„Schuldenfalle schnappt Bürgerbegehren“, Mehr Demokratie e.V. 2004

Die Schuldenkrise der Städte und Gemeinden bedroht die Demokratie in immer mehr Kommunen. Die Schuldenfalle schnappt dabei auch nach Bürgerbegehren.

Mit verantwortlich für die Finanzmisere ist auch die Abwälzung von Aufgaben von Bund und Ländern auf die Gemeinden. Ohne eine entsprechende Erhöhung der Finanzzuweisungen wurden Städten und Gemeinden in den letzten Jahren immer neue kostenintensive Aufgaben wie die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Kindergartenplätze oder die Unterbringung von Flüchtlingen zugewiesen. In Nordrhein-Westfalen konnten Anfang August 2003 bereits 176 von 427 Städten, Kreisen und Gemeinden ihre Haushalte nur noch unter dem Diktat eines Haushaltssicherungskonzepts führen. Dies bedeutet, dass es den betroffenen Kommunen nur noch erlaubt ist, Ausgaben zu tätigen, zu denen sie rechtlich verpflichtet sind oder die unaufschiebbar sind.

Vor diesem Hintergrund hatte der Rat der Stadt Minden im September 2003 ein von über 9.000 Bürgern unterschriebenes Bürgerbegehren für die Beibehaltung des städtischen Zuschusses zum Betrieb der Verbraucherzentrale in der ostwestfälischen Stadt für unzulässig erklärt. CDU, FDP und Mindener Initiative (MI) im Rat begründeten dies damit, dass Minden durch ein nicht genehmigtes Haushaltssicherungskonzept die Hände gebunden seien. Nach der Kündigung des Vertrages mit der Verbraucherzentrale im Mai sei die Stadt zu weiteren Finanzierungsleistungen nun nicht mehr verpflichtet, die vom Bürgerbegehren angestrebte Weiterfinanzierung der Beratungseinrichtung deshalb rechtswidrig.

In der Verwaltungsvorlage fanden sich zudem weitere teilweise wirklich an den Haaren herbei gezogene Unzulässigkeitsgründe wie die Anforderung, dass auf der Unterschriftenliste auch die Argumente der Befürworter der Schließung der Verbrauchereinrichtung aufgeführt sein müssten.

Entscheidung demokratiepolitisch fragwürdig

Worum es bei dieser Ratsentscheidung wirklich ging, zeigte sich, als die CDU-Fraktion nach der Unzulässigkeitserklärung versuchte, die Beratung über einen aus Spenden finanzierten verminderten Zuschuss für die Verbraucherzentrale von der Tagesordung des Rates zu nehmen. Erst nach massivem Protest aus den anderen Fraktionen nahm die CDU hiervon wieder Abstand. Durch einen Ratsbeschluss zur Weiterfinanzierung der Einrichtung durch Spenden und weitere Mittel hat die Verbraucherzentrale nun eine Galgenfrist von einem Jahr.

Die Entscheidung des Mindener Rates ist demokratiepolitisch höchst fragwürdig. An Bürgerbegehren werden mittlerweile oft härtere Maßstäbe angelegt als an Ratsbeschlüsse. „Wären an Ratsentscheidungen frühzeitig ähnliche Maßstäbe angelegt worden, wäre es häufig zur jetzigen Verschuldungssituation gar nicht gekommen“, sagte Daniel Schily, Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie zu dieser Entscheidung.

Gleiches Recht für Rat und Bürger

Durch Bürgerentscheide können laut Gemeindeordnung die gleichen Entscheidungen getroffen werden wie durch den Rat. Das Bürgerbegehren hatte zur Kostendeckung die Erhöhung der Vergnügungssteuer und Einsparungen an anderer Stelle vorgeschlagen. Während Stadt- und Gemeinderäte solche Beschlüsse auch bei einem nicht genehmigten Haushaltssicherungskonzept treffen können, wurde den Initiatoren des Begehrens das Recht auf die Formulierung eines derartigen Kostendeckungsvorschlags abgesprochen.

Zurecht verwies der von der Verbraucherzentrale als Gutachter beauftragte Rechtsanwalt Dr. Claus Henning Obst aus Düsseldorf in einer Stellungnahme auf einen Hinweis des NRW-Innenministeriums für die kommunalaufsichtliche Behandlung von Kommunen ohne gesichertes Haushaltssicherungskonzept.

Kürzung freiwilliger Leistungen keine Lösung

Danach sind „häufig (…) wirksame Konsolidierungsmaßnahmen eher bei Pflichtaufgaben, vertraglich gebundenen Leistungen oder zum Beispiel beim Personalaufwand durchzusetzen, als bei Zuschüssen an Vereine oder an Einrichtungen zu finden, die für die Kommunen Aufgaben kostengünstig erledigen.“ Das Ministerium sieht es deshalb als nicht angemessen an, die Lösung von Konsolidierungsproblemen allein bei sogenannten freiwilligen Leistungen zu suchen.

In einer Anhörung des Landtags zur Reform der Gemeindeordnung NRW Mitte September verstieg sich die Vertreterin des Städtetages Nordrhein-Westfalen derweil zu der Behauptung, dass eine Haushaltssicherung praktisch nicht möglich sei, wenn Beschlüsse hierzu durch „Bürgerentscheide (…) mit relativ geringer Beteiligung“ wieder gekippt werden könnten.

Schiffbruch auch in Wuppertal

Bereits im Juli 2003 hatte ein Bürgerbegehren in der ebenfalls einem Haushaltssicherungskonzept unterstehenden Stadt Wuppertal aus dem gleichen Grund Schiffbruch erlitten. Eine Elterninitiative hatte über 25.000 Unterschriften für den Erhalt aller Grundschulen in der Stadt gesammelt, nachdem der Rat beschlossen hatte, aus Kostengründen sieben Grundschulen zu schließen oder zu verlegen. „Hier wird mit einer neuen Begründung die alte Tradition fort geführt, Bürgerbegehren mit juristischen Tricks zu stoppen“, glaubt Schily.

Der Geschäftsführer beklagte, dass immer wieder der Eindruck erweckt werde, dass die Bürger bei Abstimmungen mit Geld um sich würfen, während Stadt- und Gemeinderäte versuchten, dieses Geld zusammen zu halten. Es sei vielmehr erwiesenermaßen so, dass die direkte Demokratie zu mehr Sparsamkeit und Ausgabeneffizienz führe. Der Geschäftsführer forderte deshalb mehr statt weniger Demokratie.

Städte und Gemeinden stärken

Mehr Demokratie hofft auf einen mittelfristigen Entlastungseffekt durch die Verankerung des Konnexitätsprinzips in der Landesverfassung zum Jahresbeginn 2004. Hierdurch wird das Land in Zukunft verpflichtet, bei der Neuübertragung von Aufgaben vom Land auf die Kommunen oder bei deren Erweiterung den Städten und Gemeinden die dafür entstehenden Kosten zu erstatten. In acht Bundesländern kooperieren Land und Kommunen bereits nach diesem Prinzip. Zuletzt hatten die Bayern als neuntes Land in einer Volksabstimmung im September mit einer Mehrheit von über 88 Prozent beschlossen, das Konnexitätsprinzip in die Landesverfassung auf zu nehmen.

Wer die Städte und Gemeinden stärken will, kommt aber letztlich nicht um eine Reform der Gemeindefinanzierung im Rahmen einer größeren Föderalismusreform herum, bei der den Kommunen das Recht zur verstärkten Erhebung eigener Steuern eingeräumt werden sollte.