Fragerecht an einen Stellenbewerber nach eingestellten Ermittlungsverfahren, Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 15.11.2012, Az. 6 AZR 339/11

Ein privater Arbeitgeber darf den Stellenbewerber grundsätzlich nicht nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren fragen. Eine solche unspezifizierte Frage verstößt gegen Datenschutzrecht und die Wertentscheidungen des § 53 Bundeszentralregistergesetz (BZRG). Stellt der Arbeitgeber die Frage dennoch und verneint der Bewerber in Wahrnehmung seines informationellen Selbstbestimmungsrechts wahrheitswidrig, dass gegen ihn Ermittlungsverfahren anhängig waren, darf der Arbeitgeber das zwischenzeitlich begründete Arbeitsverhältnis nicht wegen dieser wahrheitswidrig erteilten Auskunft kündigen.Der 1961 geborene Kläger bewarb sich als sog. Seiteneinsteiger im Sommer 2009 als Lehrer an einer Hauptschule in Nordrhein-Westfalen. Vor seiner Einstellung wurde er aufgefordert, auf einem Vordruck zu erklären, ob er vorbestraft sei, und zu versichern, dass gegen ihn kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig sei oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen sei. Der Kläger unterzeichnete den Vordruck, ohne Angaben zu etwaigen Ermittlungsverfahren zu machen. Er wurde zum 15. September 2009 eingestellt. Im Oktober 2009 erhielt die zuständige Bezirksregierung einen anonymen Hinweis, der sie veranlasste, die Staatsanwaltschaft um Mitteilung strafrechtsrelevanter Vorfälle zu bitten. Die daraufhin übersandte Vorgangsliste wies mehrere nach §§ 153 ff. StPO eingestellte Ermittlungsverfahren aus. Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich, weil der Kläger die Frage nach Ermittlungsverfahren unrichtig beantwortet habe. Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Bereits eingestellte Ermittlungsverfahren habe er nicht angeben müssen.

Das Arbeitsgericht hat die außerordentliche Kündigung, das Landesarbeitsgericht auch die ordentliche Kündigung als unwirksam angesehen. Die hiergegen eingelegte Revision des beklagten Landes blieb vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg. Eine Erhebung von Daten, wie sie die unspezifizierte Frage nach Ermittlungsverfahren darstellt, ist nach den datenschutzrechtlichen Bestimmungen in Nordrhein-Westfalen nur zulässig, wenn sie durch eine Rechtsvorschrift erlaubt ist oder der Betroffene einwilligt. Solche Informationen zu abgeschlossenen Ermittlungsverfahren sind für die Bewerbung um eine Stelle als Lehrer nicht erforderlich und damit nicht durch § 29 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen gestattet. Die allein auf die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage nach Ermittlungsverfahren gestützte Kündigung verstieß deshalb gegen die objektive Wertordnung des Grundgesetzes, wie sie im Recht auf informationelle Selbstbestimmung, bei dem es sich um eine Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 GG) handelt, zum Ausdruck kommt. Sie war deshalb gemäß § 138 Abs. 1 BGB unwirksam.

(c) Pressemitteilung vom 15.11.2012

 

Kurzkommentar:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist von großer Bedeutung. Sie ist aber nicht uneingeschränkt auf das Fragerecht eines (zukünftigen) Dienstherrn bei der Einstellung von Beamtenanwärtern übertragbar.

Zwar sehen sowohl das BBG als auch das BeamtStG ebenfalls das „Erforderlichkeitskriterium“ bei der Erhebung personenbezogener Daten vor. § 115 BBG und § 49 BeamtStG sehen jedoch – jedenfalls in bestimmten Fällen – überdies die Übermittlung auch von Verfahrenseinstellungen an den Dienstherrn durch das Gericht bzw. die Strafverfolgungsbehörde vor. Entsprechende Mitteilungspflichten finden sich dementsprechend in der Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen (Mistra). Dem Dienstherrn steht somit im Grundsatz auch ein Auskunftsanspruch hinsichtlich eingestellter Ermittlungsverfahren zu. Zwar besteht ein solcher Auskunftsanspruch unmittelbar nur in Bezug auf bereits bestehende Beamtenverhältnisse und nur gegenüber den Gerichten und Strafverfolgungsbehörden. Es erscheint jedoch durchaus denkbar, dass dieser Anspruch auch in die Begründungsphase des Beamtenverhältnisses „vorverlagert“ wird, um dem Dienstherrn nicht zuzumuten, zunächst einen Bewerber in das Beamtenverhältnis zu übernehmen, der sich sodann aufgrund der aus den eingestellten Ermittlungsverfahren gewonnenen Erkenntnisse als ungeeignet erweist. Ein entsprechendes Fragerecht des (zukünftigen) Dienstherrn ist bereits etwa in einem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (4 S 2332/08) bejaht worden.

In Zweifelsfällen ist daher im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob von dem „Schweigerecht“ Gebrauch gemacht werden darf.