorliegend ausschlaggebend sei, dass der Kläger seinen ihm bekannten Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen sei, so dass der Schluss auf das unentschuldigte Fernbleiben zulässig sei. Darüber hinaus habe der Kläger die Bemühungen des Beklagten um eine Kontaktaufnahme vereitelt, das amtsärztliche Verfahren durch fehlende Mitwirkung erheblich behindert. Erst durch diese bewusste Verzögerungstaktik habe letztlich ein Grund für das Fernbleiben nicht mehr sicher festgestellt werden können. Gäbe man der Mitwirkungspflicht des Beamten im Falle krankheitsbedingten Fehlens nicht das ausschlaggebende Gewicht, so käme es zu einer nicht hinnehmbaren Ungleichbehandlung der Beamten. Soweit der Kläger sich auf einen Irrtum seinerseits über seine Dienstunfähigkeit beruft, treffe ihn auch insoweit zumindest die Verpflichtung, dem Dienstherrn rechtzeitig seine fehlende Dienstfähigkeit bekannt zu geben, damit dieser dann gegebenenfalls entsprechende Ermittlungen anstellen könne. Auch soweit man von einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit des Klägers ausgehen wolle, könne dies noch nicht für den Zeitraum bis zum 20. März 2008 gelten. Der Kläger habe durch seinen Widerspruch vom 20. März 2008 gegen die Verlustfeststellung gezeigt, dass er noch in der Lage gewesen sei, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln. Die Annahme, er habe sich gänzlich vom Leben zurückgezogen, treffe daher bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom beklagten Land beigezogenen Verwaltungsvorgänge (sechs Verwaltungsvorgänge, drei Disziplinarakten) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Im Umfang der Klagerücknahme ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.

Im Übrigen ist die Klage begründet. Der Bescheid des beklagten Landes vom
27. Juni 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, soweit mit ihm die Feststellung des Verlusts der Dienstbezüge für den Zeitraum vom 14. November 2007 bis zum 4. August 2008 bestätigt wird.

Der Beklagte hat im Wege der Ermessensentscheidung das Verfahren der Verlustfeststellung gemäß §§ 51 Abs. 5, 48 Abs. 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) wieder aufgegriffen.

Vgl. hierzu: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 22. Oktober 2009 – 1 C 15.08 -‚ juris, Rdn. 25.

Seine Entscheidung, die Verlustfeststellung nicht zu ändern bzw. aufzuheben, ist jedoch hinsichtlich des oben genannten Zeitraums rechtsfehlerhaft. Die mit bestandskräftigen Bescheiden vom 12. Januar 2008, 18. Februar 2008, 20. März 2008, 13. Mai 2008, 13. Juni 2008, 24. Juli 2008, 21. August 2008 und 29. September 2008 getroffenen Verlustfeststellungen für den Zeitraum vom 14. November 2007 bis zum 4. August 2008 haben sich nachträglich als rechtswidrig erwiesen.

Nach § 9 des Übergeleiteten Besoldungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (ÜBesG NRW), der wortgleich zu § 9 des Bundesbesoldungsgesetzes ist, verliert ein Beamter, wenn er ohne Genehmigung dem Dienst schuldhaft fernbleibt, für die Zeit des Fernbleibens seine Bezüge, welches festzustellen ist.

Diese Feststellung, dass der Beamte dem Dienst ohne Genehmigung ferngeblieben ist, setzt zunächst voraus, dass der Beamte zu der fraglichen Zeit dienstfähig war. Ein dienstunfähiger Beamter ist während der Dauer der Dienstunfähigkeit nicht verpflichtet, Dienst zu leisten. Dabei obliegt dem Dienstherrn die materielle Beweislast für den Sachverhalt, der den Wegfall der Dienstbezüge begründet. Allerdings treffen den Beamten hierbei Mitwirkungspflichten, insbesondere aufgrund seiner dienstrechtlichen Verpflichtung gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 des Beamtengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LBG NRW), Dienstunfähigkeit infolge Krankheit auf Verlangen nachzuweisen, und aufgrund seiner Treuepflicht gegenüber dem Dienstherrn, an einer von ihm angeordneten ärztlichen Untersuchung zur Klärung seines eigenen Gesundheitszustands mitzuwirken,

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 1997 – 1 DB 12.96 -‚ juris, Rdn. 8.

Kommt der Beamte beiden Mitwirkungspflichten nicht oder nur zögerlich nach, kann dies als erhebliches Indiz für eine fehlende Dienstunfähigkeit gesehen werden, ändert jedoch nichts an der Beweislast des Dienstherrn.

Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. Februar 1997 – 1 DB 12.96-, aaO., vom 28. August 1993 – 1 DB 115.93 -‚ juris Rdn. 9, und vom 16. März 1984 – 1 DB 4.84 -‚ juris, Rdn. 9, und vom ; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27. Mai 2011 – 3 B 10.1799 -‚ juris, Rdn. 33, und Beschluss vom 25. April 2012 – 14 B 11.139 -‚ juris, Rdn. 31; Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 23. September 2013 – 2 M 141/13 -‚ juris, Rdn. 9, 10.

Obwohl der Kläger den oben genannten Mitwirkungspflichten nicht bzw. nur zögerlich nachgekommen ist, lässt sich der Schluss auf eine fehlende Dienstunfähigkeit nicht ziehen.

