Salz statt Sperrklausel, mehr-Demokratie.de v. 25.10.2017

von Thorsten Sterk

„Kommt da noch etwas Substanzielles?“ Diese Frage eines Richters an den Rechtsvertreter des Landtags in der Verhandlung über die Zulässigkeit der neuen Kommunalwahl-Sperrklausel vor dem NRW-Verfassungsgerichtshof fasst das Problem bei der Begründung der seit Sommer 2016 geltenden Kommunalwahl-Sperrklausel gut zusammen.

Am 24. Oktober hörten sich die Richterinnen und Richter in Münster die Argumente der Befürworter und Gegner der seit Sommer 2016 geltenden 2,5 Prozent-Sperrklausel an. Kritische Fragen der Richter gab es dabei vor allem an Professor Lothar Michael, der für SPD, CDU und Grüne die Sperrklausel verteidigte. Diese drei Fraktionen hatten die neue Sperrklausel im Juni 2016 beschlossen.

Erstes Urteil schon 1999

Der Verfassungsgerichtshof hatte bereits 1999 in einem Urteil Sperrklauseln bei Kommunalwahlen für verfassungswidrig erklärt, weil damit die Gleichheit aller bei einer Wahl abgegebenen Stimmen nicht mehr gegeben sei. Die Befürworter der neuen Wahlhürde sehen durch veränderte Bedingungen in den Räten jedoch die Notwendigkeit für eine neue Sperrklausel als gegeben an.

Aus Sicht von SPD, CDU und Grünen hat die Abschaffung der Sperrklausel bei den nachfolgenden Kommunalwahlen zu einer merklichen und sich fortwährend verstärkenden Zersplitterung der Kommunalvertretungen geführt. Laut ihrem Prozessvertreter Prof. Michael konnten dadurch Haushalte wiederholt nicht verabschiedet werden. Kommunen seien in die Haushaltssicherung gerutscht. Die Zersplitterung gefährde die gemeinwohlorientierte Politik vor Ort.

“Funktionsoptimierung“ angestrebt

Den schon 1999 vom Verfassungsgericht geforderten faktischen Nachweis der Funktionsunfähigkeit von Räten konnten SPD, CDU und Grüne trotz empirischer Studien dazu bis heute nicht erbringen. Stattdessen erklärte ihr Rechtsvertreter nun, dass die Sperrklausel einer „Funktionsoptimierung“ diene. Auch stellte er infrage, ob die vom Bundesverfassungsgericht in Urteilen geforderte Erfolgschancengleichheit für den Landtag überhaupt relevant sei.

Bei der Erfolgschancengleichheit geht es darum, dass jede bei einer Kommunalwahl abgegebene Stimme die gleiche Chance hat, bei der Verteilung der Sitze in Räten und Kreistagen wirksam zu werden. Im Grundgesetz selber sei das Prinzip der Gleichheit im Wahlrecht nicht definiert, deshalb habe der Landtag bei dessen Interpretation Spielraum. Das Homogenitätsgebot, nach dem sich Bundes- und Landesrecht nicht widersprechen dürfen, stehe einer Sperrklausel bei Kommunalwahlen nicht entgegen. Eine extensive Auslegung der Wahlrechtsgleichheit kann nicht Maßstab der Auslegung des Verfassungsgesetzgebers in NRW sein“, so Michael.

Ein Marketing-Vorwurf

„Ohne Wahlrechtsgleichheit bleibt der Begriff der Mehrheit ein beliebiger Begriff“, hieß es aus den Reihen der acht gegen die Sperrklausel klagenden Parteien. Die Gleichheit aller Stimmen sei ein essentieller Bestandteil des Demokratieprinzips, die Einschränkung dieses Prinzips rechtfertigungsbedürftig. „Die Sperrklausel-Befürworter wollen sich aber nicht rechtfertigen müssen“, so die Kläger. Deshalb hätten sie die Sperrklausel in die Landesverfassung und nicht ins Kommunalwahlgesetz geschrieben. Die Behauptungen zur Funktionsbeeinträchtigung von Räten blieben vage.

Detlef Münch, der für die Freie Bürger Initiative (FBI) im Dortmunder Stadtrat sitzt, zeigte sich bei der Verhandlung „schockiert“ darüber, dass er als Einzelratsmitglied von den Sperrklausel-Befürwortern als Gefahr gesehen werde. „Kleine Parteien sind das Salz der kommunalen Demokratie“, so Münch.

Für Rechtsanwalt Robert Hotstegs hätte der Landtag beim Thema Sperrklausel mit guten Argumenten einfachgesetzlich handeln können. Die zwingenden Gründe für eine Sperrklausel seien aber nicht vorhanden. SPD, CDU und Grünen gehe es nur noch um Marketing für und Optimierung von Ratsarbeit, dafür sei die Landesverfassung aber nicht da.

Warnung vor missbräuchlichen Verfassungsänderungen

Auch die Verfassungsgerichts-Präsidentin Ricarda Brandts erinnerte daran, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zählt. Die Gleichheit des Erfolgswerts aller Stimmen müsse gewährleistet sein, deren Einschränkung sei eng begrenzt. Für eine Sperrklausel müsse ein zwingender Grund vorhanden sein.

Die Kläger wiesen darauf hin, dass es auch Einfluss auf Gesetzgebung und Rechtsprechung in anderen Bundesländern haben werde, wenn das Verfassungsgericht eine Sperrklausel ohne argumentative Unterfütterung durchgehen lasse. Man müsse dem Missbrauch von Verfassungsänderungen vorbeugen.

Der Verfassungsgerichtshof wird am 21. November über die Klagen gegen die Kommunalwahl-Sperrklausel entscheiden.

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