Terminsgebühr im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren: „es reicht, wenn einer den anderen anruft“, Verfassungs- und Verwaltungsgericht der VELKD, Beschluss v. 13.04.2022, Az. RVG 1/2021

In einem kirchengerichtlichen Verfahren hatte die beklagte Landeskirche Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben. Im Rahmen dieses Verfahrens hatte sie eine Erledigungserklärung abgegeben, die allerdings zunächst nur bei Gericht vorlag und noch nicht der Klägerseite zugegangen war. In diesem Zeitraum fand ein Telefonat zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der Landeskirche statt. Nachdem das Verfahren abgeschlossen und die Kosten der Landeskirche auferlegt worden waren, stellte sich im Rahmen der Kostenfestsetzung die Frage, ob und ggf. welche Gebühren für das Telefonat anzusetzen waren.

Der Senat hat dies mit Beschluss vom 13.04.2022 bejaht und den vorangegangenen Kostenfestsetzungsbeschluss aufgehoben und eine eigene Kostenentscheidung getroffen. Der Beschluss lautet im Volltext:

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Anspruch auf höhere Versorgung bei Wechseln innerhalb der EU, Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 04.05.2022, Az. 2 C 3.21

Wechseln Beamt:innen aus einem deutschen Versorgungssystem, also aus dem Beamtenverhältnis nach Bundes- oder Landesrecht in den Dienst in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, haben sie einen Anspruch auf höhere Versorgung zusätzlich zur bislang gesetzlich geregelten Nachversicherung in der Deutschen Rentenversicherung. Im Ergebnis ist eine Zusatzversorgung zu zahlen, die dann zur Rente und zu einer möglichen ausländischen Rente hinzutritt.

Das heutige Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat die grundsätzliche Bedeutung, die das Musterverfahren bereits seit knapp neun Jahren hat, noch einmal verdeutlicht. Es ist davon auszugehen, dass nicht nur Wechselfälle in andere EU-Mitgliedsstaaten erheblich profitieren können, sondern vor allem auch Beamt:innen, die aus dem Bundes- oder Landesdienst in den Dienst der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlaments oder eines anderen EU-Organs oder einer -Behörde wechseln.

Um derartige Ansprüche zu sichern, sollte jeder Einzelfall geprüft und auch eine derartige Zusatzversorgung beantragt werden.

Die Pressemitteilung zur Entscheidung lautet:

Macht ein Beamter von der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art. 45 AEUV Gebrauch, indem er aus dem in Deutschland begründeten Beamtenverhältnis ausscheidet, um in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, so hat er einen Anspruch auf einen Ausgleichsbetrag, der die Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung ergänzt, die ihm infolge der mit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis verbundenen Nachversicherung zusteht. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger, ein deutscher Staatsangehöriger, war ab 1978 als beamteter Lehrer in Nordrhein-Westfalen tätig; in diesem Dienstverhältnis wäre er Anfang Februar 2016 in den Ruhestand getreten. Er beantragte jedoch im Jahr 1999 seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis, um in Österreich als Lehrer zu arbeiten. Daraufhin wurde der Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert. Im Gegensatz zum Bund und anderen Ländern hat das Land Nordrhein-Westfalen keine gesetzliche Regelung geschaffen, nach der den Beamten im Falle ihres Ausscheidens aus dem Dienstverhältnis die bis dahin erworbenen Versorgungsanwartschaften im Grundsatz erhalten bleiben.

Im Jahr 2013 beantragte der Kläger beim beklagten Land die Bewilligung von „Altersgeld“ mit der Begründung, die bloße Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung bleibe weit hinter dem Wert der von ihm bis zur Entlassung „erworbenen“ beamtenrechtlichen Versorgungsansprüche zurück. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat dem Gerichtshof der Europäischen Union mehrere Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt (EuGH, Urteil vom 13. Juli 2016, C-187/15). Im Anschluss hieran hat es das Land Nordrhein-Westfalen verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Februar 2016 einen Ausgleichsbetrag für den Verlust der Altersversorgung aufgrund seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis zuzuerkennen. Auf die Berufung des Landes hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und das Land verpflichtet, an den Kläger ab dem 1. August 2016 eine Entschädigung in Höhe der Differenz zwischen der Altersrente einschließlich Krankenversicherungszulage, die er von der Deutschen Rentenversicherung erhält, und einer fiktiven Altersrente einschließlich Krankenversicherungszulage zuzüglich einer VBL-Zusatzrente zu zahlen, die der Kläger erhalten hätte, wenn er zwischen dem 1. August 1980 und dem 31. August 1999 als angestellter Lehrer im Schuldienst des Landes tätig gewesen wäre. Der Kläger könne wegen des im Versorgungsrecht geltenden Grundsatzes der strikten Gesetzesbindung lediglich einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch geltend machen.

Auf die Revision des Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und das beklagte Land verpflichtet, dem Kläger ab dem 1. Februar 2016 einen Ausgleich für die mit seiner Entlassung aus dem Beamtenverhältnis verbundenen Einbußen in der Altersversorgung zu zahlen:

Der Wert der Nachversicherung des Klägers bleibt bezogen auf die im Beamtenverhältnis verbrachte Zeit von ca. 20 Jahren deutlich hinter dem Wert der „erworbenen“ Versorgungsansprüche zurück. Die damit einhergehende Beeinträchtigung des Rechts der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV ist nicht durch öffentliche Interessen gerechtfertigt, sodass dem Kläger ein Ausgleichanspruch zusteht. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts gebietet es, innerstaatliche Vorschriften, wie hier den Grundsatz des Gesetzesvorbehalts im Versorgungsrecht, unangewendet zu lassen und einen Ausgleichsanspruch unmittelbar auf der Grundlage des Unionrechts zuzuerkennen. Die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts zur Bestimmung des Ausgleichsanspruchs weichen dabei erheblich von denen des Verwaltungsgerichts ab.