Das beklagte Land hat insoweit im Rahmen seiner Beweislast nicht alle ihm bekannten und zur Verfügung stehenden Erkenntnisse für seine Entscheidung über die Dienstfähigkeit des Klägers fruchtbar gemacht. Die für das Fehlen der Dienstunfähigkeit sprechenden Indizien des unterlassenen Krankheitsnachweises und der zumindest zögerlichen Mitwirkung des Klägers bei der amtsärztlichen Begutachtung, werden nämlich ihrerseits wieder durch die aus dem im Disziplinarverfahren eingeholten fachpsychiatrischen Gutachten gewonnenen Erkenntnisse relativiert. Dabei kann offen bleiben, ob das beklagte Land in seiner Einschätzung an die Gründe des Disziplinarurteils vom 28. Juni 2012 gebunden ist. Jedenfalls ist es rechtlich gezwungen, die tatsächlichen Erkenntnisse, die sich im Disziplinarklageverfahren zum hier maßgeblichen Zeitraum ergeben haben, zur Kenntnis zu nehmen und in seiner Entscheidung über die Bestätigung der Verlustfeststellung zu berücksichtigen. Ausweislich des im Disziplinarklageverfahrens eingeholten und unter dem 14. November 2011 erstellten Gutachtens kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger sich in der Zeit des Fernbleibens vom Dienst in einer Krise befunden hat, die ein derartiges Ausmaß erreicht haben könnte, dass seine Dienstunfähigkeit vorgelegen habe. Denn der Gutachter hat auf die Frage des Gerichts nach der Dienstfähigkeit des Klägers u.a. im Zeitraum vom 14. November 2007 bis zum 4. August 2008 geantwortet:

„Leider liegen zur Beantwortung dieser Frage nur wenige objektivierte Informationen vor. Auch die Aussage von Herrn A. ist diesbezüglich wenig ergiebig. Er stellte sich in dieser Zeit als nicht erkrankt dar. Aus gutachterlicher Sicht ist sehr wahrscheinlich, dass Herr A. sich aus dem oben beschriebenen Gefühl der narzisstischen Kränkung heraus in einer Krise befand und sich zunehmend regressiv zurückzog mit einerseits aggressiven Gefühlen gegenüber der Justizverwaltung, andererseits einem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins. Es ist durchaus möglich, dass diese Reaktion ein Ausmaß umfasste, was erheblichen Krankheitswert (z.B. in Form einer schweren depressiven Episode) annahm und ihn diesbezüglich dienstunfähig machte….“ (Bl. 87 des Gutachtens).

Unter Einbeziehung dieser Erkenntnis lässt sich die Einschätzung nicht mehr aufrecht erhalten, dass der fehlende Nachweis der Erkrankung und die zögerliche Mitwirkung bei angeordneten ärztlichen Untersuchungen auf eine fehlende Dienstunfähigkeit deuten. Vielmehr lässt es sich gerade nicht ausschließen, dass der Kläger krankheitsbedingt zu diesen Mitwirkungshandlungen gar nicht in der Lage war.

Anderweitige tragfähige Indizien für ein unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst sind weder dargelegt noch ersichtlich. Insbesondere lässt sich aus der Tatsache, dass der Kläger im März 2008 noch Widerspruch gegen eine Verlustfeststellung erhoben hat, nicht schließen, dass seine Krise zumindest noch nicht zu einer rechtlichen Handlungsunfähigkeit bzw. -unwilligkeit geführt habe. Angesichts des Inhalts des Widerspruchsschreibens vom 20. März 2008 bestehen erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger die Tragweite seiner Handlungen noch zutreffend einschätzen konnte. Seine Ausführung, er habe „die weitere Tätigkeit eingestellt, um einen Eklat zu schaffen“, deutet eher auf ein „blindwütiges“ Zurückschlagen bzw. Verdrängen als auf eine rational noch begründbare Handlungsentscheidung. Auch seine Reaktion auf die beabsichtigte Kürzung seiner Dienstbezüge im Disziplinarverfahren unter dem 18. Juli 2008 lässt eher auf ein fehlendes Einschätzungsvermögen schließen. In diesem Schreiben verweist er selbst darauf, dass die Herausnahme aus der verantwortungsvollen Position ein depressives und psychologisches Trauma erzeuge, das es nicht erlaube, zum Arzt zu gehen und sich krankschreiben zu lassen. Dabei lässt das Gericht nicht außer Acht, dass das beklagte Land erhebliche Schritte unternommen hat, um mit dem Kläger in Kontakt zu treten. Jedoch deutet gerade der fehlende Erfolg dieser Bemühungen darauf, dass der Kläger sich vollständig zurückgezogen hatte und krankheitsbedingt für seinen Dienstherrn nicht mehr erreichbar war.

Hat demgemäß der Beklagte den Beweis, dass der Kläger nicht aufgrund von Dienstunfähigkeit dem Dienst ferngeblieben ist, nicht führen können, so erweist sich die entsprechende Verlustfeststellung als rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Es entspricht in vorliegender Konstellation mit Blick auf die unter zehn Prozent bleibende Unterliegensquote des Klägers und einem fehlenden Gebührensprung billigem Ermessen, ausschließlich dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.