Beschränkung des Disziplinarverfahrens und Erkrankung als Milderungsgrund, Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.06.2013, Az. 2 B 50/12

Das Disziplinargericht kann nach § 56 Satz 1 Bundesdisziplinargesetz (BDG) nur solche Tathandlungen aus dem Disziplinarverfahren ausscheiden, die für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt ins Gewicht fallen können. Beabsichtigt das Gericht eine solche Beschränkung, muss es die Beteiligten hierauf hinweisen und ihnen Gelegenheit zur Äußerung geben.

Das hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst in einem Beschluss klargestellt.

Diese Auslegung des § 56 Satz 1 BDG knüpft an den in § 77 Abs. 1 Satz 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) verankerten Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens an. Danach begeht ein Beamter ein Dienstvergehen (Einzahl), wenn er schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten (Mehrzahl) verletzt. Der Grundsatz der Einheit des Dienstvergehens verlangt demnach, dass über alle Pflichtverletzungen grundsätzlich eine einheitliche Maßnahme bestimmt wird. Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung ist die Frage, ob ein Beamter, der schuldhaft gegen Dienstpflichten verstoßen hat, nach seiner Persönlichkeit noch im Beamtenverhältnis tragbar ist und durch welche Maßnahme auf ihn eingewirkt werden muss, um weitere Pflichtverstöße zu verhindern.

Unter engen Voraussetzungen ist jedoch eine Beschränkung des Disziplinarverfahrens nach § 56 Satz 1 BDG zulässig. Das Gericht führt hierzu aus:

„§ 56 Satz 1 BDG ermöglicht aus Gründen der Verfahrensökonomie das Ausscheiden von Tathandlungen, deren Bedeutung für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme bereits während des anhängigen Verfahrens nach jeder Betrachtungsweise sicher ausgeschlossen werden kann. Dagegen ermöglicht es § 56 Satz 1 BDG nicht, dass das Gericht Vorwürfe nicht behandelt, weil es sie nach seiner Einschätzung für weniger schwerwiegend hält. Insbesondere darf es den Sach- und Streitstoff nicht verkürzen, indem es für einen Vorwurf oder einen Teil der Vorwürfe die Höchstmaßnahme verhängt. Die gesetzliche Beschränkungsmöglichkeit führt weder das Opportunitätsprinzip ein noch ermöglicht sie eine Beschränkung unter dem Gesichtspunkt der Verständigung der Beteiligten („Deal“). […] Die Beschränkungsmöglichkeit nach § 56 Satz 1 BDG bezweckt in Anknüpfung an die hierzu ergangene Rechtsprechung die Beschleunigung der Disziplinarverfahren durch die instanzenübergreifende Möglichkeit, einzelne Handlungen auszuscheiden, die für die zu erwartende Disziplinarmaßnahme voraussichtlich nicht ins Gewicht fallen (BTDrucks 14/4659 S. 40 und S. 49). Das Disziplinarverfahren soll von überflüssigem Ballast befreit werden können, muss aber weiterhin die gebotene Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beamten (vgl. § 13 BDG) ohne Abstriche ermöglichen.“

Beabsichtigt das Gericht eine Beschränkung nach § 56 Satz 1 BDG, muss es zuvor auf diese Absicht hinweisen, um den Beteiligten rechtliche Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO zu gewähren. Die Beschränkung muss sodann ausdrücklich – gegebenenfalls unter Zitierung des § 56 Satz 1 BDG – ausgesprochen werden.

Im Rahmen seiner Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht – im konkreten Fall am Beispiel sogenannter Zugriffsdelikte – überdies noch einmal klargestellt, ob und inwiefern eine Erkrankung als Milderungsgrund bei der Bestimmung einer Disziplinarmaßnahme berücksichtigt werden kann. Das Gericht führt hierzu aus:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann eine Erkrankung im Tatzeitraum als mildernder Umstand bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme nach § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG berücksichtigt werden. Ob sie entscheidend ins Gewicht fällt, hängt von den konkreten Umständen ab und entzieht sich einer generellen Bewertung. Der Senat hat die Bemessungsregelungen des § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG dahingehend konkretisiert, dass die Veruntreuung amtlich anvertrauter Wertsachen (sog. Zugriffsdelikt) so schwer wiegt, dass sie die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigt, wenn dem Beamten weder ein anerkannter Milderungsgrund zugute kommt noch mildernde Umstände von insgesamt vergleichbarem Gewicht vorliegen […]. Das Gewicht derartiger Umstände muss umso größer sein, je schwerer das Zugriffsdelikt aufgrund der Höhe des Schadens, der Anzahl und Häufigkeit der Zugriffshandlungen und der Begehung von „Begleitdelikten“ und anderer belastender Gesichtspunkte im Einzelfall wiegt […]. Danach kommt jedenfalls bei einem einmaligen Fehlverhalten mit einem Schaden von weniger als 200 € ernsthaft in Betracht, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen […]. Lässt sich nach erschöpfender Sachaufklärung das Vorliegen eines mildernden Umstands nicht ohne vernünftigen Zweifel ausschließen, ist dieser Umstand nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ in die Gesamtwürdigung einzustellen. Er tritt zu einem anerkannten Milderungsgrund hinzu oder verstärkt das Gewicht der Umstände, die das Fehlen eines derartigen Grundes kompensieren können.“

Sowohl die Frage, ob und inwieweit eine Beschränkung des Disziplinarverfahrens zulässig ist, als auch die Frage, ob eine etwaige Erkrankung des Beamten als mildernder Umstand bei der Bestimmung der Disziplinarmaßnahme Berücksichtigung finden kann, hängen demnach von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab und bedürfen einer sorgfältigen juristischen Prüfung.

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