Entsprechend der Vorgabe des EuGH zum „gültigem Bezugssystem“, an dem sich die Rechtsstellung des aus dem Dienstverhältnis ausgeschiedenen Beamten zu orientieren hat, ist in einem ersten Schritt nach der zeitratierlichen Methode der Wert des Anteils an der fiktiven Gesamtversorgung des Klägers zum 1. Februar 2016 zu ermitteln, den der Kläger im Beamtenverhältnis zum beklagten Land verbracht hat. Maßgeblich ist der Versorgungsanspruch, der dem Kläger beim Verbleib im Dienst des Landes bis zum regulären Eintritt in den Ruhestand nach den zu diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen zugestanden hätte; auszugehen ist dabei von den zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Beamtenverhältnis geltenden Umständen, etwa Statusamt und Stufe der Besoldung. Die im Beamtenverhältnis verbrachte Zeit ist in Bezug zu setzen zu dieser fiktiven Gesamtversorgung. Von diesem so berechneten Wert ist in einem zweiten Schritt der Anteil an der gesetzlichen Altersrente abzuziehen, der auf die Nachversicherung im Anschluss an die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis entfällt.

Impfbefehl für Soldat:innen?, Bundesverwaltungsgericht, Az. 1 WB 2.22 und 1 WB 5.22

Der 1. Wehrdienstsenat verhandelte heute erst- und letztinstanzlich über zwei Anträge von Offizieren gegen die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der für alle aktiven Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr vorgeschriebenen Basisimpfungen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat ab 24. November 2021 die allgemeinen Regelungen (AR) A1-840/8-4000 zur Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A 840/8 „Impf- und weitere Prophylaxemaßnahmen“ dahingehend geändert, dass neben der Tetanus-, Diphterie-, Pertussis-, Influenza-, Hepatitis- und FSME-Impfung nunmehr auch die Covid-19-Impfung verbindlich ist. Dementsprechend sind die Antragsteller angehalten worden, Impfangebote gegen das Coronavirus zu nutzen. Für diese Impfung bestehe nunmehr eine gesetzliche Duldungspflicht nach § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG.

Die Antragsteller bestritten die Rechtsmäßigkeit der Änderung dieses Erlasses. Die Covid-19-Impfung sei nicht zur Verhütung übertragbarer Krankheiten geeignet. Sie verhindere eine Infektion oder Erkrankung nicht. Es sei auch nicht belegt, dass die Impfstoffe die Gefahr einer schweren Covid-19-Erkrankung verminderten. Die Verwendung der neuartigen mRNA-Impfstoffe stelle keine Impfung im herkömmlichen Sinne dar, sondern die Verabreichung einer genbasierten, experimentellen Substanz. Der Einsatz dieser Gentechnik sei hinsichtlich der Nebenwirkungen und Langzeitfolgen unzureichend erforscht. Darum liege nur eine bedingte Arzneimittelzulassung vor. Die Erforschung der Impfnebenwirkungen und -komplikationen werde in einem großen Feldversuch bei der Anwendung in der Gesamtbevölkerung nachgeholt. Dabei würden die tatsächlich eingetretenen Impfnebenwirkungen und -komplikationen von den Behörden erheblich untererfasst. Es drohten erhebliche Impfschäden, weswegen die Anordnung der Impfung unverhältnismäßig und unzumutbar sei. Der Impfzwang verstoße insbesondere gegen die Grundrechte der Antragsteller aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes sowie gegen Europa- und Völkerrecht. Die Verwendung der Impfstoffe sei sogar nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3a AMG strafbar, weil dieses Arzneimittel durch die Abweichung von den allgemein anerkannten pharmazeutischen Regeln in seiner Qualität erheblich gemindert sei.

Das Bundesministerium der Verteidigung hielt den Antrag bereits für unzulässig, weil die Änderung der Verwaltungsvorschriften noch nicht in die Rechtssphäre des Soldaten eingreife. Im Übrigen sei die Aufnahme der Covid-19-Impfung in die Liste der generell durchzuführenden Basisimpfungen rechtmäßig. Das Grundrecht der Soldaten auf körperliche Unversehrtheit sei durch § 17a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SG wirksam eingeschränkt worden. Die Vorschrift erlaube die Anordnung einer Schutzimpfung gegen das Coronavirus Sars-Cov-2. Die Impfung diene der Verhütung einer übertragbaren Krankheit, auch wenn sie keinen vollständigen Schutz biete. Es genüge, dass sie die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung und die Gefahr schwerer Verläufe reduziere. Dies sei auf Grund aktueller wissenschaftlicher Untersuchungen und nach den Erhebungen des Robert-Koch-Instituts erwiesen. Mit der Schutzimpfung seien auch keine überproportional hohen Impfrisiken verbunden. Die Impfstoffanwendung werde laufend durch die zuständigen europäischen Stellen und das Paul-Ehrlich-Institut überwacht. Dieses komme in seinem Sicherheitsbericht zu dem Ergebnis, dass schwerwiegende Nebenwirkungen sehr selten auftreten und das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der Impfung nicht ändern würden. Die Impfung verstoße auch nicht gegen nationale oder internationale Vorschriften.

Das Ergebnis der Beratungen wurde noch nicht bekannt.