Verfolgungsverjährung im Disziplinarrecht, Kommentar zu Verwaltungsgericht Münster, Beschluss v. 21.03.2012, Az. 13 K 2198/00.O

Aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Münster / 1. Disziplinarkammer vom 21.03.2012, Az. 13 K 2198/00.O:

„Das Verfahren war gem. § 75 Abs. 3 Satz 1 DO NW einzustellen, da die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 Nr. 1 DO NW vorliegen. Gemäß § 75 Abs. 3 Satz 2 konnte das Gericht das Verfahren durch Beschluss einstellen.

Es kann letztlich dahinstehen, ob die Ruhestandsbeamtin, wofür nach Auffassung des Gerichts nach Aktenlage alles spricht, des Diebstahls schuldig ist [Ergänzung des Verfassers: Es ging um den Vorwurf des angeblichen Diebstahls eines Damenslips im Wert von 10 DM im Jahre 1999]. Schon angesichts des Zeitablaufs käme unabhängig von allem anderen vorliegend allenfalls, selbst dies erscheint angesichts des Zeitablaufes sehr fragwürdig, eine Geldbuße als Disziplinarmaßnahme in Betracht.

Eine Geldbuße darf hier aber wegen eingetretener Verfolgungsverjährung nicht mehr verhängt werden. Gemäß § 4 Abs. 1 DO NW ist eine Verfolgung nicht mehr zulässig, wenn seit einem Dienstvergehen, das höchstens eine Geldbuße gerechtfertigt hätte, mehr als zwei Jahre verstrichen sind. Die Dienstpflichtverletzung der Ruhestandsbeamtin war im April 1999 beendet. Ungeachtet der durch das Strafverfahren zeitweise eingetretenen Hemmung der Frist sind seitdem mehr als zwei Jahre verstrichen, so dass eine Verfolgung schon aus dem Grunde nicht mehr zulässig ist. Dem steht auch nicht die Eröffnung des förmlichen Disziplinarverfahrens entgegen. Dieses führt bei der Geldbuße – anders als bei der nur im förmlichen Verfahren zu verhängenden Gehaltskürzung – nicht zu einer Hemmung der Verjährung (vgl. § 4 Abs. 2 und 4 DO NW). Mit dem Eintritt der Verjährung ist die Fortführung des Verfahrens unzulässig, das Verfahren war mithin einzustellen.

Nur der Vollständigkeit halber weist das Gericht darauf hin, dass sich die möglichen Disziplinarmaßnahmen gegen Ruhestandsbeamte in der Kürzung und der Aberkennung des Ruhegehalts erschöpfen (vgl. § 5 Abs. 2 DO NW), so dass auch aus diesem Grunde das Disziplinarverfahren einzustellen wäre (§ 63 Abs. 1 Nr. 6 DO NW).“

Der Beschluss zeigt zum einen die Langlebigkeit disziplinargerichtlicher Verfahren. Obwohl das Landesdisziplinargesetz (LDG NRW), welches die alte Rechtsordnung (DO NW) ablöste, bereits im November 2004 in Kraft trat, gibt es immer noch zahlreiche Fälle, in denen nach den Übergangsvorschriften das Altrecht Anwendung findet. Dies ist bemerkenswert, da das neue Recht nun schon acht Jahre in Gültigkeit ist. Noch auffälliger wird der Beschluss, wenn man sich vor Augen führt, dass der Vorwurf, um den es letztlich ging, aus dem Jahre 1999 stammt. Insgesamt zog sich das Verfahren also über fast 13 Jahre hin. Ohne hier Schuldfragen diskutieren zu wollen, ist festzustellen, dass diese lange Verfahrensdasuer nicht auf die beteiligten Anwälte und auch nicht auf das Gericht zurückzuführen war, sondern einzig und allein die Einleitungsbehörde die Verantwortung hierfür trägt. Im konkreten Fall gab es immer wieder monatelange Phasen, in denen keinerlei Fortgang des Disziplinarverfahrens festzustellen war und notwendige Ermittlungen verschleppt wurden. Auch wurden zahlreiche Nachtragsanschuldigungen erhoben, die später wieder seitens der Behörde eingestellt wurden. Es stellt sich hier die interessante Frage, ob und in welchem Umfang die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Schadensersatzansprüchen bei überlanger Verfahrensdauer auch auf behördliche Verwaltungsvorgänge ohne gerichtliche Beteiligung zu übertragen ist. Wenn man die seelische Beeinträchtigung der betroffenen Beamtin durch die lange Verfahrensdauer in Rechnung stellt, wäre eine Schadensersatzforderung mehr als gerechtfertigt.

Wichtig ist auch der Hinweis, dass die Verfolgungsverjährung in diesem Fall nicht durch die Eröffnung des förmlichen Disziplinarverfahrens gehemmt wurde. Nach der hier noch anzuwendenden DO NW findet eine Hemmung der Verjährung nur im Falle einer Gehaltskürzung, nicht aber bei der Geldbuße statt. Dies zeigt die Komplexität der im Disziplinarrecht geltenden „Verfolgungsverjährung“. Diese unterscheidet sich deutlich von den Verjährungsvorschriften des Zivil- und Strafrechts. Regelmäßig richtet sich die Hemmung der Verfolgung nicht nur nach dem Zeitablauf, sondern auch, und sogar wesentlich, nach der Maßnahmen-Prognose. Ob und wann eine Verfolgungsverjährung eintritt, kann also nur gleichzeitig mit der Frage beantwortet werden, welche Maßnahme im Einzelfall zu verhängen wäre, wenn die Anschuldigung zutreffen würde.

Interessant ist daher, dass die 1. Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Münster selber den Begriff der „Verfolgungsverjährung“ gebraucht. In den vergangenen Jahren hatten die Gerichte stets betont, dass es sich nicht um einen Fall der Verjährung im Rechtssinne handele. Daher wurde der Begriff des „Maßnahmeverbots wegen Zeitablauf“ verwandt. Mit dem Begriff der Verfolgungsverjährung wird das Disziplinarrecht jedenfalls terminologisch dem Strafrecht angenähert. Gleichwohl sind im Einzelfall die besonderen Vorschriften des § 4 DO NW bzw. § 16 LDG NRW (entspricht § 16 BDG) genau zu prüfen.